vonSchröder & Kalender 26.10.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

In den Jahren 1989 bis 1996 lebten wir in der Nähe von Landsberg am Lech. 2001 erschien dann ›Ratten und Römer‹, eine Folge von ›Schröder erzählt‹, in der wir über dieses ›bayerische Argentinien‹ berichten.

Aus Anlaß des Erscheinens von ›Er stand in Hitlers Testament‹ über Karl-Otto Saur, den Planer des Projekts ›Ringeltaube‹, bringen wir unsere Landsberg-Erzählungen in Fortsetzungen.

Uns so geht es weiter:
Na bitte, bereits 1960 waren die Kriegsverbrecher zu »Kriegsverurteilten« mutiert. Nach all dem wundert es einen kaum noch, daß der Friedhof, auf dem viele der ›Rotjacken‹ begraben sind, seit 1988 unter Denkmalschutz steht. Und fast schon selbstverständlich kam es uns vor, als wir erfuhren: Der Platz, an dem die SS das benachbarte KZ-Lager IV mit 268 Menschen niederbrannte, wurde zu einer Kiesgrube verwandelt. Dies nur als Anmerkung zur Diskussion um das Holocaust-Denkmal. Solange die Leute an den Schauplätzen der Verbrechen nichts davon wissen wollen, braucht man kein Mahnmal im neuen Berlin.

Von der Gleichgültigkeit können wir ein Lied singen, denn die Landsberger wurden abweisend, als wir 1989 versuchten, die Relikte der Naziherrschaft zu finden. So gab uns ein Studienrat, offenbar weil wir nach dem »Kriegsverbrecherfriedhof« gefragt hatten, eine nebulöse Auskunft: »Da, wo die ›Festung‹ ist, ist auch der Friedhof.« Wo liegt normalerweise eine Festung? Oben auf dem Berg. Also suchten wir dort, aber was von unten wie Kasematten aussah, waren nur Schulen, Kirchen, Stadtmauern und das Bayertor. Schon dachten wir, die haben diesen Friedhof aus Scham versteckt – ja, denkste, er liegt an der B 17 mitten in Landsberg am Hindenburgring. Man fährt direkt an der ›Festung‹ vorbei. Neben dieser Justizvollzugsanstalt ist der Friedhof mit einer Kapelle, von einer niedrigen Mauer umgeben und ständig öffentlich zugänglich. Die Gräber tragen Holzkreuze mit Traufbrettern, darunter bronzefarbene Namenstafeln, das Ensemble mutet schlicht und feierlich an wie ein Soldatenfriedhof. Einige Gräber sind dezent geschmückt von alten und jungen Kameraden. Besonders am 9. November – das ist der Tag, an dem 1938 Herschel Grünspan den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath erschoß, worauf als »spontane Reaktion des deutschen Volkes« die Synagogen brannten – legen hier Neonazis ihre Gebinde nieder. Die werden dann ein paar Tage später diskret von Friedhofsgärtnern ausgedünnt. Und eine Perfidie konnten sich Monsignore Morgenschweis und die Stadt Landsberg nicht verkneifen: Inmitten der Reihen, nicht weit vom Grab des Mörders von Babi Yar, gibt es ein Kreuz mit einer Tafel, auf der steht: »Unbekannter Jude«. Damit will die Landsberger Friedhofsbehörde offenbar signalisieren, daß die Zahl der toten Juden erheblich übertrieben ist, verglichen mit den Opfern der amerikanischen Mordjustiz.

In der ›Festung‹ saßen aber nicht nur die Folterknechte und ihre Generäle, sondern noch viel unschuldigere Gefangene. Denn in den Nürnberger Nachfolgeprozessen verurteilten die Amerikaner auch einige der Hauptakteure der deutschen Funktionseliten aus Ministerien, Diplomatie, Wissenschaft und Wirtschaft. In Landsberg saßen der Angeklagte im Wilhelmstraßenprozeß, Ex-Staatssekretär Ernst Freiherr von Weizsäcker, der ehemalige Reichsfinanzminister Lutz Graf Schwerin-Krosigk, die Wirtschaftskapitäne Friedrich Flick, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, die I.G.-Farben-Manager Carl Krauch, Fritz ter Meer und Otto Ambros. Sie alle hatten es gut in der ›Festung‹, fast so gut wie einst ihr Führer Adolf Hitler. Im Landsberger Hotel Goggl residierte ein Verbindungsstab von Krupp-Managern, die mit Alfried Krupp im Knast Vorstandssitzungen abhielten. Otto Ambros, I.G.-Farben-Vorstand und Direktor der Buna-Werke in Auschwitz-Monowitz, konnte sich Gänseleber bestellen, Kaviar und – unterderhand – diverse Fläschchen Champagner. Ein fideles Gefängnis, vor allem, wenn man bedenkt, daß Ambros’ I.G.-Werkmeister die Brutalität der SS-Wachmannschaften gegen Häftlinge noch zu übertreffen suchten. Allein in Monowitz starben 25000 Häftlinge. Die Industriestrategen von Landsberg kümmerte das wenig, sie sorgten dafür, daß die deutsche Wirtschaft wieder funktionierte, und die öffentliche Stimmung war auf ihrer Seite. Sie verlangte vehement die Freilassung der Wirtschaftsführer.
Die ehrenwerten Herren hatten mächtige Fürsprecher in der Republik: vom nordrheinwestfälischen Ministerpräsidenten Karl Arnold über Bundespräsident Theodor Heuss und Bundeskanzler Konrad Adenauer bis zu Herbert Wehner. Beim amerikanischen Hohen Kommissar John McCloy fanden sie offene Ohren. Schließlich herrschte kalter Krieg, und die junge Bundesrepublik wurde gebraucht – politisch und strategisch. So war es nur folgerichtig, daß man bereits 1950 die I.G.-Farben-Manager und Flick begnadigte, ebenso von Weizsäcker und diverses Fußvolk. Ein Jahr später entließ man Alfried Krupp, und bald war nur noch ein Flügel von den ursprünglich vier Gefängnisblöcken belegt. Im Mai 1958 verließen als letzte Begnadigte die SS-Offiziere der Einsatzgruppen ihre Zellen. Es herrschte wieder Ruhe im Land, und der Freistaat Bayern konnte in der Justizvollzugsanstalt gewöhnliche Kriminelle unterbringen. Die Bevölkerung von Landsberg und Umgebung wollte den großen Tieren um nichts nachstehen und hatte sich längst selbst amnestiert.

(BK / JS)

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2007/10/26/brennglas-landsberg-5/

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kommentare

  • Lieber PLG Friesländer,

    ja, Anton Posset und Michael Strasas von der ›Bürgervereinigung Landsberg im 20. Jahrhundert‹ kennen wir aus der Zeit, als wir in Fuchstal-Leeder (in der Nähe von Landsberg) lebten. Bei der Recherche zu ›Brennglas Landsberg‹ haben uns die Materialien der Bürgervereinigung wertvolle Hinweise gegeben.

    Beste Grüße
    Barbara und Jörg

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