vonSchröder & Kalender 12.01.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in munter nördlicher Richtung.

Also meinetwegen, warum eigentlich keine Herzgeschichte, eine von diesen Krankheiten zum Tode. Natürlich kann mich morgen ein Auto überfahren, aber wahrscheinlicher ist, daß man sein Leben wegen einer chronischen Krankheit, so man eine hat, aushaucht. Die finale Banalität dieser Gedankenfigur ist, du mußt sterben, so oder so. Wäre eigentlich schade, wenn ich nicht mehr dazu käme — also ich erzähle die Geschichte jetzt, bevor es zu spät ist.

Ich wundere mich, daß mir nicht bereits als junger Mensch, als verhinderte Sportskanone, klar wurde, daß ich schon immer die Anlage zu verengten Koronargefäßen hatte und diese mit lustvollem und massivem Nikotinabusus beförderte, vom dreizehnten Lebensjahr an, als ich bereits die eine oder andere ›Collie‹ oder ›Gold Dollar‹ rauchte. Zigaretten wurden auch in Dreierschachteln verkauft — wie du sie später bei der Lufthansa als Werbepackung bekamst, links und rechts ein Faltdummy, in der Mitte drei Lullen —, soweit sind wir bald wieder, wenn sie erst mal pro Stück eine Mark kosten. Mein erstes großes Päckchen verpaffte ich mit vierzehn in Rinteln. Im Weser-Schwimmbad fand ich eine fast volle ›Senior Service‹, wunderbar festgestopfte, duftende Zigaretten. An diese Schachtel denke ich manchmal, genauso wie an die Partagás-Etuis aus Aluminium. Sie roch gut, diese blonde englische Virginia-Orient-Mischung in der schönen weißen Packung mit der blauen Antiquaschrift, dem blindgeprägten Segelschiff, innen zwei Päckchen, links zehn, rechts zehn, eingewickelt in geriffeltes Stanniolpapier. Du faltest es auf, und die blonden Tabaklinsen gucken dich an — ›it’s the tobacco that counts‹. Siegfried war bereits zweimal beim stellvertretenden Direktor gewesen: »Herr van Deelen, wissen Sie eigentlich, daß Ihr Sohn raucht?« — ausgerechnet Meier Doctus, selbst ein süchtiger Zigarrenstummelfresser.

Rauchen war nicht wie heute ein Zivilisationsritual, vor dem sich jeder schüttelt, nein, damals rauchte jeder bessere Indianer. Wer es nicht tat, war keiner, jedenfalls kein ordentlich initiierter. Wurdest du aber als junger Raucher unter sechzehn Lenzen erwischt, so machtest du dich eines Vergehens gegen die Erwachsenenautorität schuldig, das durften doch die Unter- und Mittelstufen, die Hosenpisser, noch nicht. Siegfried verhielt sich anständig: »Na und? Herr Doktor, haben Sie das nicht ooch jemacht als junger Mensch?« Ein englischer Soldat aus dem Hospital wird die Schachtel verloren haben, ich schleppte sie nach Todenmann, Onkel Siegfried, der Roocher, und meine Mutter waren nicht zu Hause, wahrscheinlich in den Himbeeren, zum Verkauf an die ›Pomona‹. Siebzehn oder achtzehn Zigaretten paffte ich hintereinander weg, mußte es einfach tun, wie ein Kokser, der eine Line nach der anderen wegzieht. Üblicherweise wird die Geschichte so erzählt, daß einem hinterher grauenhaft schlecht wurde. Mir nicht, von diesem Moment an rauchte ich richtig. Alle Nichtraucher, die meine Herzgeschichte lesen, werden es also mit der hämischen Grundströmung tun: Selber schuld! Bei all dem, was gleich kommt, fühlen die überhaupt kein Mitleid, höchstens die Roocher, die anderen sind natürlich gnadenlos. Vor allem die Ehemaligen, die Proselyten, werden jedes Gran mir zugeteilten Leides als gerecht empfinden. Denen schleudere ich schon jetzt entgegen: Auch du stirbst den Tod, du weißt nicht, welchen, vielleicht ein kleines Schlaganfällchen.

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Wer denkt schon in der Jugend an den Tod? Ich hielt mich bis ins beste Mannesalter für kerngesund. Zwar hatte ich bei Langlauf oder Kurzlauf und anderen anstrengenden Geschichten oft das Gefühl, als fliege mir die Lunge aus der Kehle, aber das hielt ich für normal, und es gab sich immer nach einiger Zeit. Erst Mitte der Achtziger fingen krampfartige Schmerzen in der Brust an, die immer wiederkehrten. Nach einer längeren Kokainphase Ende der Siebziger nahm ich als Speed-Ersatz ›Cafaspin‹, das preiswerte Koffein-Aspirin-Präparat von Beyer in der braunen Packung. Es kam gut mit Alkohol zusammen, ich konnte nächtelang saufen und arbeiten, schmiß jede Nacht vier, fünf solcher Dinger rein. Das Koffein putschte auf, das Aspirin verdünnte das Blut. Im Frühjahr 1986 machte ich eine Diät, ohne Alkohol und ›Cafaspin‹, nahm also das lebenserhaltende Aspirin nicht mehr zu mir, und die Brustkrämpfe, die ich für eine erblich bedingt verschobene Speiseröhre hielt, wurden immer häufiger. Mein Vater, der 1961 mit zweiundsechzig Jahren an Herzinfarkt starb, hatte angeblich eine verschobene Speiseröhre, tatsächlich war es auch nur Angina pectoris.

Ich ging zu einer Internistin nach Fulda, die ein normales und ein Belastungs-EKG machte: »Das sind zu vernachlässigende vegetative Überanstrengungserscheinungen. Ihr Herz ist kerngesund.« So was hört man gern. Ich fuhr morgens mit Heinrich-der-Wagen-bricht-Brustschmerzen los nach Siegen zu meinem Seminar ›Bücher machen‹, sie kamen im Laufe des Tages mehrfach wieder. Helmut Kreuzer, der mich zu dem Seminar eingeladen hatte, erzählte mir von seiner kürzlich überstandenen Herzklappenoperation, nichts interessierte mich weniger, ich machte meine Witzchen darüber. Nun gehört es ja zur Durchschnittsbildung eines Mitteleuropäers zu wissen, wie sich Herzgeschichten äußern. Ich aber pflegte eine solch außerordentliche Verdrängung, wollte die überdeutlichen Anzeichen dieser Krankheit nicht wahrhaben. Heute kann ich mich nur an den Kopf fassen, es war ja nicht irgendein Zipperlein, die Spasmen traten jeden Tag drei-, viermal minutenlang auf, ich meinte, vor Schmerzen umfallen zu müssen. Ich hatte mir so eine Art autogener Methode zurechtgemacht, für die Außenwelt legte ich eine Absencepause ein, wenn die Spasmen begannen, als müsse ich nachdenken, lehnte mich zurück, um das zu überspielen, brach dann, wenn Barbara doch etwas merkte, in regelrechte Wutanfälle aus. Sie erklärte es sich mit den Aufregungen über die ökonomische Grütze im März Verlag. Also Angina-pectoris-Anfälle, wie sie im Buche stehen, aber dieses Todesangstgefühl, wovon immer die Rede ist, habe ich nie empfunden. Doch, einmal, da war es offenbar auf der Kippe, als wir wieder mal Holz sägten. Es mußte nämlich geradezu notorisch alles gemacht werden, was Gott dem koronarsklerotischen Herzen verboten hat.

Fortsetzung folgt

(BK / JS)

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2008/01/12/herz-und-holz-1/

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kommentare

  • Lieber Polyphem,

    der Vers vom Schlaganfällchen stammt – soweit wir uns erinern – von Alfred Kerr. Aber wir wissen nicht mehr genau, wo die schöne Stelle zu finden ist.

    Herzliche Grüße
    Barbara und Jörg

  • Ova, Eckstein, Juno, Ofenholz. Und einige Zeit später kamen dann Gaulloises und Rothhändle. Als alter Knacker kenne ich die Marken alle und habe auch daran gelutscht. Wer hat sich schon getraut, einen eigenen Geschmack zu haben? Es war immer wichtig, die “richtige” Marke zu konsumieren. Weiß der Teufel, wie sich Markenkult bildet, aber es gibt und gab ihn schon immer. Was wir heute bei den Kids über Klamotten, Mobiltelefonen, Playstations etc. erleben, ist nicht neu.

    Zurück zum Thema: » Auch du stirbst den Tod, du weißt nicht, welchen, vielleicht ein kleines Schlaganfällchen. « Von wem ist denn der hübsche Vers? Den will ich mir merken.

    P.S.: Ein Herz ist nicht nur ein Muskel. Schon MancheR musste es schmerzlich erfahren. Bin neugierig auf die Fortsetzung. Ein Mitleider.

  • Äh, Captagon hats’s auch gebracht! 😉

    Von Reemtsma gab’s/gibt’s ja auch die Eckstein No. 5 mit der grossen 5 im Wappen auf grüner Schachtel – heute angeblich Kult in eingeweihten Kreisen. Die wurden während meiner Jugend – wie die andern auch – zu sechst verkauft und kosteten 50 Pfennige.
    Ohne Filter war ja ein Muss, American Blend auch, aber Eckstein? Von denen hielten wir 15-jährigen Ova- und Overstolz-Grünschnäbel in meiner Gegend damals nichts. Wer so was rauchte, war einfach nicht bei Trost – vermutlich Maurer und Juno-Renegat. Äbäh:

    “Willst Du sterben, weisst kein Mittel,
    rauche Eckstein, 8 1/3.
    Grün ist die Schachtel, grün ist der Sinn.
    Fünf steht drauf und sechs sind drin.”

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