vonSchröder & Kalender 04.06.2019

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flättert in nördlicher Richtung
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Jetzt, da sich die Ära der Sozialdemokratie ihrem Ende zuneigt, bringen wir einen Text über Ferdinand Lassalle. Natürlich sehen wir dessen Lebensweg nicht in kausalem Zusammenhang mit der Geschichte der SPD, dennoch sind sein Wirken und Sterben im Kern ein nahezu phänotypisches Abbild der »Bürgerscheiße«, wie Karl Marx die Sozialdemokratie nannte.

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Der nachfolgende Text erschien im Januar 2017 unter dem Titel ›Die Zweite Natur‹, es ist die 66. Folge  von ›Schröder erzählt‹ von Schröder & Kalender.

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Helene von Dönniges
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Wer war jene Helene von Dönniges, die Lassalle überraschend im Hotel besuchte? Sie hatten sich in Berlin kennengelernt und bei ihrer ersten Begegnung Gefallen aneinander gefunden. Lassalle erkundigte sich sogar über seinen Freund, den Anwalt Aurel Holthoff, bei Helenes Eltern in Genf, ob er sich in deren Familie einführen lassen dürfe. Die Antwort lautete: Nur dann, wenn er zuvor um Helenes Hand anhalte. Lassalle erklärte Holfhoff: Er wolle sie ja heiraten, aber man müsse ihm vorher Gelegenheit geben, Helene näher kennenzulernen. Er schrieb seinem Freund: »Ich kann doch nicht die Katze im Sack heiraten. Wenn sie mir von innen so gut gefiele wie von außen, würde ich sie allerdings heiraten.« Jedoch die Familie von Dönniges fürchtete ihr Ruf könnte unter einer solchen Verbindung leiden, wegen Lassalles politischen Aktivitäten wollte man ihn nicht zum Schwiegersohn. Helene verlobte sich inzwischen mit dem Bojaren Janko von Racowitza, einem Rumänen. Sie war aber immer noch in Ferdinand Lassalle verliebt, den sie in Berlin bewundert hatte wegen seiner Kontakte zu Geistesgrößen wie Humboldt, Varnhagen und Boeckh. Es imponierte ihr wohl auch, dass er ständig von anmutigen Frauen umschwärmt wurde.

Obwohl sie also bereits verlobt war, gab die junge Frau nicht auf und plante eine Begegnung in Rigi-Kaltbad, sie hatte Erfolg. Nach dem Zusammentreffen war Lassalle wieder Feuer und Flamme. An Sophie von Hatzfeldt schreib er einen Tag später: »Die Sache wird ernst, sehr ernst, und das große Gewicht des Ereignisses fällt mir wieder etwas auf die Brust! Inzwischen – einmal kann ich nicht mehr zurück, und dann wüßte ich auch wahrhaftig nicht, warum ich zurück sollte! Es ist ein schönes Weib, und ihrer Individualität nach das einzige Weib, das sich für mich paßt und eignet. Das einzige, das Sie selbst für geeignet finden würden. Also en avant, über den Rubikon! Er führt zum Glück! Auch für Sie, gute Gräfin, mindestens ebenso wie für mich!«

In Genf schrieb Helene einen langen glühenden Liebesbrief an Lassalle, in dem sie eine Auseinandersetzung mit ihrer Mutter schilderte, die sie beschworen hatte, im Interesse der Familie die Beziehung zu diesem Revolutionär mit schlechtem Ruf zu lösen. Helene erklärte, dass ihr Vater wegen der Kassetten-Affäre, seine Beurteilung der Gräfin Hatzfeldt und vielem mehr niemals mit einer Heirat einverstanden sein werde. Aber sie versprach Lassalle hoch und heilig: Sie werde im schlimmsten Falle aus ihrer Familie »heraustreten«. Diesen Brief übergab sie ihrer Kammerjungfer, die ihn sogleich in die Pension Bovet bringen sollte.

Lassalle war erst spät am Nachmittag in Genf eingetroffen und hatte den Brief noch nicht zu Ende gelesen, als Helene selbst auf sein Zimmer stürzte, sich aufs Bett warf und rief: »Hier hast du deine Sache, mach mit mir, was du willst!« Anders als andere Liebhaber es vermutlich getan hätten, reagierte Lassalle reserviert und beschwichtigte Helene: »Du könntest es mir später zum Vorwurf machen, wenn ich mich jetzt schon zu solch einem extremen Schritt entschlösse.« Helene war verletzt, fühlte sich zurückgestoßen und erklärte ihm, wie ihre Eltern und Geschwister auf sie eingestürmt seien, weil sie ihn im Juli in Rigi-Kaltbad besucht hatte. Der Vater habe zornig bestimmt, er werde eine Heirat mit ihm nie dulden und drohte, sie einzusperren, wenn sie nicht Vernunft annehme. Deshalb sei sie zu Lassalle geflüchtet.

Während Helene dies berichtete, kam abermals die Kammerjungfer: »Um das gnädige Fräulein zu warnen. Sie werden von ihrer Mutter und Schwester gesucht …« Die beiden seien bei Madame Rognon, einer Freundin der Familie, und wenn sie Helene dort nicht fänden, würden sie als nächstes zur Pension Bovet gehen. Lassalle schlug Helene vor, dass sie sich wieder unter den Schutz der Mutter begibt. Nur widerstrebend willigte sie ein, Lassalle führte Helene ins Haus von Madame Rognon, brachte sie also zu ihrer Mutter zurück. Diese überhäufte Lassalle zunächst mit Vorwürfen, dann wandelte sich ihr Zorn, schließlich dankte sie ihm für seine Ehrenhaftigkeit. Beim Abschied erklärte Lassalle Frau von Dönniges, dass er am anderen Tage um zwei Uhr bei ihrem Mann um Helenes Hand anhalten werde.

Seit dem 2. August 1864 überstürzten sich die Ereignisse, denn inzwischen wurde die Geschichte in Genf allenthalben kolportiert. Wilhelm von Dönniges stellte Helene unter Hausarrest und empfing Lassalle nicht. Dieser versuchte nun mit allen Mitteln, Helene zu treffen, ohne Erfolg. Er ließ das Haus der von Dönniges mit Spähern umstellen, vergebens! Helene war bereits mit unbekanntem Ziel abgereist. Lassalle zermarterte sich mit Selbstvorwürfen, an Aurel Holthoff schrieb er: »Ich bin mir an allem selbst Schuld. Denn ich hatte acht Tage lang den Vogel in meinen Händen. Ich hätte sie nach Italien entführen können und sie wäre heut bereits mein angetrautes Weib! […] Ich muß Helene haben. Arbeiterverein, Politik, Wissenschaft, Gefängnis, alles ist mir absolut verblaßt in meinem Innern bei dem Gedanken, Helene wieder zu erobern.«

(Fortsetzung folgt)
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Dieser Text erschien im Januar 2017 unter dem Titel ›Die Zweite Natur‹, es ist die 66. Folge  von ›Schröder erzählt‹ von Schröder & Kalender.

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(FL / BK / JS)

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