Ich mag die TAZ: nicht nur, weil ich hier schreiben darf. Und ich mag das TAZ-Gelände, weil es schön ist, zu sehen, wie etwas aus Auseinandersetzung, Chaos und Protestbewegungen entstanden ist, und nun da ist. Diese Zeitung in ihrer Hausschale aus moderner Architektur und die Gemeinschaft, die sie trägt und von ihr getragen wird.
Es ist taz lab. Die Atmosphäre ist angenehm, freundliche Menschen und fast perfekt organisierte Logistik. Eine Veranstaltung, bei der ich war, ist zu Ende: der berührende und informative Vortrag der kasachischen Politikwissenschaftlerin und Historikerin Togzhan Kassenova. Ich gehe raus und lande im Park, mitten in einer Übertragung aus der Roten Bühne. Es läuft „Was heißt denn nun ‚Nie wieder‘?“ mit dem ägyptischen Soziologen Amro Ali und dem deutschen Politikwissenschaftler Peter Lintl.
Es geht um ein Waffenembargo, das die westlichen Staaten gegen Israel verhängen müssten. Amro Ali bekommt die Frage gestellt, welche Konsequenzen aus seiner Sicht gegen Hamas, Hezbollah und Iran verhängt werden müssten, damit sich der jetzige Krieg nicht wiederholt. Das ist – und das ist ja ganz offensichtlich – eine wesentliche Frage, die der Soziologe Amro Ali nicht beantwortet, – nein, es nicht einmal versucht,- sondern das Thema wechselt. Er hält das Scheinwerferlicht auf Israel.
Israels moralische Schuldigkeit zu beleuchten ist ja nun nicht sehr innovativ und hat wenig gebracht. Der Frieden ist keine Einbahnstraße – wir wissen das doch alle, wir wissen’s seit dem Kindergarten. Ich – hätte ich in diesem Kontext die Rolle einer akademischen Expertin inne – würde mich darum bemühen, alle möglichen wirksamen Instrumente aufzuzählen: Reparationsverhandlungen aller Parteien in der Region, Etablierung einer internationalen Friedensmission, die Israel das ordnungspolitische Monopol abnimmt, Stärkung der Frauenbewegungen, Finanzierung jüdisch-arabischer Schulen in Israel und den palästinensischen Gebieten, Aussteigerprogramme für Terrorist*innen, Rentensystem für Friedensaktivismus anstelle der Renten für Terror und selbstverständlich auch wirksame Sanktionen gegen Terrororganisationen und das iranische Regime, die mit ihren permanenten Drohungen und Angriffen Ressourcen stehlen, welche die Zivilgesellschaft auf beiden Seiten dringend bräuchte, um aufzuarbeiten und sich zu versöhnen. Und ja, ich würde vielleicht auch die ebenfalls dringend notwendige Aufhebung der Zwei-Klassen-Gesetzgebung in Westjordanland anführen wollen, für härteres legales Vorgehen gegen gewalttätige Siedler plädieren, De-eskalationstrainings für israelische Wehrpflichtige vorschlagen und für Museen werben, die über Gewalt und Rassismus aufklären und historische Narrative aufarbeiten.
Ich – wenn ich die Expertise hätte – würde mich im Detail damit beschäftigen, welche dieser Maßnahmen möglich seien, und welche scheitern, und – noch viel wichtiger – woran genau sie scheitern. Doch diesen Ehrgeiz – oder die Motivation, oder die kognitiven Kapazitäten – hat der Soziologe Amro Ali zumindest in diesem Augenblick nicht aufbringen können. Wie kann das sein, dass es mir mehr an Aufarbeitung, an Kommunikation und Aussöhnung liegt, als ihm? Wo doch der ganze Ausgangspunkt der Frage nach Sanktionen die Tatsache ist, dass der Krieg die Palästinenser*innen in Gaza auf lange Sicht noch härter trifft, als die Israelis?
Nun, ich glaube, – nein, ich bin mir sicher – weil Frieden in seinem Mindset gar keine Priorität hat. Die Moderatorin Lisa Schneider fragt abschließend, ob Frieden möglich sei und ob die beiden Gäste an eine Ein- oder Zweistaaten-Lösung glauben. Eine Zwei-Staaten-Lösung, sagt Amro Ali, sei ausgeschlossen; er glaube an einen „säkularen multireligiösen Staat“. Für viele Zuhörer*innen klingt ein „säkularer Staat Palästina“ mit religiösen Freiheiten erstmal gut, fast wie eine Utopie – das aber täuscht, und das fällt Peter Lintl auch auf. Er antwortet, dass Amro Ali mit dem „säkularen Staat Palästina“ Juden zwar religiöse Minderheitenrechte zugesteht, das Recht auf politische Selbstbestimmung jedoch ganz klar abspricht. Das ist treffend.
Auf jeder erwähnenswerten linken Bühne wäre es ein Skandal, einer ethnisch-kulturellen Minderheit das Recht auf politische Selbstbestimmung abzuerkennen, – wenn’s eben eine andere Minderheit wäre, und nicht die Juden.
Was ich hier raushöre, hinter den vermeintlich sachlichen Prognosen, ist die Grundidee, dass säkulare arabische Staaten nur ‚leben‘ können, wenn der Zionismus – der im Kern nichts weiter ist, als Anspruch auf politische Selbstbestimmung – stirbt – nein, sry – vernichtet wird.
Wieso ich das denke?
Arabische Staaten, ob nun säkular oder nicht, gibt es genug. Sie scheitern immer wieder ganz bombastisch darin, die Freiheiten religiöser, sexueller oder ethnischer Minderheiten zu schützen. Das ist nicht in Stein gemeißelt, und ich wünsche allen jetzt lebenden wie künftigen Generationen von Araber*innen und Muslim*innen nichts als Frieden und die kulturelle und individuelle Entfaltung, Seite an Seite mit allen anderen Menschen mit ihren anderen Identitäten. Ich wünsche es für alle* inklusive auch für meinen Sohn oder meine hypothetischen Enkel*innen.
Doch die Zukunft ist noch nicht geworden und die Idee, dass Palästina als ein weiterer arabischer Staat das jetzige Israel ablösen soll, ergibt doch nur unter bestimmten Prämissen überhaupt Sinn: entweder glaubt man, dass arabische Staaten besser gedeihen werden, wenn Israel verschwindet. Oder aber man hält die arabischen Staaten in ihrer jetzigen Form im Kern für ‚good enough‘: das ist aus der Perspektive der kulturellen, religiösen und sexuellen Pluralität und Gleichstellung faktisch nicht der Fall.
So oder so: Israel existiert. Ein multi-ethnischer, von Krieg und Terror – und ja, auch von internen Konflikten und Hierarchien – geplagtes Land, in dem reale Menschen leben, deren Identität sich zwar nicht darin erschöpft, dass sie Israelis sind, deren Identitätskern aber mehrheitlich genau das mit-ausmacht: ein*e Israeli* zu sein. Es ist doch klar, dass diese Identität immer wieder umso mehr an Bedeutung gewinnt, je häufiger versucht wird, sie zu denunzieren und ihre politisch-kulturelle Grundlage zu zerstören: den gleichnamigen Staat. Und genau das schlägt Amro Ali vor.
…Und so erklärt man mir wieder einmal den Krieg, dieses Mal auf der Roten Bühne der TAZ.
Ich kann wohl nicht bestreiten, dass Zionismus – und ich gebe zu, dass ich mich hier noch nicht systematisch durchgearbeitet habe – u. A. auch problematische Stränge aufweist: das leider immer noch aktuelle Beispiel ist die Gewalt der ultrarechten Siedler, die sich immer wieder auch pogromartig entlädt. Jede nationale Bewegung und jede politische Identität, da sie – wenn sie erfolgreich ist – Machtstrukturen produziert, wird auch Unrecht tun: Die Frage ist, wie dominant diejenigen sind, denen es auf die Vorherrschaft allein, und nicht auf Kooperation ankommt. Let’s be clear. Der Terror der Hamas, die permanenten Bombardements, der antizionistische Hass rechtfertigen nicht die Siedlergewalt: und sie erklären sie auch nicht, sondern fördern sie (höchstens). Ebenso erklären die Gewalt der Siedler, die Verluste palästinensischer Familien und die vielen Tragödien des Krieges die Vernichtungsphantasien arabischer Nationalisten nicht. Das Ausbleiben der repressiven Maßnahmen durch die IDF würde entsprechend nicht ausreichen, damit die Gewalt ausbleibt, – und daraus folgt, dass Sanktionen – zum Beispiel gegenüber den ideologischen Initiatoren und Profiteuren des Terrors – aber auch den enthusiastischen Mittätern – dringend geboten sind, um weitere Kriege zu verhüten. Dennoch widmen sich die engagiertesten Fürsprecher der Palästinenser genau dieser sehr relevanten Frage kaum.
Aus meiner Sicht hat das Gründe in extremen Varianten der toxischen Männlichkeit.
Fußnote:
Wer aufgrund einer Ungerechtigkeit wütend ist, dem wird in vielen linken Kontexten automatisch unterstellt, dass er ein guter Mensch ist, dass er emphatisch und sozial ist und für alle nur das Beste will. Und zufälligerweise können sich friedfertige westliche Beobachter – Medienleute, Helfer oder einfach wohlmeinende Interessent*innen – mit den Vertreter*innen diverser völkischer, religiös-fundamentalistischer oder anderweitig motivierter antizionistischer Gruppen darauf einigen, dass vielen Palästinenser*innen viel Unrecht widerfahren ist.
Dem liegt ein Denkfehler zugrunde: als ungerecht empfinden wir etwas, wenn wir eine soziale Ordnung als gültig annehmen, die aber aus der subjektiven Sicht gravierend verletzt wurde. Über die Güte der sozialen Ordnung sagt das gekränkte Empfinden allein gar nichts aus. Westliche Sympathisant*innen, die für den arabischen Antizionismus Verständnis aufbringen, wissen aus meiner Sicht gar nicht, welche Ideologie und welches Mindset sie hier verharmlosen.
Ich war selber auf der Veranstaltung, habe die Inhalte ganz anders wahrgenommen und bin wirklich baff über die grottenschlechte Qualität und den rassistischen Unterton in diesem Artikel. Wie kann ein Artikel durchgehen bei dem nur ein Gast so dermaßen angegriffen wird? Die mangelhafte journalistische Arbeit und die voreingenommene Herangehensweise an die Expertenaussagen müssen offensichtlich zu einer einseitigen Berichterstattung geführt haben und die Urteilsfähigkeit so eingeschränkt, dass sich die Autoren sich auf Krampf nur mit rassistischen Vorurteilen zu helfen gesucht hat.
Eins muss klargestellt werden: Angesichts der Tatsache, dass Israel wegen seiner menschenverachtenden Kriegsstrategie beim IGH Rechenschaft ablegen muss, brauchen Sie sich nicht wundern, dass das Scheinwerferlicht auf Israel liegt. Israel bombardiert nach wie vor unschuldige Zivilsten und hat Gaza dem Erdboden gleichgemacht. Es überrascht also nicht, dass das Interesse darauf gerichtet ist.
Sie schreiben eine Etablierung einer internationalen Friedensmission wäre notwendig, ich frage mich, wer Ihnen gesagt hat, dass die Amro Ali nicht das gleiche einfordert? Wenn Sie die gesamte palästinensische Bevölkerung als Terroristen brandmarken und ihnen jegliche Menschlichkeit absprechen, dann ist es nicht verwunderlich, wenn Sie dies auch für alle arabischen Menschen tun und ihnen „kognitive Fähigkeiten“ absprechen wollen. Mit Ihren kulturalistischen Argumenten bei denen Sie Amro vorwerfen Frieden wäre nicht Teil seines „Mindsets“ verbreiten Sie abscheuliche Lügen und betreiben Hetze, die wirklich nicht mit seriöser journalistischer Arbeit vereinbar sind. Offensichtlich passt es in Ihrem Weltbild nicht rein, dass arabische und arabischstämmige Menschen genauso das Recht auf Leben und Selbstbestimmung haben und auch feministisch, demokratisch und friedensstiftend sein können, weil dann hätten Sie auch begriffen, dass Amro genauso arabische Autokratien kritisiert und sich genauso wie Sie für die Rechte von Frauen einsetzt. Sie schreiben über „arabische Staaten“ als wären diese homogene Gefüge – nicht verwunderlich bei Ihrem orientalistischen und rassistischen Mindset. Demokratiebestrebungen sind keine Seltenheit in dieser Region gewesen und es wäre schon, wenn Sie nicht so tun würden als wenn nicht massenhaft arabische Bürger für den Kampf für Freiheit, Gleichheit und Demokratie gestorben sind und noch bis heute kämpfen. Die „engagierten Fürsprecher der Palästinenser“, wie Sie sie nennen widmen sich all der Fragen, die sie aufgelistet haben: Siedlergewalt, ungleich verteilte Macht und ja sogar die Hamas wird von vielen kritisiert. Viel wichtiger ist die Frage, ob Sie einfach zu blind von ihren eigenen Vorurteilen sind, bei denen alle Araber vermeintliche „Vernichtungsphantasien“ ausleben wollen, um die Kooperationsbemühungen sehen zu können, die sie sich ja so wünschen. Man fragt sich, ob nicht sie diejenige sind, die einen Spaß darin haben hetzerische und menschenverachtende Propaganda zu verbreiten und sich dann als das Opfer aufzustellen.