vonSchröder & Kalender 01.09.2021

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.

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Es gibt eine Neuigkeit zu berichten: Nach mehr als 30 Jahren, in denen MÄRZ in zwei wichtigen Archiven schlummerte, steigt der Verlag nun aus den Sammlungen herauf und kehrt in die Gegenwart zurück. 

Der neue Verleger Richard Stoiber und ich präsentieren im Frühjahr 2022 das erste neue Programm, neben MÄRZ-Klassikern erscheinen auch neue Titel.«

Bald werden wieder MÄRZ-Bücher im Buchhandel präsent sein. Das  nehme ich zum Anlass und poste diese Geschichte über Schröders Lehrjahre, die er mir erzählte. Gut, dass sich die Zeiten inzwischen geändert haben! 

 

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Bei der Schrobsdorff’schen Buchhandlung auf der Düsseldorfer Königsallee begann ich 1957 als »Jungbuchhändler« meine Karriere – im doppelten Wortsinn von »carrière«, das bedeutet im Französischen sowohl »Laufbahn« als auch »Steinbruch«. Erwin Bornemann, der erste Sortimenter, war Leutnant gewesen, ihm fehlte ein Finger, und er unterließ es nie, wenn er in aufgeräumter Stimmung war, darauf hinzuweisen, dass er fast vors Kriegsgericht gekommen wäre, weil es ja in der Tat pflichtvergessene Selbstverstümmler gegeben habe, die sich selbst einen »Heimatschuß« verpassten. Bei ihm sei es natürlich ein echter Querschläger gewesen, nie hätte er sich zu solch einer Feigheit hinreißen lassen, bis zur letzten Patrone habe er irgendeine Festung, die mir entfallen ist, verteidigt. Ein Nazi, wie er im Buche steht, mit offenem Visier: »konservativ-revolutionär« nannte er seine Weltanschauung. Die Sterne an seinem Literaturhimmel waren Hans Grimms ›Volk ohne Raum‹, Erwin Guido Kolbenheyers ›Das dritte Reich des Paracelsus‹, Josef Pontens ›Wolga, Wolga‹, Edwin Erich Dwingers ›Die Armee hinter Stacheldraht‹ sowie die Bücher des höchstgeschätzten Will Vesper. 

Wie brachte so ein Buchhändler es über sich, Literatur zu verkaufen, die nicht nazistisch verseucht war? Ohne Probleme. Er hatte sich auf das Ablesen des Ladenpreises getrimmt. Während Bornemann mit dem Kunden sprach, spürte man keine negativen Vibrationen. Das ist die Buchhändlerschizophrenie. Einen Brecht kaufen, das ging bei ihm, aber gnade Gott, du wolltest ihn als Lehrling unter seiner Fuchtel lesen. Er stotterte manchmal leicht, und wenn er erregt war, also irgendeine Form von kommunistischer oder pornographischer Unterwanderung vermutete, brachte er fast keinen Ton heraus. 

Wütend versuchte er Jürgen von Wille von der Treppe zu scheuchen: »Herr von Wewewille!«, seine Zähne klickerten nervös, »wowowollen Sie sich nicht mal dort um den Kukukunden kekekümmern!« Denn Herr von Wille stand auf der Treppe und las Brecht, er machte Eindruck auf mich. Ein junger, vom vielen Hocken über den Büchern rundschultriger Mann mit dicker Hornbrille, großem Mund und in die Stirn gekämmten Brecht-Flusen, er hielt sich am liebsten an dieser Treppe auf, die zum Orkus der Fachliteratur hinunterführte. Hier gab es nämlich zwei Regalbretter für linke Autoren und Pornografie, darauf waren Jürgen von Willes Lieblingsbücher untergebracht. Pornografie und Kommunismus gehörten bei Schrobsdorff zusammen – das war der Underground 1957. 

Auch einer unserer besten Kunden stand gern dort an der Treppe. Ein großer Mann mit krausem schwarzem Haar, deshalb nannten wir ihn »Kräuselmeier«. Eigentlich hieß er Meier und war ein Bibliomane, der die Buchhandlung alle zwei Tage besuchte, viel kaufte, aber auch klaute. Alle Angestellten mussten Kräuselmeier unauffällig beschatten – unauf-fällig, weil er neben seinem Privatkonsum für die Lieferungen an den DGB zuständig war, in dessen Zentrale er arbeitete. Wenn er wieder etwas eingesteckt hatte, wurde er diskret darauf hingewiesen, dass er wohl vergessen habe, ein Buch zu bezahlen. Sogar Herr Doktor Mayer, der Inhaber der Buchhandlung, der sich sonst aus Gründen der Thomas Mannschen Distinktion nicht auf solche Niederungen herabließ, lauerte oben in seiner Chefkanzel, wenn Kräuselmeier sich bei den Klassikern im Salon zu schaffen machte. 

Kräuselmeier war auch ein Weiberheld, und es ist ja nichts Neues, dass die silberstrümpfige Buchhändlerin für Intellektuelle eine spezielle Anziehungskraft besitzt. Über eine dieser Jungbuchhändlerinnen erzählte Annemarie Scheffler Fürchterliches. Sie raunte mit lüstern herabgezogenen Mundwinkeln: »Inge hat eine Affäre mit Kräuselmeier, der ist richtiggehend pervers!« Von Frau Scheffler, dieser vierzigjährigen, hochbusigen und kurzhalsigen Dame aus der Zeitschriftenabteilung wusste ich wiederum, dass sie eine kurze und dramatische Affäre mit dem Exleutnant Bornemann durchlitten hatte. 

Frau Scheffler dampfte heftig, als sie mir unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit mitteilte: »Kräuselmeier hat schreckliche Sachen mit Inge getrieben. Ganz pervers ist der!« Inge habe sich ihr anvertraut, weil Kräuselmeier sie nämlich sexuell abhängig machte – »mit Analverkehr!« Zum ersten Mal hörte ich außerliterarisch von dieser Sexualpraxis. »Inge«, gluckste Frau Scheffler, »hat versucht, von ihm wegzukommen, aber sie ist ihm hörig geworden.« Analverkehr! Es ist schon ein Unterschied, ob du so was an der Treppe in den Olympia-Press-Greenbacks liest, wo auch die ›Geschichte der O‹ erschienen war, oder von einer blonden Buchhändlerin hörst, die ihn tatsächlich praktizierte. Immer, wenn ich von nun an Kräuselmeier sah, musste ich an Analverkehr denken. Der jungen Kollegin hat diese Hörigkeit nicht geschadet, weil sie nämlich gleich nach dieser unsäglichen Affäre einen Industriellen aus Westfalen heiratete. 

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Diese Geschichte erschien in ›Schröder erzählt: Moderne Zeiten‹ im März Desktop Verlag. Jörg Schröder und Barbara Kalender erzählten, die Transkription der Tonaufnahmen wurde von beiden Autoren redigiert. 

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BK / JS

 

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