Der Bär flattert in nördlicher Richtung.
Unser alter Freund Gerhard Zwerenz hat sich von Jürgen Reents interviewen lassen. Wir bringen zwei Textproben aus ›Weder Kain noch Abel‹:
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In Ihrem Buch, ›Kopf und Bauch‹ von 1971, haben Sie geschrieben, Sie seien süchtig nach Beleidigung und danach, mit Gegenbeleidigung zu antworten.
Das gehört zur Abteilung Polemik und Satire, da geschieht nichts ohne Übertreibung. Aber es kommt immer darauf an, worum es geht, in welcher Situation und gegen wen man polemisiert. Lange Zeit habe ich die Kirchen kollektiv abgelehnt und ansprechend kollektiv angegriffen. Ich benehme mich heutzutage etwas vorsichtiger, weil ich viele Christen kenne, die sehr glaubensstark sind und die Dinge ähnlich sehen wie ich. Sie sehen sie auf einer religiösen Ebene, ich sehe sie nichtreligiös. Dagegen bemühe ich mich zu polemisieren.
Wenn ich mich aber mit Joseph Ratzinger befasse, gerate ich in Erregung. Ratzinger ist ein junger liberaler Theologe in Tübingen gewesen, wo er sich – als Bloch von Leipzig nach Tübingen gekommen war – gegen Bloch gewandt und für Heidegger Stellung genommen hat. Eigentlich ist er aus Tübingen geflohen, weil er gegen den Marxismus und gegen die Aufklärungsphilosophie eines Bloch gewesen ist. Zum Schluss kam er nach Rom und wurde dann auch noch Papst. Da neige ich zu spitzer und polemischer Artikulation, mehr als ich es eigentlich möchte, wenn ich daran denke, dass unter der Fuchtel des Papstes auch Christen sind, die einen sehr akzeptablen, sehr achtbaren Glauben für sich geltend machen können. In diesen Zwiespälten bewegt man sich, und im Laufe der Zeit weiß man damit umzugehen.
Stellt man sich als kritischer Denker seinen Gegnern oder schafft man sie sich erst?
Ich habe eine satirische Art, die von Anfang an durch die ›Weltbühne‹ geprägt wurde. Bei Widerständen wird man zuweilen bissig und bösartig. Diese Eigenschaften braucht man zum Teil auch, um sich Gehör zu verschaffen. Und dann schafft man sich natürlich Gegner. Manchmal bereut man, dass man sie sich geschaffen hat – das ist das Ungemütliche. Andererseits hatte ich im Laufe der Zeit auch Spaß daran, Gegner zu haben. Wenn man sie nicht hat, wird es langweilig, unter Umständen vermisst man sie sogar, ist mehr und mehr darauf angewiesen, dass es sie gibt. Das sind die Beifügungen in der Schriftstellerei, allerdings auch in der Philosophie. In letzterer ist es nur für größere Gruppen von Leuten nicht so durchsichtig. Im Übrigen ist es in der Kirchengeschichte ähnlich: Erst wurde gepredigt und missioniert, und wenn das nicht überzeugte, folgten die bewaffneten Argumente.
Lesung und Diskussion in Frankfurt am Main, 1968
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Welche Ihrer Bücher sind Ihnen unverzichtbar?
Ich betrachte das ohne Sentimentalität: Keines meiner Bücher ist unverzichtbar. Was ich schrieb, hatte zumeist damit zu tun, die sozialistische Idee zu rehabilitieren, für eine andere Weiterentwicklung des Sozialismus zu streiten. Das meiste davon ist seit 1990 gegenstandslos geworden. Das ist das Tragische, was ich anzumerken habe: Der Sozialismus hat sich selbst liquidiert, er gab dem Kapitalismus die Möglichkeit, sich für alternativlos zu erklären. Das ändert nichts daran, dass ich das, was ich vertrat, auch heute noch für richtig halte. Wir wollten 1956 ernst machen mit der Entstalinisierung, mit der Konzeption eines menschlichen Sozialismus. Das verhinderte die SED. Nach diesem Desaster, das sich 1989 vollendete, ist der Hoffnungsstrahl sehr schmal geworden.
Was überwiegt in ihrer Antwort: Sind Sie so sehr resigniert oder zu bescheiden, was Ihre eigenen Bücher betrifft?
Was keine Wirkung hat, ist wertlos, so ist es nun einmal. Wer liest heute noch Heinrich Böll? Er war doch sehr wichtig.
Sind Sie nicht stolz auf Ihre eigenen Bücher?
Mir liegt die Kategorie nicht. Wenn es sein muss, kann ich auf meine Haltung stolz sein. Ich ließ mich nicht klein machen. Ich habe mich hin und wieder tarnen müssen, doch immer nach dem Ausweg gesucht. Meinetwegen kann jemand literatur-geschichtlich feststellen: Dann entstand dieses oder jenes Buch, ›Kopf und Bauch‹, ›Soldaten sind Mörder‹ zum Beispiel. Wer beide Bücher nicht kennt, weiß nichts von den Konflikten meiner Generation und von den Schwierigkeiten unserer Rückkehr in die Zivilgesellschaft und ihren Fallen. Wer über Fassbinders Stück ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹ und meinen Roman ›Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond‹ urteilt und mein Buch ›Die Rückkehr des toten Juden nach Deutschland nicht kennt, der sollte besser schweigen.
Mein Anliegen war nicht, Literatur zu schreiben, ich versuchte, mit meinen Texten in die Zeit einzugreifen, zu revoltieren. Ich betrieb Sprachrevolten. In Kasernen, Priesterschulen und Kapitalgesellschaften werden sie nicht gelehrt. Wenn so etwas als Konterbande gilt, soll es mir recht sein. Ich besitze einen dicken Ordner mit den Zeugnissen von Nachstellungen, Behinderungen, Verboten meiner Arbeit. Vielleicht ergibt das alles zusammen mein letztes Buch, und das reicht dann für einen ruhigen Platz im Nirwana.
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Wem diese Positionen gefallen, der sollte sich sein Buch besorgen.
Morgen bringen wir eine Passage, in der Gerhards Frau Ingrid das Wort ergreift.
(JR / GZ / BK / JS)