vonDetlef Berentzen 25.06.2012

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Digital vorliegende Spuren sind nie wirklich weg. Sie tauchen womöglich irgendwo und irgendwann wieder auf – und explodieren im Extremfall zum Skandal. Auch das Medium der programmierten Vergänglichkeit und Flüchtigkeit, das Radio, hat sich im digitalen Zeitalter entscheidend verändert. Es ist vom gnädigen zum gnadenlosen Medium geworden. (Bernhard Pörksen)

Wieder einer, der das Radio reflektiert – „Mehrspur“, das Medienmagazin von SWR2 macht im Grunde nichts anderes. Lädt Monat für Monat immer wieder Medienprofis ein, sich hörbar zu machen, Perspektiven für die digitale Zukunft des Radios zu entwerfen. Oder auch, um das Jetzt eines längst nicht mehr runden Funks zu analysieren, der durch das Web einen Paradigmenwechsel vollzogen hat: meinetwegen eben auch den „vom gnädigen zum gnadenlosen Medium“. Denn es stimmt schon, was der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen da vorträgt: Im Radio „versendet“ sich nichts mehr, alles bleibt erhalten und im Netz abrufbar, die Gnade des flüchtigen Worts, das im Äther verrauscht und höchstens noch auf Anfrage als Manuskript vorhanden ist, hat keine Wahrheit mehr. Alles bleibt. Alles staut sich auf machtvollen Servern, die jedes Wort für alle Zukunft, für jedermann und jede Frau verfügbar machen. Da genügt kein Anruf im Sender mehr: „Könntet ihr mal, ich hab das nicht so….“ Die Talking Heads des Radios geraten im digitalen Zeitalter außer Kontrolle, jedes Wort, jeder Satz eine Spur, die kein Wind mehr verweht. Alles bleibt.

Auch die Erinnerungen. Analoge Erinnerungen. An die alten Radio-Days. An ein Radio, das ihm „Tor zur Welt war“, …schwärmt Roger Willemsen in der neuesten Ausgabe von „Mehrspur“. Der Multimediale erinnert in der zuständigen Rubrik seine Geschichte mit dem alten Röhrenradio, an dem er so wunderbar „kurbeln“ konnte und dabei die große weite Welt auf Lang- und Kurzwelle entdeckte. Allemal inspiriert durch die großen und allemal lauschenden Ohren seiner Großmutter. Später dann Hörspiele: Beckett, Eich, Wondratschek – Bilder für die Ohren und later on Willemsens eigene Arbeit für den Rundfunk,  die Ohren „aufschließen“ wollte er, kritisiert deshalb das heutige „Formatradio“, wünscht sich hilfsweise vorwärts:

„Ich wünsche mir ein Radio, das so vielfältig wie möglich ist, das ermöglicht, daß die Kulturen miteinander in Kommunikation treten können, daß die unterschiedlichsten Musikstile, Sprechformen zu hören sind. Ich wünsche mir das Radio reich wie ein Korallenriff, mit einer hohen morphologischen Differenzierung all dessen, was in diesem Medium möglich ist. Ich wünsche mir, daß das Radio sich weniger auf Formate einlässt und mehr auf Unterschiedlichkeiten, auf Vielfalt. Das gilt sowohl für die Musik als auch die Texte.

Dem Radio nachdenken, seine Zukunft entwerfen, seine Vergangenheit feiern, so sie es wert ist – alles „Mehrspur“. Also gratuliert Redakteur Wolfram Wessels  in der Juniausgabe dem großen Ror Wolf zum achtzigsten Geburtstag, macht ihn hörbar, empfiehlt die aktuelle Compilation seiner Hörspiele: „Die Einsamkeit des Meeresgrunds“. Und wen das Programm des Magazins trotz all dem nicht zum hörigen „Winner“ macht, für den hält es den  radiophonen Programmpunkt  „Autogenes Training für Verlierer“ bereit. Mehr kann man nicht verlangen. Eigentlich. Just listen!

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