vonSchröder & Kalender 23.07.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.

Die nächste Einquartierung war Familie Gerwens: Frau und Mann, zwei Töchter und eine Großmutter. Wegen der zwei Mädchen mußte ich aus meinem Kinderzimmer raus, sie waren so zwischen fünf und sieben Jahre alt. Die Eltern mit der Großmutter wohnten jetzt im Schlafzimmer und ich mit meiner Mutter und zuweilen Heiner Vanscheidt im Wohnzimmer. Unsere Möbel waren umgestellt, das Doppelbett stand mitten im Raum, rechts in der Ecke immer noch das Sofa, die Sitzecke, gegenüber das Nußbaumbuffet, oben thronte die runde Nußbaumuhr mit den beidseitigen Voluten. Vor die Verbindungstür war der Kleiderschrank aus Birke gerückt. Sehr beengt, würde man heute sagen, damals fand ich es gemütlich, alles in einem Zimmer. Mein Gott, wir hatten ja eine unzerbombte Wohnung. Lästig an den Gerwens war nur deren Oma, weil die nie vom Klo runterkam, immer stand einer davor und bummerte an die Tür, wahrscheinlich schlief sie auf der Brille. In der Wohnung nebenan wohnte Tante Rinklef mit ihren zwei Töchtern. Onkel Rinklef, der Reichsredner, saß inzwischen in Landsberg bei den Amerikanern im Gefängnis und wartete auf seinen Prozeß als Kriegsverbrecher.

So war es, als mein Vater Kurt Schröder abgemagert aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam, mit langen weißen Haaren. »Starez«, erzählte er, hätten ihn die Russen ehrfürchtig genannt, was ›der Alte‹ heiße. Und wegen seines Alters hätten sie ihn auch sofort entlassen, obwohl er damals erst sechsundvierzig Jahre alt war, aber eben der Hunger, abgemagert, die Glatze und der weiße Haarkranz im Kopelew-Stil.

Als mein Vater nach Hause kam, war Heiner Vanscheidt in der Wohnung, Kurt nahm es hin. Ich war glücklich, daß er zurück war, meine Mutter weniger, für mich eine große Enttäuschung, denn ich hatte »Vati« gern. Auch bei meiner Mutter hatte ich nie gemerkt, daß sie ihn nicht mochte, jetzt, als er zurück war, fing sie mit der Nörgelei über ihn an. Und in der Wohnung konnte er sowieso nicht bleiben, es hieß: »Vorsicht! Alle, die in der Partei waren …« Er war Amtsrat im Innenministerium gewesen, zwar ein Meckerer, sogar zuweilen ein lauter, der sich mit Onkel Rinklef oft in der Wolle hatte wegen der Endsiegaussichten, zwar trug er das Abzeichen nicht, es lag, da habe ich es immer gesehen, in der Nachttischschublade, aber er war drin. Und einer, der im Innenministerium gearbeitet hatte, lebte gefährlich im Ostsektor. Also brachte Heiner Vanscheidt ihn bei seiner Tante in Steglitz unter, und wenn bei Kurt Enttäuschung herrschte, daß sein Platz im Bett besetzt war, ist mir das verborgen geblieben. In diesen Zeiten dachte jeder erst mal ans Überleben und daran, ob ihn die Russen am Arsch kriegen, und erst dann an eheliche Treue.

Mein Vater hatte ein Zimmer im Westsektor, aber kein Geld, meine Mutter brachte ihm von dem, was sie auftrieb, ein kleines Deputat, damit er nicht verhungerte. Übrigens sprachen tatsächlich, bald nachdem er sich in den Westsektor abgesetzt hatte, zwei lange Kommissarsledermäntel in unserer Wohnung vor: »Wie wir hören, ist Ihr Mann zurückgekommen. Wo hält er sich gegenwärtig auf? Wir brauchen hier zuverlässige Leute zum Aufbau unserer sozialistischen Verwaltung.« Du kannst dir aussuchen, ob sie ihn für ihre Verwaltung brauchten oder ob sie ihn hoppnehmen wollten, ich vermute mal eher das letztere. Zwar war er für Geodäsie zuständig gewesen, also nicht in einer politischen Abteilung, aber das Innenministerium war auch Polizeiministerium, bei Kriegsende sogar Himmler unterstellt. Und alles, was mit der SS zusammenhing, wurde gnadenlos von den Sowjets ausgemerzt, so daß Heiner Vanscheidts »Sie müssen hier gleich verschwinden!« meinem Vater wahrscheinlich das Leben rettete.

Für Heiner verband sich so das Nützliche mit dem Menschlichen, er wollte ja meine Mutter behalten. Eine Weile ging es weiter mit Heiner Vanscheidt, dann kam seine Frau mit den beiden Töchtern aus der Evakuierung zurück, das erste größere Drama. Heiner wollte bei meiner Mutter bleiben, aber die sagte: »Nein, du gehörst zu deiner Frau.« Das mit meinem Vater war etwas anderes, jetzt hieß es ständig: »Ich habe mich nie mit ihm verstanden …« und »Immer schon gesagt … ist ein guter Kerl, aber wir passen einfach nicht zusammen …« Ich plapperte das nach, »ja, er ist doof«, es schmerzte mich, aber du mußtest ja Stellung beziehen als Kind.

(BK / JS)

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