„Es sieht so aus, als würden die Radio-Aktiven die Macht übernehmen. Aktive Nutzung heißt Selbstselektion. D.h. es gibt keinen starren Zeitrahmen mehr, dem man sich fügen müsste. Die Vorteile liegen auf der Hand: Wer selbst bestimmen kann, was er wann hören möchte, versäumt nichts mehr und wird nicht mehr mit Dingen belästigt, die ihn nicht interessieren. Diese zeitsouveräne Nutzung des Sendeangebots passt sehr gut in eine Gesellschaft, in der ein individueller Lebensstil vor allem an der Freiheit erkennbar ist, über die eigene Lebenszeit zu disponieren: Radio in Eigenzeit.“ (Norbert Bolz)
„Eine zeitsouveräne Nutzung des Radios“, …und in deren Folge die „narzisstische Kränkung“ der RedakteurInnen, die bald erkennen werden, daß HörerInnen „kreativer“ sind als die Insassen der öffentlichen Anstalten. Die WebBürger werden Meister ihres radiophonen Alltags sein. Soweit könnte es kommen. Soweit kann man denken. Und vielleicht noch weiter. Gern auch quer. Eben dafür steht Kommunikator Norbert Bolz samt seiner heiß umstrittenen Theorie der neuen Medien („Das Göttliche ist heute das Netzwerk“). Und da es täglich von Neuem Zeit wird, daß man sich jenseits eindimensionaler Spardiskussionen auch verschärfte Gedanken über Zukunft und Gegenwart des Radios macht, hat das brandneue Medienmagazin „Mehrspur“ (SWR2) bei Bolz nachgefragt, ob er sich mal äußern könnte: Über die Perspektiven eines „Radios ohne Programm“. Zum Beispiel. Was er dann auch getan hat.
Ulrike Toma erörtert indes die funkischen Trends beim „Prix Italia“ und Simon Elmes (BBC) sucht das zu ergründen, was alle Radiophonen ziemlich gern hören, aber selten definieren können: das „Feature“. Hört sich meist gut an, ist mitunter auch vielschichtig und kunstvoll gebaut, aber was genau, bitte schön….? „Die Bezeichnung ‚Feature‘ bedeutet nicht wirklich etwas. Ich glaube, die haben sie im Jahr 2000 in der BBC geändert. Da wurden wir offiziell in „Dokumentations-Abteilung“ umbenannt; einfach weil die Leute mehr mit dem Wort ‚Dokumentation‘ anfangen konnten als mit ‚Feature‘.…“ Schade drum! Und dann doch wieder alles anders. Und in Bewegung. Wie die „Sau“, die RundFunker oft genug durch’s Dorf jagen – Tom Schimmeck intoniert die erste Folge der munteren Kolumne. Bei „Mehrspur“ (und zunehmend auch in der „taz“, wie aus gut unterrichteten Kreisen verlautet) wird eben das Medium Radio reflektiert, einmal im Monat, immer wieder sonntags, dreißig Minuten vor zwanzig Uhr. Am 10. Oktober ist Premiere. Mit Schimmeck, Bolz und den anderen.
Dabei werden Radiokonzepte und -inhalte durchaus kritisch reflektiert. Und das auch nicht nur in der (doch extrem knapp bemessenen) monatlichen halben Stunde, in der „Mehrspur“ on air oder im Livestream zu hören ist. Immerhin gehört zum mehrspurigen Projekt auch noch ein fetter „DokuBlog“, der all die Kommentare, Diskussionen und Beiträge der nicht nur digital hörenden, sondern auch produzierenden Web2.0-Klasse aufnimmt – ein Fundus für SWR2-Feature-Redakteur Wolfram Wessels, der für all die „Spuren“ verantwortlich zeichnet: „Es wird eine Hörspiel-Spur, eine Feature-Spur, eine Internet-Spur, eine Diskursspur, Musik-, Sound- und Textspuren geben – der DOKUBLOG im Internet sammelt und dokumentiert sie, „MEHRSPUR“ reflektiert sie.“
Im „DokuBlog“ meldet sich durchaus schon mal die freie Szene zu Wort, all die wüsten Wellen, all die freien RadiomacherInnen, die nicht im ARD-Verbund mitspielen, aber trotzdem einen Programmauftrag haben: „Serve your own community!“ Auch da Potentiale, auch da Hörenswertes, auch dort Radio. Eine von vielen interessanten Spuren, die es hörbar zu machen gilt. Und Redakteur Wessels will genau das: die Ohren für die kluge und spannende „Welt des Radios“ öffnen. Und die ist vielfältig und farbig genug. Just listen!