vonSchröder & Kalender 21.06.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

Mehr über diesen Blog

Der Bär flattert schwach in östlicher Richtung.

Oppenheimers Sohn wollte die Lebenserinnerungen seines Vaters vor dem Vergessen bewahren und gab sie 1964 dem Joseph Melzer Verlag. Was heißt gab? Er bezahlte den Druck. Anständig, aber dumm. Hätte er das Manuskript bloß dem Erwin Barth von Wehrenalp für seinen Econ Verlag geschickt! Dann brauchte ich heute den Namen Oppenheimer nicht in der Wüste auszurufen. Melzer trug das Manuskript lediglich zum Kalima-Druck in Düsseldorf und versandte nach Fertigstellung zehn Besprechungsexemplare an die Presse, damit hatte es sich. Der Oppenheimer-Sohn wurde wütend, weil so gar keine Resonanz kam, und rang endlich Joseph Melzer jenen Prospekt ab, den ich dem Verleger entwarf und der wegen der falschen Daten zu unserem ersten Zerwürfnis führte. Die fünftausend Exemplare ›Erlebtes Erstrebtes Erreichtes‹ lagen seitdem wie Blei bei der Auslieferung.

Das durfte doch nicht wahr sein! Ein Buch mit einem Geleitwort von Ludwig Erhard lag auf Halde! Ich grub meinen Stollen ins Bundeskanzleramt, aber es dauerte. Auch Thomas Manns Aufsätze riß mir das Bundespresseamt nicht aus den Händen. Frau Bauch blockte mich mit ihren Walgesängen ab: »Aaach! Dieser wuuunderbare Mehelzer! Der einzige jühüdische Verlaaag! Der aaarme Herr Mehelzer«, dabei kannte sie den Verleger gar nicht, »aaach, das wäre ja sooo fürchterlich für die wichtige deutsch-jühüdische Symbiooose, wenn es ihn nicht mehr gäääbe, ein so groooßartiger Verlag mit so wuuunderbaren Bühüchern!« Mir riß der Geduldsfaden, jetzt war Schluß mit dem netten jungen Mann, der gut erzogen antichambriert, die dachten wohl, sie könnten mich zum Hänneschen machen. Ich setzte ihnen die Pistole auf die Brust: »Wenn bis zum 30. September nicht vierzigtausend auf dem Tisch liegen, ist der Verlag pleite. Niemand verlangt vom Bundespresseamt, daß es Privatunternehmen stützt. Sollte aber der Melzer Verlag bankrott gehen, dann wird der nette Herr Schröder seine weitreichenden Pressekontakte spielen lassen und breittreten, daß das Bundespresseamt ein Buch des Nazis und Exministers Theodor Oberländer mit zweihunderttausend Mark subventionierte, während es den jüdischen Verleger Melzer in den Konkurs stürzen läßt.«

Die Oberländer-Information hatte ich als kleine Notiz im ›Stern‹ gefunden, das war also noch nicht einmal Geheimwissen, trotzdem funktionierte die Sache. Denn Stercken wurde es mulmig, er schickte mich zum Südamerikareferat, dort saß ein Graf Schweinitz. Als ich ihm vortrug: »Es wäre angebracht die ›Sieben Manifeste zur jüdischen Frage‹ in Südamerika bekannt zu machen«, antwortete Hans Bernhard von Schweinitz bestimmt: »So etwas verträgt sich nicht mit meiner Informationspolitik. Es ist nicht meine Aufgabe, unzeitgemäße Manifeste von Thomas Mann zu verbreiten.« Auch sei es nun Zeit, daß endlich einmal Gras über die Sache wachse. »Ooooo!« Ich stürzte auf den Flur des Presseamts und empörte mich. Was heißt künstlich? Natürlich ist man nach solchen Tönen auch wirklich empört, aber ohne etwas Künstlichkeit und Schmiere würdest du doch vor lauter Wut und Entsetzen über solch ein Arschloch tonlos zusammenbrechen. Ich also rein zu Frau Bauch, erstattete Bericht: »Gras drüber wachsen!«, dann wieder raus auf den Flur, schrie, damit alle es hören konnten: »Eine Uuunverschämtheit! Gras soll drüber wachsen! Thomas Manns ›Jüdische Manifeste‹ sind uuunzeitgemäß!« Ich randalierte so lange, bis Stercken mich in sein Zimmer rief und beschwichtigend mit mir redete. Danach riet er seinem Kollegen, daß es vielleicht doch vernünftig wäre, die ›Sieben Manifeste zur jüdischen Frage‹ in Südamerika zu verbreiten. Und Graf Schweinitz bestellte zähneknirschend tausend Exemplare zum Preis von sechs Mark achtzig. Hans Stercken hat es schon richtig gesehen: Exakt ins Land der Belgrano-Deutschen gehörte dieses Buch, um den Kindern der Eichmanns, von Ovens und Rudels zu zeigen, daß die deutsche Heimat auch nicht mehr das war, wovon ihre Väter schwärmten. Dieser Stercken ist zwar ein Rollenpastor, aber eben ein raffinierter Fuchs; er wußte, was ein Goethe-Haus in Argentinien braucht.

Doch auch dieser Coup war nur ein Tropfen auf den heißen Stein, brachte gerade mal siebentausend Mark. Ich brauchte zu diesem Zeitpunkt noch fünfunddreißigtausend und hatte die Hoffnung schon aufgegeben, den zweiten Börne-Wechseltermin bedienen zu können. Die Darmstädter Volksbank fuchtelte bereits mit dem Konkursantrag, und es sah nicht nach leerer Drohung aus. Zwar versicherte mir der Ministerialrat Seibt telefonisch vom Tegernsee aus, daß der Kanzler mit dem Bundespressechef Karl-Günter von Hase gesprochen habe, aber mitten in der Sommerpause war das wenig Konkretes. Da, Wunder über Wunder, am 25. August 1965 abends um zehn Uhr bringt der Telegrammbote die Nachricht in meine Wohnung: »Ankaufe dreitausend Exemplare Oppenheimer Erlebtes Erstrebtes Erreichtes stop sechsunddreißigtausend DM stop gez Diehl Bundespresseamt stop«. Was mit den Büchern geschah? Frag mich doch nicht so was, vielleicht haben sie die auch nach Argentinien geschickt.

(BK / JS)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/schroederkalender/2008/06/21/apropos_marktwirtschaft_2/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Ergänzend sei auf die „weltweit größte Franz Oppenheimer-Informationsseite“ unter http://www.franz-oppenheimer.de hingewiesen, auf der auch die Autobiographie „Erlebtes Erstrebtes Erreichtes“ abgerufen werden kann.
    Empfehlenswert ist natürlich immer, wichtige Bücher zu kaufen und sich nicht zu sehr an die Selbstbedienung im Netz zu gewöhnen.
    Dazu (Antiquariat etc.) kann ich im Augenblick keine verlässlichen Angaben machen.

    Viele Grüße von
    Rüdiger Grothues
    [Open Nine Pub -Musikverlag-]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert