vonFabian Schaar 29.07.2021

other society

Ein Blog zu Politik, Gesellschaft und dem Dazwischen: Vielleicht ändert sich ja doch noch was?

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In der gesellschaftspolitischen Debatte muss mensch sich erfahrungsgemäß so einiges an teils ziemlich unbegründeten Einwänden anhören, wenn linke und progressive Ideen angebracht werden. Nach dem Motto: „Das liegt nicht in der Natur des Menschen!“ oder „Das ist viel zu idealistisch und realitätsfern!“, killen einige Apologeten des Konservatismus meiner Meinung nach vollkommen ohne sinnige Argumente gesellschaftspolitische Vorschläge, die es in der heutigen Zeit – angesichts der immensen Klimakrise und immer größerer, extremerer sozialer Spaltung – eigentlich erst recht zu diskutieren wichtig wäre. In diesem und einem in Kürze folgenden Beitrag möchte ich deshalb auf die Einwände von neoliberal, konservativ und noch rechter Denkenden eingehen, beginnend mit dem Sinn von angeblich ach so idealistischen und unrealistischen gesellschaftlichen Utopien. Teil zwei dreht sich in naher Zukunft um das sogenannte „Wesen des Menschen“.

Auch halbwegs progressiv argumentierende Menschen können, zumindest nach meiner Erfahrung, mehr oder weniger in eine ablehnende Haltung zur politischen und sozioökonomischen Utopie geraten. So gesehen in reformistisch-sozialdemokratischen linken Strömungen, ferner auch in der wortwörtlich geflügelten Inkonsequenz, dem Realo-Flügel der Grünen. Immer wieder kommt es in Debatten, in denen ich involviert bin, zu folgender Situation: Ein gesellschaftlicher Missstand wird festgestellt (davon gibt es nun wirklich mehr als genug – einer ist hier schon zu viel…), nun wird über einen Ausweg diskutiert. Doch kaum wird weiter gedacht, als in Kategorien der kleinsten gesellschaftlichen Veränderungen, kaum wird ein Problem (etwas näher) an der Wurzel zu packen versucht – der Wortsinn der so verschrienen Radikalität –, anstatt immer nur die Oberfläche anzukratzen, fliegen Phrasen, dass das ganze utopisch, niemals zu realisieren sei, sicher nicht nur mir um die Ohren.

Doch ist diese Reaktion wirklich gerechtfertigt? Immerhin teilen sie so viele, dass all diese Menschen zusammen wohl tatsächlich etwas erreichen könnten, würden sie sich nicht dermaßen querstellen.

Denken wir also darüber nach, ob eine so massive Ablehnung gegen die Utopie irgendeinen Sinn ergibt, ist es nötig über den ursprünglichen Zweck der Utopie zu philosophieren. Ja, zu philosophieren, denn genau dafür sollten Utopien da sein. Das utopische Denken sollte das blanke Papier für einen gesellschaftspolitische Vorstellung einer besseren Welt sein, einer Welt in der heutige und wiederkehrende gestrige Probleme aus der Welt geschafft wären.

Diese Welt, die Utopie selbst ist zu Anfang sicherlich nicht mehr als eine kleine Skizze, nur mit den nötigsten Linien, Ideen versehen. Und doch kann diese, wird diese mit der Zeit wachsen, in der Kommunikation, in der Einbeziehung anderer Aspekte und Perspektiven.
Eine Utopie stellt meiner Meinung nach einen zentralen Aspekt nicht nur der progressiven Debatte, sondern eben auch der progressiven Entwicklung dar. Den Aspekt der vor Augen gehaltenen Zielvorstellung, die mit der Zeit jedoch mehr und mehr wachsen kann.

Immer wieder wird kritisiert, wer über Utopien nachdenke, verliere den Bezug zur Realität, zu jetzigen sozialen Kämpfen. Meiner Ansicht nach ist nicht selten genau das Gegenteil der Fall: Wenn Probleme angegangen werden sollten, müssen vor allem deren Ursachen ausgemacht und ausgeräumt werden. Die Vorstellung einer grundlegend anderen Welt, der Utopie, sollte eigentlich, so erscheint es zumindest mir sehr logisch, klar machen, auf welchen Fundamenten die jetzige Gesellschaft fußt.
Ein Beispiel: Eine Richtlinie bestimmter Mengen CO2-Ausstoßes für die Industrie mag sicherlich einigermaßen begründet sein, ist meiner Ansicht nach jedoch viel zu inkonsequent. Stattdessen braucht es in diesem Fall grundlegende wirtschaftliche Veränderungen, was die Prinzipien des Kapitalismus und seiner Naturausbeutung angeht. Wer sich nun eine Welt ohne den Kapitalismus vorstellt, sich mit grundlegenden aber auch spezifischen Fragen des Wirtschaftssystem auseinandersetzt, kann auch Probleme im hier und jetzt sinnvoller angehen, da beispielsweise wichtige Stellschrauben leichter ausgemacht und verdreht, verändert werden könnten.

Während sogenannte Realos an der Oberfläche der Probleme kratzen, diese womöglich isoliert und nicht im Kontext eines gesellschaftlichen Zusammenhangs betrachten und behandeln, während der entsprechenden Lösung noch hundert „Kompromisse“ eingehen und am Beispiel der Grünen schnell mal als Salatbeilage der Unionsparteien enden, können konsequentere, linkere, progressivere und sicherlich auch radikalere politische Akteure, sinnvoll an Probleme herantreten.

Fazit

Utopien nehmen einen wichtigen Stellenwert ein, wenn es um progressive, gesellschaftliche Entwicklung geht. Sie können Träume sein, die es zu träumen gilt, Zielvorstellungen, nach denen zu streben der gesellschaftlichen Entwicklung eine Richtung gibt, zusammengesetzt dann entsprechend aus moral-ethischen Aspekten unter der Einbeziehung aller. Utopien können hilfreich sein, wenn es um die Problemlösung im Hier und Jetzt geht.
Anstatt blind und vielleicht ein wenig wehmütig Utopien kategorisch als realitätsfern auszuschließen sollte vielmehr das, was im Moment realitätsfern ist, zu schön um wahr zu sein, zur Realität zu erhoben werden!


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Dieser Text von Fabian Schaar ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz.

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