vonDetlef Berentzen 05.11.2014

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Ein Gespenst geht um in der bürgerlichen Zivilisation, das Gespenst der Infragestellung ihrer Kultur, die in der modernen Auflösung all ihrer Kunstmittel zum Vorschein kommt. Wir müssen weiterkommen, ohne an irgendeinem Aspekt der modernen Kultur oder sogar deren Negation hängenzubleiben. Nicht auf das Spektakel des Endes einer Welt wollen wir hinarbeiten, sondern auf das Ende der Welt des Spektakels. („Internationale Situationiste“, 1959)

Philipp Ruch: Wir stehen für politische Aktionskunst, wir wollen mit den Fähigkeiten, die wir haben, für die Schwachen kämpfen, das ist eigentlich das Geschäftsgeheimnis oder das Geschäftsprinzip des Zentrums für politische Schönheit und das ist genau das, was wir machen. Du hast Schlingensief erwähnt. Unglaublich.  „Chance 2000“, die Container-Aktion in Wien, der „Hamlet“ in Zürich: ich habe nie wieder so ein Theaterstück gesehen, nichts was auch nur in die Nähe kommen könnte: Drei Wochen nach dem 11. September stellt er das Stück komplett um und verwandelt es im konservativsten Haus des deutschsprachigen Theaters, also im Pfauen in Zürich, wo man dem Lichttechniker zwei Jahre vorher sagen muss, daß man einen Scheinwerfer braucht, an so einem Ort schafft es Schlingensief in drei Wochen, das Stück umzustellen und inszeniert dort den „Hamlet“, die Taliban gegen die Amerikaner. Unfaßbar!

db: Ist das Zentrum für Politische Schönheit avantagardistisch?

Also mit der Avantgarde tue ich mich schwer. Ich glaube, wir leben einfach in einer Zeit, in der so gut wie alles schon gemacht wurde. Und das, was noch nicht gemacht wurde, das lasse ich auch gerne unberührt. Du hast nach dem Kunstbegriff gefragt, was ist unser Kunstbegriff? Die Frage halte ich schon für wichtig oder berechtigt. Wir werden als Aktionskünstler wahrgenommen, würden auch selber sagen, dass wir das zuallererst sind. Wir sind keine Filmemacher, vielleicht noch nicht einmal Theatermacher, da müsste erst der Theaterbegriff ein anderer werden. Also im Prinzip ist der Kunstbegriff, der mir da gerade vorschwebt, der der Handlungsfreiheit und meint die Möglichkeit, die Freiheit, das zu tun, was man thematisieren will und auch kann.

Nie ohne die hohe Kunst der Inszenierung?

Ja, sicher.

Und die Kunst der Provokation!

Absolut, absolut. Gegen das Provozieren würde ich mich nicht wehren. Ich weiß, Schlingensief hat sich dagegen gewehrt, er hat das Konzept der Selbstprovokation aufgemacht. Und er war auch ein Meister darin, sich dem auszusetzen, was er getan hat. Dieses Konzept der Selbstprovokation interessiert uns aber nicht. Uns interessiert die Provokation starrer gesellschaftlicher Strukturen.

Und aus wem besteht das Team der Provokateure, wer sind die schönen Macher?

Das sind Kreative aus allen Bereichen. Texter, Graphiker, Website-Programmierer. Und dann natürlich auch Theaterleute, aus dem Kunstbereich usw. Die dpa, die Deutsche Presse Agentur, schreibt, wir seien hundert Leute, das wird so eine Nummer sein, die im Bezug auf alle Mitwirkenden stimmt, das Kernteam aber besteht aus sieben bis acht Leuten.

(Elemente eines langen Gespräch, das ich mit Philipp Ruch und André Leipold  für mein Hörfunk-Feature „Der Geschmack radikaler Lust“ geführt habe)

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