vonDetlef Berentzen 14.11.2014

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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In der Zukunft ist eine freie Kunst diejenige, die all die neuen Konditionierungstechniken beherrscht und ausnutzt. Ausserhalb dieser Perspektive gibt es nur die Sklaverei der künstlich wiederbelebten Vergangenheit und des Kommerz. (Constant, Situationistische Internationale)

Es geht um eines jener „Projekte“, deren Sinn sich nur erschließt, wenn man ganze Ordner von Pressemitteilungen voller Dramaturgensülze gelesen hat. Der Regisseur Philipp Ruch vom „Zentrum für politische Schönheit“ will mit seiner Aktion „Erster europäischer Mauerfall“ zum fünfzwanzigsten Jahrestag der innerdeutschen Grenzöffnung daran erinnern, dass längst eine neue „Mauer“ entstanden ist: die befestigte EU-Außengrenze. Entstanden ist dabei der hirnrissigste Dreck, der in der jüngsten Zeit aus deutschen Theater gekommen ist – gegen starke Konkurrenz. (Matthias Heine, Die Welt)

Muss das Theater den Macht- und Rechthabern, den Opportunisten und Lügnern im Alltag nicht eigentlich auf halber Strecke in ihre Trutzburgen zuschreien: Machen Sie den Weg frei, das Theater ist da! Wenn Sie mit Ihrer Vorstellung nicht ins Theater kommen, dann kommt das Theater eben zu Ihnen! (Christoph Schlingensief, Aktion 18)

Wir sollten der Künstlergruppe dankbar sein, dass sie den 9. November in einen größeren historischen und zeitgenössischen Zusammenhang gestellt hat. Denn das ist die Aufgabe der Kunst: immer wieder die Finger in die Wunden zu legen und nicht Sichtbares sichtbar werden zu lassen. Der Rat für die Künste ist dem Maxim Gorki Theater und dem Zentrum für Politische Schönheit dankbar für diese wichtige und ergänzende Aktion zum 9. November 2014. (Rat der Künste, Berlin)

Wir wollen nicht Interessen, Meinungen oder einen blinden Willen ins Zentrum der Politik stellen, sondern Hoffnungen, Träume und Visionen. Hoffnungen sind ein gewaltiger, neu entdeckter Rohstoff , der nicht dazu da ist, von der Menschheit jemals aufgegeben zu werden. (Philipp Ruch)

 

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Wenn die Kunst Grenzen überschreitet – nach wessen Meinung ist ganz und gar gleichgültig – wenn sie zu weit geht, dann merkt sie’s schon: Es wird auf sie geschossen. Wie weit sie gehen darf oder hätte gehen dürfen, kann ihr ohnehin vorher niemand sagen, sie muß also zu weit gehen, um herauszufinden, wie weit sie gehen darf, wie weit die ihr gelassene Freiheitsleine reicht. Sie bringt nicht nur, bietet nicht nur, sie ist die einzig erkennbare Erscheinungsform der Freiheit auf dieser Erde. (Heinrich Böll)

Ursache für den Lärm um das künstlerische Nichts ist die notorische intellektuelle Selbstüberschätzung der Theaterleute. Diese leichte mentale Dysfunktion tritt bei ihnen ähnlich häufig auf wie bei Kirchenfunktionären und Schriftstellern. Ständig fühlen sie sich gedrängt, die Welt über Dinge zu belehren, die komplett außerhalb ihrer Kernkompetenz liegen. Es handelt sich dabei um eine Übersprungshandlung, mit der sie den Sinnkrisen ihres Gewerbes entkommen wollen: Pfarrer, die nicht mehr an Gott glauben, reden lieber über soziale Gerechtigkeit. Schriftsteller, die sich ausgeschrieben haben, fühlen sich sicherer auf dem Terrain der „Israelkritik“. Und Theaterleute, die zu unbegabt sind, Stücke zu inszenieren, dilettieren auf dem Felde der Politik. (Matthias Heine, Die Welt)

Ich brenne Euch das Bild von drei Dimensionen in die Seelen und schleife euch durch die Simulation Eures Lebens…..( André Leipold/Kreismal: „Veto“)

Was die Kunst braucht, einzig und allein braucht, ist Material – Freiheit braucht sie nicht, sie ist Freiheit; es kann ihr einer die Freiheit nehmen, sich zu zeigen – Freiheit geben kann ihr keiner; kein Staat, keine Stadt, keine Gesellschaft kann sich etwas darauf einbilden, ihr das zu geben oder gegeben zu haben, was sie von Natur ist: frei. (Heinrich Böll)

Wie schade: Es war doch gerade so schön gewesen. Aber jetzt – abschnallen, locker machen, Füße ausstrecken – wird es leider etwas einfältig und auch ein bisschen banal. Weil Berlins Innensenator Frank Henkel sich kritisch über die Kunstaktion des Zentrums für Politische Schönheit geäußert hat, haben die Kunstaktivisten nun Strafanzeige gegen ihn erstattet. Wie peinlich. (taz)

Ich will nicht so viel über die Freiheit der Kunst diskutieren, die ist selbstverständlich, sondern über die fehlende Freiheit der von Flucht Betroffenen und die Kriminalisierung von Flucht. Die Erfahrung der Aktivisten vor Ort war, dass selbst wir Europäer nicht einmal in Augenschein mit unseren Grenzen treten können, wenn wir sie öffnen wollen. (Shermin Langhoff, Gorki-Theater)

Das Zentrum für politische Schönheit hat eine breite Diskussion um die Mittel und Grenzen der Aktionskunst angestoßen. Vermehrt wurde ihm Zynismus vorgeworfen. Scharfe Kritik kam auch von Seiten des Ästhetikprofessors Bazon Brock, der die Aktion als “humanistisches Geschwafel” bezeichnete. Es sei eine “Schweinerei, dass auf dem Rücken von 48 Millionen Weltflüchtlingen ein paar Ästhetiker ihre Süppchen kochen”, so Bazon Brock in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur. Doch ist die Kunstaktion des Zentrums für politische Schönheit zynisch? Wie wäre dann erst die europäische Abschottungspolitik einzustufen? Man wird die Berliner Mauertoten nicht nach ihrem Urteil oder einer Einwilligung fragen können. Gewiss ist jedoch eines: Selten zuvor war das in Vergessenheit geratene Gedenken an die Opfer einer mörderischen Grenze so präsent wie in den letzten Tagen. (Humanistischer Pressedienst)

Wie wird man berühmt? Indem man Dada sagt. Mit edlem Gestus und mit feinem Anstand. Bis zum Irrsinn, bis zur Bewusstlosigkeit. Wie kann man alles Aalige und Journalige, alles Nette und Adrette, alles Vermoralisierte, Vertierte, Gezierte abtun? Indem man Dada sagt. Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou, Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt. (Hugo Ball, 1916)

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https://blogs.taz.de/spurensuche/2014/11/14/entwendung-aesthetischer-fertigteile-3-2/

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kommentare

  • Entschuldigung fürs späte Antworten. Hab erst jetzt kurz Ruhe.

    Na, eigentlich meine ich mehr. Das immer selbe Storymuster fände auch ich langweilig. Ich meine die Art des (journalistischen) Erzählens. Eine Geschichte lese/dichte ich mir ja jedes Mal zusammen, wenn ich einen taz-Text lese.

    Gibt der Text an Kontext wenig her, versuche ich mir selbst einen herzustellen. Irgendeinen, der die unbestimmten, interessanten Lücken füllt, sodass ich mit dem Gelesenen etwas anfangen kann.

    Wie, dass die taz-JournalistInnen an nicht mehr Infos kamen oder kommen wollten, das passiert mir häufig bei dpa-Meldungen. Wie, dass wahrscheinlich einE PraktikantIn den Text geschrieben hat und er deshalb aus der unmittelbaren, fußläufigen Umgebung der taz-Zentrale stammt wie bei den massigen Artikel zum Oranienplatz. Liegt Googleearth nach ja gleich die Straße runter.

    Zu kompliziert hinsichtlich der Kontextsuche mag ich es aber nicht ganz so, denn dafür habe ich täglich zu viele Texte, die ich auch lesen möchte und zu wenig Lesezeit.

  • @ Echt?
    Wird doch langweilig, wenn jeder Artikel nach demselben Storymuster gestrickt ist, Sie meinen doch bezüglich der journalistischen Form Anfang Spannung Spiel und Abenteuer … plus Ende, oder nicht.

  • Huhu, lieber Journalisten-Künstler-Schriftsteller-Und-Noch-Mehr Detlef Berentzen alias Dr. Feelgood, wasn dis fürn Textsalat?

    Bestimmt ein exquisiter, sorgsam ausgewählter Trennkostsalat. Sehr schön! Gleich kommt das Aber.

    Kann ich als gewöhnte Leserin von s-t-o-r-i-e-s in der taz nämlich nich so gut verdauen. Weiß ich nich, ob ich damit allein bin. Mir fehlt da die Anwendung erzählerischer Bindemittel im Sinne eines neuen ästhetischen Fertigteils wie beim Zentrum für politische Schönheit oder wie in der sehr guten Reportage zu dem Flüchtlingskiez in Berlin oder wie bei dem Text von Johannes Gernert zu digitalem Datenschutz heute in der taz.

    Bin schließlich keine Do-it-yourself-Leserin. Wenn andere ästhetische Fertigteile von SchriftstellerInnen und ähnlichen TexterInnen demonstrativ entwendet werden sollen, wäre mir etwas ein neues Ganzes Etwas lieber.

    Ansonsten gefällt mir sehr, dass der Blog aktueller geworden ist. Ich schaue bei fast jedem neuen Blog-Artikel rein.

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