vonSchröder & Kalender 02.04.2021

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert munter in östlicher Richtung.
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Am Ostersonntag ab 18 Uhr werden viele das Fußballspiel zwischen 1. FC Union Berlin und Hertha BSC verfolgen. Mir ist es gleichgültig, wer gewinnt, ganz anders geht es einem Friseur in Friedenau. Er nervte uns sehr mit seinen Fußballkommentaren und war ein fanatischer Fan von Hertha BSC.

Wir trafen ihn vor einiger Zeit am Bundesplatz auf dem U-Bahnhof, der blau-weiße Fan-Schal hing an ihm herunter, und er lief mit abwesendem Blick auf uns zu. »Hallo«, sagte ich, aber Udo reagierte wie ein Hypnotisierter: »Ick muss ins Olympiastadion zu Hertha!« Die Bahn kam, das Abteil war voll, so blieben wir stehen. Udo redete in einem fort vor sich hin: »Ick weeß ja nich, ob dit jut is für Hertha?! Imma, wenn ick zu Hertha ins Stadion jehe, verlieren die, wa!« Das war nicht witzig gemeint, nein, er redete wie ein Stigmatisierter. Offenbar empfand er sich als eine Art Unglücksbote – eine Hertha-Voodoo-Logik. Bei so viel gläubiger Verzweiflung brauchte man sich über die damalige Hertha-Heimspiel-Misere nicht zu wundern. Die Hertha-Manager müssten bei jedem Heimspiel Udo in seinem Friseursalon festbinden.


Schaufenster eines Friseurs. Foto: Barbara Kalender
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Schlimmer als sein Fußballwahn war, dass Udo versuchte, Barbara gegen ihren Willen einen Bob zu verpassen. Wahrscheinlich dachte er: Das ist der Berliner Stil, schließlich hat ihn der Starfriseur Udo Walz für die Bundeskanzlerin kreiert, »und denn mache ick det ooch«. Diese Friseurtrottel sind ja einfallslos: Frauen um die Fünfzig kriegen den Angela-Merkel-Schnitt, Dreißigjährige werden auf halblanges Haar getrimmt. In seiner Sturheit setzte sich Udo einmal durch, Barbara merkte erst nach dem Föhnen, dass er ihr diese Altfrauenfrisur verpasst hatte. Da war Schluss, und wir gingen beide zu einem anderen Friseur.

Das heißt, Barbara zunächst mal nicht, sie brauchte ein halbes Jahr, bis das Haar nachgewachsen war. Der Neue hatte wieder eine andere Meise, er versuchte, Barbara Strähnchen einzureden. Absurd, sie hat kein graues Haar, warum sollte sie färben? Na gut, auch Friseure sind Geschäftsleute. Wenn eine Frau sich dann aber nicht färben lässt, wird sie eben schlechter behandelt. Zusätzlich hielt sich Dani einen Dispositionstypen, der alles verwirrte. So war Barbara einmal zehn Minuten zu früh, und er tönte: »Geh doch einen Kaffee trinken, es dauert noch eine halbe Stunde.« Wir hatten aber gerade viel zu tun, wollten eine Folge ausliefern, daher nutzte sie die Zeit, um Material für die Produktion einzukaufen, Kleber und solche Dinge. Nach dreißig Minuten war sie wieder im Salon. »Dani wartet schon seit fünf Minuten auf dich!«, beschwerte sich nun der Empfangschef. Solche Zicken gingen uns auf den Wecker, wir hörten uns wieder um.

Ein Freund empfahl uns einen anderen Starfriseur in Mitte, ein Tipp aus der Filmszene. Michael nannte sich zur Abwechslung »Haararchitekt«. Dieses Mal hatte nicht Barbara die Probleme, sondern ich. Denn nun stand mein Haar wieder im Nacken ab, und zwar mehr als bei Udo oder Dani. Bisher hatte das nur der »Haarpsychologe« Reinhold perfekt hinbekommen, der besprach eben jedes einzelne Haar wie ein Fakir die Schlange. Beim zweiten Besuch erklärte ich ihm: »Die Haare im Nacken gefallen mir so nicht …« Michael antwortete: »Sie haben ja recht!«, und ritsch, ritsch, ritsch, innerhalb von Sekunden hatte der Kerl tatsächlich meinen Hinterkopf ganz kurz geschnitten. Dann merkte er wohl, dass es so auch nicht geht, und plötzlich war das ganze Haar nur noch einen Zentimeter lang.
Als ich von diesem Friseurbesuch nach Hause kam, schrie Barbara auf: »Wie siehst du denn aus?!« Conny, die uns am nächsten Tag zum Essen eingeladen hatte, brachte es auf den Punkt: »Im Dunkeln siehst du aus, als ob du eine Glatze hättest.« Im Dunkeln? Ich sah auch im Hellen so aus. Dieser Superfriseur hatte meine Haare vergewaltigt und an mir das Modeideal des dreitagebärtigen Glatzkopfes verwirklicht, welches ja zur Zeit für Intellektuelle en vogue ist. Übrigens lange bevor die großen Krisen, welche gegenwärtig die Welt bewegen, in Sicht waren.

Wieder einmal scheint es, dass der kollektive Modehabitus dem wägenden Menschenverstand voraus ist. Im Saal der römischen Bildnisse in der Münchner Glyptothek gibt es den Kopf eines Mannes aus dem Jahr 240 n. Chr. Die Tafel dazu trägt den Text: »Das kurz geschnittene Haar, der grob eingepickte Stoppelbart und der angestrengte Gesichtsausdruck finden sich häufig bei Männerporträts des 3. Jahrhundert n. Chr., das von ständigen Krisen erschüttert wurde.«

Diese Geschichte wurde zuerst in ›Schröder erzählt: Das Äußere des Inneren‹ veröffentlicht.

BK / JS

 

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