vonSchröder & Kalender 05.07.2012

Schröder & Kalender

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Der Bär flattert in westlicher Richtung.

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Während unserer Zeit in Bayern besuchten wir eine Reihe von Ausstellungen der Monacensia, darunter im Jahr 2000 ›Der Traum vom Schreiben. Schriftstellerinnen in München (1860 bis 1960)‹. In dem Begleitbuch zur Ausstellung stellt Gunna Wendt die ›Identitäten der Emmy Hennings‹ vor, und Asta Scheib berichtet vom Leben und Sterben der Schriftstellerin Lena Christ. Später erscheint ihre Biographie ›In den Gärten des Herzens. Die Leidenschaft der Lena Christ‹.

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Nun zeigt die Monacensia in der Zeit vom 4. Juli 2012 bis 26. April 2013 den Nachlass von Lena Christ. 

 

Gunna Wendt hat die Ausstellung kuratiert. Sie schrieb zahlreiche Biografien u. a. über Franziska zu Reventlow, Maria Callas und Paula Modersohn-Becker. Gestern haben wir ihr neues Buch gelesen, in 18 Kapiteln folgt Gunna Wendt dem Leben des unehelich geborenen Bauernmädchens aus Glonn, das zunächst bei ihrem Großvater aufwächst, den sie später in ihrem Roman ›Mathias Bichler‹ porträtiert.

 

1912 erschienen ihre ›Erinnerungen einer Überflüssigen‹, die ihr Fürsprecher Ludwig Thoma dem Verlag Albert Langen dringend zur Veröffentlichung empfahl. Darin schildert Lena Christ ihre Kindheitshölle, das zerrüttete Verhältnis zur Mutter, die das Mädchen sadistisch quält und als Dienstmagd ausnutzt. Lena Christ gilt seitdem als eine der stärksten literarischen Begabungen des Naturalismus.

 

Gunna Wendt schreibt: »Lena Christs ›Erinnerungen einer Überflüssigen‹ bilden ein überraschendes Pendant zu Franziska zu Reventlows autobiografischem Roman ›Ellen Olestjerne‹, der neun Jahre zuvor erschienen war. Beide Frauen wollten sich vom Ballast ihrer Kindheit und Jugend befreien. In beiden Werken spielt eine monströse Mutter die Hauptrolle. Lenas Mutter prügelt die Tochter und sucht ständig nach Anlässen, um ihre Aggressionen an dem Mädchen auszulassen. «

 

Mit 19 heiratete Lena Christ einen Alkoholiker, um sich aus den Fängen der Mutter zu befreien. Ihr Mann, ein Buchhalter, veruntreute Geld, kam ins Gefängnis, die Ehe wurde geschieden. Später lässt Lena Christ ihr Alter Ego Rumplhanni sagen: »Jetzt probier i´s amal z´Münka, und is´s z´Münka nix, nachha geh i auf Berlin. Wenn´s da aa nix is, nachher roas ‘i ganz furt. In´s Amerika.«

 

Lena Christ schlägt sich mit Gelegenheitsprostitution und als Kopistin von Manuskripten durch. 1911 arbeitet sie für den erfolglosen Schriftsteller Peter Jerusalem (Peter Benedix). Gunna Wendt schildert diese Episode: »Nachdem Lena zwei Wochen als Schreibkraft bei ihm tätig gewesen war, fragte er sie, ob sie aus München stamme, und erhielt keine kurze Antwort, sondern hörte eine ausschweifende Erzählung, die ihn fesselte. Es war nicht nur, das, was sie ihm berichtete, sondern vor allem die Art und Weise, das Wie.« Er spricht von der »fabelhaften Kunst der Erzählung«. Jerusalem schreibt: »Die Personen ihrer Erzählung nahmen von selber Gestalt an, erschienen leibhaftig, sprachen und handelten, jede in der ihr eigentümlichen Art, offenbarten darin ihr Wesen, wurden sichtbar mit seiner so unheimlichen Deutlichkeit, dass man sie greifen konnte, keine wurde beschrieben, sondern sie zeichneten sich selber, so wie sie einem im Leben begegnen.« Ähnlich beeindruckt äußerte sich Korfiz Holm, der Verlagsleiter des Albert Langen Verlags: »Wann Lenis Mund von Boarisch schäumt, – O ja, schon ist der Zug versäumt.«

 

1912 heirateten Lena Christ und Peter Jerusalem. Sie schrieb in schneller Folge weitere Werke: ›Lausdirndlgeschichten‹, ›Mathias Bichler‹, ›Unser Bayern anno 14‹ und die ›Rumplhanni‹. Hierzu ein Zitat aus Gunnas Buch: »Josef Hofmiller betont, dass das Dilemma der Rumplhanni darin besteht, dass sie auf dem Land nicht zurechtkommt, obwohl sie von dort stammt. Ganz anders in der Stadt: ›Draußen bei den Bauern geriet ihr alles falsch, in der Stadt gedeiht ihr auch das Schlimme zum Guten.‹ … Die Rumplhanni lebte in einer Welt, in er es gang und gäbe war, die Dienstboten sexuell auszubeuten. Bereits ihr Spitzname ist im bairischen Dialekt eine vulgäre Anspielung: ›Rumpeln‹ bedeutet ›Geschlechtsverkehr‹.«

 

Gegen Ende des Krieges löste Lena Christ sich von Peter Jerusalem und lebte mit dem Sänger Lodovico Fabbri zusammen, der Halodri verlässt sie nach einem Jahr. Lena Christ geriet in wirtschaftliche Schwierigkeiten und versuchte mit Fälschungen von Gemäldesignaturen zu Geld zu kommen. Der drohenden Gefängnisstrafe entzog sie sich durch Selbsttötung mit Zyankali am 30. Juni 1920 auf dem Münchner Waldfriedhof.

 

Lena Christs Abschiedsbrief an Ludwig Thoma

 

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Das Begleitprogramm zur Ausstellung findet man hier.

Am 17. Juli 2012, um 19 Uhr stellt Gunna Wendt ihr Buch ›Lena Christ – Die Glückssucherin‹ in der Monacensia vor. Eintritt frei.

(BK / JS)

 

 

 

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