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Der Bär flattert leicht in östlicher Richtung.
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Der Meinungskampf um den Klimawandel beschäftigt Politik und Medien. Heute veröffentlicht der Weltklimarat seinen Bericht, dessen Kernaussage lauten wird: Wenn jetzt nicht gehandelt wird, ist es zu spät, um die Auswirkungen der globalen Erwärmung noch zu stoppen. Wir sagen: Wenn jetzt nicht vor unseren Haustüren gehandelt wird, dann ist es zu spät! Hier in Berlin meint das den Braunkohletagebau in der Niederlsausitz.
Fast alle Braunkohlebrachen aus der DDR-Zeit sind geflutet, die Ortschaften, die der Räumung entkamen, wurden herausgeputzt, die Häuser renoviert. Die Fremdenverkehrswerbung tönt vollmundig: »Mit dem Lausitzer Seenland entsteht an der Grenze von Brandenburg aus ehemaligen Tagebauen die größte von Menschenhand geschaffene Wasserlandschaft Europas.« Alles in allem also tatsächlich Helmut Kohls blühende Landschaften? Ja, aber solche mit monströsen hydrogeologischen Schäden – oben hui, unten pfui.
Ausgerechnet die Schweden mit ihrem sauberen Image setzen trotz der absehbaren verheerenden Folgen in Welzow das Umweltverbrechen fort und wollen weitere Millionen Tonnen Braunkohle abbauen. Bis ins Jahr 2027 plant der Energiekonzern Vattenfall dort 250 Millionen Tonnen Braunkohle zu fördern. Dafür müssen achthundert Menschen umgesiedelt werden. Vor nichts schreckt Tuomo Hatakka, der Chef des Vattenfall Deutschlandgeschäftes, zurück! Man muss sich mal klarmachen: Nur dreißig Kilometer östlich von Welzow schuf Fürst Pückler den Muskauer Park, der zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Sogar in der Muskauer Heide will Vattenfall Braunkohle weiträumige abbaggern. Dann werden noch mehr Dörfer zerstört und weitere tausendfünfhundert Menschen müssten umgesiedelt werden. Insgesamt plant der schwedische Energiekonzern eine ökologische Verwüstung mit allen desaströsen Folgen für Menschen, Flora und Fauna. Braunkohle ist der fossile Energieträger mit der höchsten klimaschädlichen Kohlendioxid-Emission.
Dazu kommt: Seit dreizehn Jahren wissen die Landes- und Bundespolitiker, dass die Flutungen der Braunkohle-Tagebaue – sowohl der alten aus DDR-Zeiten als auch der neuen von Vattenfall geplanten – ein Desaster für das Spree-Ökosystem sind. Bereits im Jahr 2000 stellte eine Studie des Forschungsverbandes Berlin fest, dass die Spree im Juli 2000 für zehn Tage lang stellenweise zum Stillstand kam. Es war kurz vor dem GAU, bei dem der Fluss rückwärts geflossen wäre. Ein solcher Zustand könnte in extrem trockenen Jahren wieder eintreten und nicht revidierbare Folgen haben. Denn selbst wenn die Tagebauflutungen mit Spreewasser unterbrochen würden, wäre die Katastrophe nicht zu stoppen, weil zu viel Spreewasser unkontrolliert in den Tagebauen versickert. Bei einem Kollaps der Selbstregulierung wäre eine Trinkwasserversorgung in Berlin nicht mehr möglich. Dazu kommt, die Spree ist auch der wichtigste Berliner Abwasserkanal mit täglich Millionen Litern. Träte der größte annehmbare Unfall ein und die Spree flösse rückwärts, würde Berlin zur Wüstung. Dann könnte keiner mehr singen: »Wer weiß, wann wir uns wiedersehen am grünen Strand der Spree …«
Wann steht endlich eine heilige Johanna der Ökologie auf, die schreit wie einst Petra Kelly: »Das ist verbrecherisch!« Leider, leider ist die Lobby der Antikohleverstromung schwach, und die Befürworter sind sehr stark. Die Vattenfall-Beschäftigten haben die IG Bergbau, Chemie und Energie mobilisiert und veranstalten Pro-Kohle-Demonstrationen. Martina Gregor-Ness, die umweltpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, fordert die Medien auf, »nicht so viele dramatische Bilder zu produzieren«. Kein Wunder, Frau Gregor-Ness sitzt im Aufsichtsrat der Vattenfall Europe Mining AG. Wenn es mit rechten Dingen zuginge, müsste sie wegen Beteiligung und Verharmlosung von Umweltverbrechen augenblicklich von ihrem Amt zurücktreten.
Zwar prüft Vattenfall inzwischen den Deutschland-Rückzug. Der schwedische Staatskonzern reagiert jedoch nicht auf die Klima-, sondern auf die Marktsituation. Denn jedes der Länder Westeuropas, in denen Vattenfall Geschäfte macht – also Deutschland, die Niederlanden und Großbritannien –, versucht jetzt seinen eigenen Energiemarkt zu gestalten. Außerdem wird der angekündigte Ausstieg dauern, weil zunächst um den Kaufpreis gefeilscht werden wird. Die Frage ist zudem: Wird der neue Eigentümer – das kann nur einer der anderen großen Energiekonzerne sein wie Eon, RWE oder EnBW – aus dem Braunkohlegeschäft aussteigen? Sehr unwahrscheinlich, denn das würde Milliarden kosten und wäre »unwirtschaftlich«.
Um der Frechheit die Krone aufzusetzen, erklärte nach der Ankündigung des Rückzugs die Vattenfall-Pressesprecherin Kathi Gerstner: »An den Tagebauplanungen im Lausitzer Revier halten wir fest, um die Rohstoffbasis des Lausitzer Braunkohlekraftwerkparks über die Mitte der 2020er Jahre hinaus zu sichern.« Also weder der Kohlendioxid-Ausstoß noch eine Spree, die umzukippen droht, interessiert die Schweden, es geht wie immer im Turbokapitalismus um die Kohle, und zwar im doppelten Sinne.
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BK / JS