Der Bär flattert in nördlicher Richtung.
Kaum hatte die Ost-West-Symbiose begonnen, da ging die Arschloch-Bombe hoch: Wolf Biermann warf Sascha Anderson seine Zusammenarbeit mit der Stasi vor. Ich will dessen Kontakte zum Staatssicherheitsdienst nicht beschönigen, im Gegenteil, ich verachte so etwas. Aber es ist doch wohl inzwischen allseits bekannt, daß Sascha Anderson in seinem literarischen Größenwahn einem Paranoiaspiel intelligenter Geheimdienstleute aufgesessen war. Und es war feiger Mut, als der Renegat Hans Christoph Buch und der Stasi-Großinquisitor Karl Corino sich ins Fernsehen setzen und dem schwitzenden Poeten Anderson den Prozeß machten. Wahrhaftig mutig und lustig wäre es gewesen, wenn sie dasselbe Tribunal zum Beispiel mit Marcel Reich-Ranicki veranstaltet und ihn nach seinen Kontakten zum polnischen Geheimdienst und zur Stasi gefragt hätten. Nur, wenn auch gegen die Muftis mit den großen Pappnasen verhandelt wird, bin ich mit von der Partie, dann würde ich gern mitreden über das wirklich interessante Thema ›Verrat im zwanzigsten Jahrhundert‹.
Inzwischen muß man sich ohnehin fragen, wer das größere Arschloch ist, Anderson, der mit seinem Avantgardegehampel vielleicht wirklich daran geglaubt hatte, er könne seine Agentenführer von der Staatssicherheit instrumentalisieren, oder der Exsozialist Biermann. Jahrelang haben wir aus Solidarität zu den anderen DDR-Dissidenten, Biermanns larmoyante Gesänge und seine grauenhaften Brecht- und Heine-Imitate ertragen, denn was die Qualität der Biermann-Texte angeht, da rotiert doch der arme Georg Büchner in seinem Grabe! Will man aber den Juroren konzedieren, daß sie den Büchner-Preis Biermann für seine linke Haltung gegeben haben – einverstanden, das kann man prämieren. Schließlich hatten sich ganze Heerscharen von Dichtern, Schriftstellern und Künstlern in der DDR mit Biermann solidarisiert, als er ausgebürgert wurde, und riskierten dafür Kopf und Kragen.
Daß nicht alles so aufrecht sozialistisch im Leben des Wolf Biermann abgelaufen ist, wußte ich schon lange von seinen Freunden. 1979 moserte Florian Havemann bereits gegen Biermann, obwohl Wolf damals noch der Lebensgefährte von Florians Schwester war. Wie es sich für einen Abkömmling des DDR-Hochadels gehört, ist Florian Havemann inzwischen auch kein brotloser Künstler mehr, sondern als Repräsentant des Volkes zum Laienrichter im Verfassungsgericht des Landes Brandenburg aufgestiegen. 1979 war die Kohle noch knapp, und da steckte er mir neidisch: »Wolf ist schon als Student mit einem VW Cabrio herumgefahren und spielte sich auf wie der Kronprinz von Margot.« Wer mehr darüber wissen will, sollte in ›Konkret‹ vom Oktober 1996 den Aufsatz ›Wolfs Geheul‹ von Rayk Wieland lesen. Ach was, macht ja doch keiner! Ich zitiere einfach mal die Stelle: »Bekanntlich kam Biermann erst 1953 in die DDR. Margot Honecker, geborene Feist, die gemeinsam mit Biermann aufgewachsen war, holte den Siebzehnjährigen aus seinen bescheidenen Hamburger Verhältnissen und brachte ihn in einem Internat unter. Ihr und Biermanns Vater waren während der Nazizeit in einer Widerstandsgruppe, und nachdem die Gruppe aufgeflogen, beide Väter verhaftet und ins KZ gebracht worden waren, nahm Biermanns Mutter das Mädchen bei sich in Hamburg auf. Nach dem Krieg holte sie der Vater, der überlebte, wieder nach Halle, wo Margot in der FDJ arbeitete und deren Chef Erich Honecker kennenlernte, den sie später heiratete. Biermann machte, in der DDR angekommen, zunächst das Abitur und durfte sich danach ein Studium, nein, sogar zwei Studiengänge aussuchen – er belegte Politische Ökonomie, später Mathematik und Philosophie. Natürlich war er Mitglied der FDJ und der SED, und natürlich konnte er auch nach 1961 ungehindert in den Westen reisen, er gab dort Konzerte und ließ seine Bücher verlegen. Sein enger persönlicher Kontakt zur Familie Honecker, insbesondere zu Margot Honecker, riß nie ab. Sie ging zu ihm in die Chausseestraße, wo sie ihm eine Wohnetage besorgt hatte, er kam zu ihr ins Ministerium, wozu er weder Termine noch Passierscheine benötigte. Noch unmittelbar vor dem Verlassen der DDR hatte er Besuch von ihr, sie werden die Modalitäten des als Ausbürgerung bekannt gewordenen Umzugs und PR-Gags beredet haben. Darüber spricht und singt der Dauerwiderständler Biermann nicht nur ungern, sondern überhaupt nicht. Seine Popularität und moralische Glaubwürdigkeit, mit welcher er gegen ›die Genossen im Schmalztopf der privilegierten Kaste‹ ansang, hätte Schaden nehmen können, wenn herausgekommen wäre, daß er nicht nur im ›Neuen Deutschland‹ tagtäglich die bekannten ›Fressen‹ fand, sondern auch bei sich zu Hause.«
Jakob Moneta, dem alten Trotzkisten und ehemaligen Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung der IG Metall verdankt Wolf Biermann die Einladung zu seinem Kölner Konzert. Dieser Massenveranstaltung folgte Biermanns Ausbürgerung aus der DDR. Moneta berichtete später auch über das »Liebesverhältnis« Wolf Biermanns zu seiner älteren Stiefschwester Margot: »Als er eines Abends erzählte, wie sehr er sich vor den Falten am Hals von Margot geekelt habe, die inzwischen die Ehefrau des Staatsratsvorsitzenden Honecker war, wollte Sigi (Monetas Lebenspartnerin d.V.) ihn, angewidert von seinem Machismus, hinaus schmeißen.«
Moneta beendete seinen Aufsatz mit dem schönsten Satz, den wir im Zusammenhang mit Wolf Biermann je gelesen oder gehört haben: »Zum Schluss kann ich es mir nicht verkneifen, Wolf Biermann einen Spruch aus meiner jiddischen Muttersprache auf den Weg zu geben: ›Nicht gedacht soll seiner werden.‹«
Unser Text ist erschienen in ›Schröder erzählt‹, 3. Folge der Schwarzen Serie mit dem Titel: ›Ausländer, Behinderte, Andersdenkende‹, April 2002.
Der Aufsatz ›Wolfs Geheul‹ von Rayk Wieland erschien in Konkret, Oktober 1996
Die Zitate von Jakob Moneta erschienen in der Sozialistischen Zeitung Nr.24 vom 22.11.2001, Seite 14.
(RW / JM / BK / JS)
Ich denke gerade darüber nach, welche Ideale Biermann nicht verraten hat und welche lebenden Personen er nicht grob beleidigt hat. Mir fällt dazu nichts ein. Vielleicht bin ich auch zu doof. Aber gibt eine größere Erniedrigung als das kommunistische Schoßhündchen des Westens spielen zu müssen? Das ist traurig, da kann man wie Wolf auch mal durchdrehen.