vonDetlef Berentzen 01.08.2013

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Neulich war’s. Redakteur Wolfram Wessels (der bekannte „Mehrspurige“ vom SWR2) besuchte mal wieder (von Baden-Baden kommend) eine Tagung, irgendwo am Rande von Berlin. Schade, bei mir vorbeigeschaut hat er nicht, wohl deshalb, weil ich zu sehr in der Mitte wohne. Die vom Rand kommen selten in die Mitte. Aber lassen wir das. Da war also diese Tagung und die beschäftigte sich mit (hört!, hört!) den „digitalen Sinneskulturen“ des Radios. Kein schlechtes Thema für einen, der tatsächlich versucht, Monat für Monat ein reflektiertes Medienmagazin zum Thema „Radio“ abzuliefern. Hat er auch jetzt wieder getan und dabei von einem der Vorträge berichtet, die er in den Sinnesgärten der Nalepastraße am spannendsten fand: der US-Medienwissenschaftler Jason Loviglio hatte eine Radiosendung präsentiert, die erfolgreich im öffentlich-rechtlichen Raum der Vereinigten Staaten gesendet wird – Titel: „This american life“. HörerInnen erzählen ihre Geschichten, Reporter reisen an, fragen genauer nach und fertig ist die Story(wie in der Weekend-taz eigentlich). Zunächst assoziierte ich das ehemalige US-Fernsehformat von Charles Kuralt „On the road“, historisch wertvoll und bewegend, aber dann war doch alles anders. Was Wolfram Wessels von der Expertise Loviglios berichtet, ist ein Stück Endzeit-Reportage.

„Öffentliches Radio im Zeitalter der Hörerbeteiligung sei längst kein kutureller Raum mehr, in dem soziale Konflikte behandelt würden, sie würden nur noch abgebildet. „This American Life“ zelebriere einen Individualismus und gebe dem Hunger nach menschlicher Begegnung Ausdruck, sei nicht auf Erkenntnis aus, sondern auf  Freude, sich zu äußern. „This American Life“ bezeichnete er als Heimstatt für die Innerlichkeit neoliberaler Subjektivität. Wenn dieses Format die Radiolandschaft dominiere, und subjektive Äußerungen das historische und gesellschaftliche Verstehen  ersetzten, wäre das das Ende der engagierten Reportagen und dokumentarischen Arbeit, wie wir sie bislang noch kennen. Wir würden dann die Stimmen einer liberalen Vergangenheit hören in der moralischen Perspektive einer neoliberalen Zukunft.

„Wir w ü r d e n …“? Excusez, an diesem prekären Punkt der Entwicklung sind wir doch längst: Die große Subjektivität, der ganze mainstreamende Boulevard hält doch unter dem Begriff „Beteiligung“ längst  zunehmend Einzug in die Redaktionen und wird zum Primat nicht weniger Programme. Wieviel Kopien privat gefunkter Formatvorgaben braucht es eigentlich noch, bevor so etwas wie Selbstbewußtsein statt Hilflosigkeit gesendet wird. Nun, ich will mich nicht allzu sehr aufregen, immerhin produziert das „Life“ der Amis, so hören wir, auch Freude und die ist ja allemal einen Götterfunken wert.

Und dann Frankreich. Gerade war ich in Paris und da berichtet mir jetzt eine der Spuren des Wessels-Magazins vom aktuellen Zustand der französischen Radiolandschaft und davon, daß dort Features und Hörspiele zunehmend verschwinden – man sendet immer weniger exzellente Audioware. Überhaupt: Frankreichs Kulturradios haben ziemlich schlechte Quoten, was meine Laune nicht heben kann. Gut, daß gleichzeitig auch von mehr als 500 Bürgeradios die Rede ist, die in einem Land exisitieren, dessen HörerInnen einst die Bastille niedergebrannt haben. Was, zugegeben, lange her ist. Dennoch, es gibt  in Frankreich genügend Festivals der Radiokunst und seit einiger Zeit sogar einen Verein zur Rettung des Features. Allons enfants!

En passant: Was mir in all den Debatten und Klageliedern zum Thema Radio (auch Fernsehen) fehlt, ist die ehrliche Beantwortung der Frage, wer eigentlich und auf welche Weise, die Hör- und Sehgewohnheiten der GebührenzahlerInnen in einem lang andauernden Prozeß so konditioniert hat, daß viele von ihnen ihr Leben nur noch als Dschungelcamp oder Hitradio begreifen können!? Nur ein Tipp: Die Wahrheit der großen Apparate stellt sich immer hinter deren Rücken ein – man sollte sich einfach mal öfter umschauen. Und mit langem Atem experimentieren.

Was bleibt, ist die Feststellung, daß auch dieses Mehrspur-Magazin wieder durchaus als inspirierender podcast daherkommt, samt DokuBlog-Intermezzi zum Thema „Steuermann“ (!) plus Tom, der uns auch diesmal wieder den Schimmeck gibt und die „Sau des Monats“ durch’s mediale Dorf treibt: Snowdon und die anderen diesmal. Nicht schlecht montiert. Just click and listen!

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