vonSchröder & Kalender 12.03.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert heute nicht.

Jetzt mal ein größerer Zeitsprung: 1989, wir waren nach Fuchstal umgezogen, hatten gerade die ersten Kisten ausgepackt, kommt der Elektriker Joseph Negele mit seinem hochroten Gesicht, das er sich als Bub beim Motorradfahren im Winter erfroren hat, und will den Temperaturfühler für die Speicheröfen einstellen. Anschließend sitzen wir in unserer Loggia, trinken den üblichen südlichen Ratschkaffee, der Elektriker fragt uns behutsam aus, was wir eigentlich tun, und wir geben jene ebenso gewundenen Antworten: »Wir sind Schriftsteller, vertreiben unsere Bücher im eigenen Verlag.« Zwar wollen die Leute dann immer pflichtschuldig wissen, was man denn schreibe, aber glücklicherweise nicht so genau. Aus reiner Höflichkeit behaupten sie: »Ich würde gern mal etwas von Ihnen lesen.« Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, die sagen das wirklich bloß aus Anstand, sie lesen doch sowieso nur die kostenlose ›Ammersee-Rundschau‹. Es reicht ihnen völlig, wenn feststeht: Der ist ein Künstler. Du kannst auf dem Land jederzeit zwanzig Jahre als ›Schriftsteller‹ oder ›Komponist‹ leben oder gar wie ›Siemens-Erbe‹ Sebastian von Johnston – mein Phänotyp für Indolenz – ein paar Dörfer weiter den selbsterfundenen Beruf eines ›Zeitgeschichtlers‹ nicht ausüben. Reden wir doch nicht drumherum: Die Gründe, weswegen viele Geniedarsteller das Landleben schätzen, sind nicht der selbstangebaute Mangold oder das Rosenspalier, sondern die Doofheit des realen Dorfes. Hier können sie endlich wieder zu den Dumpfmeistern werden, die sie eigentlich immer waren, in den Maibaumverein eintreten oder, wenn’s unbedingt künstlerisch bleiben soll, den Männergesangverein Fuchstal dirigieren wie Dick Städtler, der ehemalige Frontman des Agitprop-Kabaretts ›Floh de Cologne‹.

Aber etwas beunruhigte den Elektromeister: »Wir haben schon einen Verlag hier«, gab er zu bedenken, und zwar in seinem Dorf, zwei Kilometer weiter. Es kommt ja schließlich auch darauf an, daß sich die Konkurrenz nicht auf die Füße tritt. Wir erfuhren: »Die Fuchstaler Presse ist ein ganz bedeutender Verlag.« Als Negele weg war, fragte ich Barbara: »Sind das nicht diese komischen Krauter von der Buchmesse? Erinnere dich an den ›Rettungsdienst‹, ich habe da einem Werner Matthäus aus Denklingen die Schuhe geputzt. Das ist ja nun ein Witz, die wohnen ausgerechnet im Nachbardorf.« Ich nahm das Telefon, tatsächlich war Eva Matthäus am Apparat und quasselte los in ihrer Berliner Art. Wie es so geht auf dem Land und in französischen Filmen, sagte ich: »Besucht uns doch mal …« Für diesen Abend luden wir noch Angela und Sebastian von Johnston ein, dem ich kurz zuvor zufällig in Landsberg begegnet war; fünfzehn Jahre hatten wir uns nicht gesehen.

Eva, eine großgewachsene verwitterte Frau mit kurzem grauem Haar, redete einen bedeutenden Strahl im Papperlapappton der fünfziger Jahre – Existentialistencafé, lange nicht gelüftet –, Werner Matthäus, ein blubbernder, viel jüngerer Mann aus dem Ruhrgebiet, entpuppte sich als abgebrochener Lehrer. Sie sprachen von ihrer Fuchstaler Presse, Bleisatz, Futt und grünen Bohnen, als hätten wir noch nie etwas von Typographie gehört, und waren so eingenommen von ihrer Bedeutung, als wären sie die Erfinder der Bibliophilie. Selbstbewußtsein geht ja in Ordnung, aber besonders bei ihr ist es drei Zacken zu weit aufgedreht. Bald erfuhren wir, worauf Eva sich derartig viel einbildet: Sie ist nämlich die Exehefrau eines Landshoff-Sprosses. Fritz H. Landshoff war der literarische Leiter des deutschen Exilverlages Querido in Amsterdam, in dem auch der von mir so geschätzte ›Chevalier von Geldern‹ erschien. Sein Autor, Fritz Heymann, wurde von den Deutschen vergast, von seinen Verlegern entkam Landshoff mit knapper Not demselben Schicksal. Sein Kompagnon, der Niederländer Querido, wurde ebenfalls umgebracht. Eva hatte nach dem Krieg Landshoffs Sohn Andreas geheiratet, und so, wie sie daherjüdelte – Lea Rosh ist gar nichts dagegen –, nahm ich zunächst an, auch sie sei im Exil gewesen. Erst bei genauerem Fragen stellte sich heraus, daß sie eine Berliner Pflanze aus treudeutscher Familie ist. Sie heiratete Andreas, der sich bald von ihr scheiden ließ und später im Kunstverlag Harry N. Abrams in New York arbeitete, in dem schon sein Vater tätig war. Aus der Nachkriegsehe von Eva und Andreas entsproß Thomas, für eine Weile Leiter des Verlags Rogner und Bernhard. Seine Frau Antje Ellermann hatte den Laden mit ihrem reichlich ererbten Geld übernommen. Werner Matthäus, der Schulmeister und Ehemann von Mutter Eva, arbeitete vor der Gründung ihrer Fuchstaler Presse bei Rogner und Bernhard als Mädchen für alles.

Während wir uns so beim Essen über die ökonomischen Schwierigkeiten kleiner Verlage im allgemeinen und die programmbedingten Hintergründe für das Ausscheiden des Thomas Landshoff bei Rogner und Bernhard im besonderen unterhielten, wollte Sebastian von Johnston auch etwas zur Zeitgeschichte beitragen und posaunte: »Na hört mal, ich bin schließlich mit Thomas befreundet! Ich weiß doch, daß der Augstein mit der Ellermann gevögelt hat, während Thomas es mit dessen Tochter Franziska trieb. Und überhaupt, der Landshoff hat doch das Kokain geradezu erfunden. Wir haben schon 1974 die Lines durchgezogen!« Jetzt hackte Eva, die alte Krähe, auf Sebastian ein, daß die Federn stoben, verteidigte ihren Filius, der sich gerade mit oder ohne Koks irgendwo in der Karibik verkrochen hatte. Und Sebastian schoß mit noch schärferer Munition aus der Münchner Exzeßkiste zurück.

Fortsetzung folgt

(BK / JS)

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