vonSchröder & Kalender 30.11.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Es ist neblig, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.
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Der Erzähler Heinz-Jörg Peter Kuper ist am 25. November im Alter von 72 Jahren gestorben. In Frankfurt a. M. kannte man ihn nur als ›Hamlet‹, das ist auch der Titel seines Buches, welches 1980 im März Verlag erschien.

Es ist die Geschichte eines schwererziehbaren Kindes aus gutbürgerlichem Hause, eines Autodiebs aus manischer Leidenschaft für alles Amerikanische. Es ist die Geschichte eines Knastrologen, Matura-Mord und Frankfurter Halbwelt inklusive. »Ob man ein solches Buch Literatur nennen darf«, schrieb Christian Schultz-Gerstein im ›Spiegel‹, »darüber müssen sich die Leute den Kopf zerbrechen, die sich nur jene Literatur wünschen, von der Gaston Salvatore schreibt: ›Die Angst, die in der Luft liegt, kehrt in der Literatur wieder als die Angst, das Falsche zu sagen.‹ Das seltene Gegenstück zu solchen Büchern ist Peter Kupers ›Hamlet‹.«

Ich kannte Hamlet zunächst nur als komische Szenefiigur, die durch die Frankfurter Halbwelt geisterte, ein langes Elend: »Ich bin einsdreiundneunzig groß«, teilte er jedem ungefragt mit. Und weil er als Kind hellblondes Haar hatte, ließ er es später bleichen. Lange grellblonde Flusen unter einem schwarzen Hut, dicke blaue Gläser im Ray-Ban-Gestell, und wie Franco Nero als Django trug er einen langen Leinenflattermantel. Dieser dürre, gebeugte Mensch in pittoreskem Aufzug hatte einen merkwürdigen Gang. Später erfuhr ich von Hamlet, daß er sich diesen »Tigergang« angewöhnt hatte, weil ihm als Knabe der wiegende Schritt der schwarzen G.I.s so imponierte. Damit nicht genug, dieser Ausbund regredierter Phantasie führte auch noch einen falbfarbenen Afghanenhund an der Leine.

Zum ersten Mal sprach mich Hamlet etwa 1977 im ›Dominique‹ an, einem Szenelokal in der kleinen Bockenheimer neben dem ›Jazzkeller‹. Während ich eine Freundin begrüßte, die mir ihren neuen Freund vorstellte, blies mir ein warmer Atem wie aus Pferdenüstern ins Ohr: »Kurz nach Anbruch der Morgendämmerung betrat Kapitän Hornblower das Achterdeck der ›Lydia‹ …« Es hatte etwas von einem Zauberspruch, ich war für eine Sekunde perplex, drehte den Kopf zur Seite, da schwebte über mir dieses Gesicht mit blauen Brillengläsern, umrahmt von grellblondem Haar, und die dicken Lippen sprachen: »Das ist von Cecil Scott Forester aus der ›Hornblower-Trilogie‹. Ich hab’ die Bücher fünfmal im Knast gelesen, deshalb kann ich die Stelle auswendig.« Er begann, mir seine Lebensgeschichte zu erzählen und ich versprach ihm: »Vielleicht machen wir mal ein Buch miteinander.«

Tatsächlich wurde etwas daraus. Wir fuhren 1979 nach La Rochelle, dort erzählte mir Hamlet sein Leben. Es waren viertausend Seiten Rohtext. Anfang 1980 las sich das bearbeitete Manuskript dann so, als habe keiner jemals einen Finger an den Text gelegt. Ich gab die fünfhundertfünfzig Seiten an Franz Greno, der stellte das Buch her. Nun war es Zeit, den Erzähler zu informieren, ich rief Hamlet an: »Du kannst am Wochenende kommen.« Er fuhr mit der Bundesbahn nach Fulda, ich holte ihn vom Bahnhof ab und gab ihm den gesetzten Text: »Hier, aus diesen Korrekturfahnen wird später Dein Buch umbrochen, lies sie und sag mir, was du davon hältst.«

Er fing morgens um elf an mit der Lektüre. Ab und zu ging ich neugierig runter in die Küche, um ihn vom Flur aus beobachten zu können, wie er auf dem Streifensofa im Wohnzimmer saß und mit sich selbst redete: »Ja, ja, ja! Das stimmt!« Nachmittags kamen meine Töchter Katinka und Susanne, die damals so elf und zwölf Jahre alt waren, nach oben zu mir ins Büro und fragten: »Was hat denn der Hamlet? Er lacht dauernd so komisch und manchmal weint er auch.« »Der liest ein Buch über sein Leben, und das war eben komisch und traurig.« Abends, als Peter die letzte Fahne beiseite gelegt hatte, sagte er zu mir: »Ja, Jörg, genauso ist es gewesen.«

Kuper, Peter: ›Hamlet‹. Erzählt von Peter Kuper, bearbeitet und herausgegeben von Jörg Schröder. Leinen, 556 Seiten, (8°). Umschlaggestaltung: Typographie und Foto von Jörg Schröder. März Verlag, Berlin und Jossa 1980

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(BK / JS)

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2008/11/30/unmoralisch_wie_die_unschuld/

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kommentare

  • […] Wenn wir in Mainz sind, kommt unweigerlich die Rede auf den Sandsteinengel des bischöflichen Palais’. Den Engel hatte sich Helga Matura bei Peter Kuper bestellt. Das ehemalige Mannequin arbeitete Anfang der 60er Jahre in Frankfurt a.M. als Prostituierte und wurde ermordet. Sie war mit Peter Kuper alias Hamlet befreundet. Die  Geschichte kann man in Peter Kupers ›Hamlet‹ ab Seite 278 lesen. Wir haben sie bereits 200… […]

  • Da steht gerade in der FAS, dass das Grab von Peter Kuper mit dem Teil eines Cadillac geschmückt ist. Weiß jemand, wo das Grab ist?
    Gruß WoR

  • Hi Gerdi,
    mit mittlerweile 55 Jahren ist mein Gedächtnis auch nicht mehr das Allerbeste!
    Ich war nachts sehr oft in der Friedrichstrasse und habe auch NULL bereut!
    Die Zeit war unendlich frei und lehrreich!
    Vielleicht hast Du ja noch Foto’s aus dieser „Aera“?
    Gruss,
    David Lieberberg

  • David, vielleicht haben wir uns in der Friedrichstrasse getroffen?

    Ich habe Hamlet 1967/68 kennengelernt und ich bereue nix, garnix, die Zeit mit ihm hat mir so viel für mein Leben mitgegeben und leid tut mir nur das, was ich damals nicht erlebt habe….

    Es ist so unendlich lange her – werden wir uns morgen noch (er)kennen?

    Gerdi S.

  • ICH HABE HAMLET 1968 MIT 14 JAHREN KENNENGELERNT;- IN DER WG FRIEDRICHSTRASSE, WO ER MIT GNOM, LOU UND MANDY WOHNTE!
    ES WAR EINFACH SENSATIONELL, WENN ER GEGEN 4.00 MORGENS IN DAS MIT DEN ILLUSTREN FRANKFURTER NACHTEULEN GEFÜLLTE WOHNZIMMER KAM UND ANFING DEN PROLOG DES „KÄPTN HORNBLOWER“ ZU ZITIEREN!
    ES GIBT VIELE SCHÖNE UND AUCH NERVIGE ERINNERUNGEN MIT DER LIEBSTEN NERVENSÄGE FRANKFURTS!
    MIT HAMLET IST DAS LETZTE FRANKFURTER ORIGINAL VON UNS GEGANGEN!
    MAY HE REST IN PEACE!!!
    DAVID LIEBERBERG

  • Vielen Dank für die Antwort! ich habe ja aus der „alten Zeit“ nur 1,30m gelber Rücken herübergerettet im wahren Sinn des Wortes…(wenn man lange genug in WGs gelebt – ein gewisser Sozialisierungsschwund bleibt immer).. und dabei hatte ich mal alle Rezensionsexemplare von Karl Krolow in DA bekommen . . .

    Lucys Lustbich haben Sie ja hier imblog veröffentlicht – – wie wärs mal mit der Doris (die hatte ich auch mal) – – heute Abend wird sie bei ibäääh versteigert und steht im Moment bei 381 Euronen .. .

    Grüsse aus der Mainspitze: RoBB

  • Lieber Herr Schröder,

    in der Tat war Peter Kuper ein merk-würdiger Mensch, dem ich um 1967 in Riewes Teestube in der Unterlindau oft und oft begegnet bin. Wenn alle „Hamlet“ ssagten, so nannte ich ihn für mich „Django“, eben wegen seiner unnachahmlichen Wiegenganges.
    Da saß er in einem der Flugsessel beim Tee und dann kam volle Dröhnung durch die Kopfhörer. Immer neue LP´s aus der Jazz- und Underground-Ecke. Nie, dass ich ihn laut erlebt hätte oder hektisch, ja, immer ein wenig in sich gekehrt, aber nicht abweisend.
    Auch im Bahnhofsviertel konnte ich ihn antreffen, wo ich in der Kaiserstr. 39 lange Jahre in einer WG gewohnt habe, war es „Henry´s Pinte?

    Schön, dass Sie ihm hier ein Zeugnis der Erinnerung setzen.

    Ich glaube, ich muß meinen Text über ihn, den ich in der „Bibliothek der Alten, ein Generationen übergreifendes Projekt, 2000-2105“, bei uns im Historischen Museum, darauf hin erweitern.

    Herzlichst
    Wolf von Wolzogen

  • der gute alte Herr Kuper – wenn ich mal in Mainz bin und an dem Eiscafé auf der Grossen Bleiche vorbeikomme, muss ich immer an ihn denken…

    Früher haben die das Eiscafé im Winter immer an einen Teppichhändler vermietet… im Hamlet ist da eine nette Szene beschrieben…

    PS: Wieso steht bei meinem Exemplar auf dem SU nicht …oder eine Liebe zu Amerika – war das eine besondere Auflage???

    Vielen Dank, dass Sie das Buch damals verlegten: RoBB

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