vonDetlef Berentzen 13.10.2015

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

Mehr über diesen Blog

Servus Michael,

jetzt ist also auch bei Euch der Front National weiter auf dem Vormarsch. „Stramme Burschen“ von der FPÖ, wie sie Robert Newald damals an der Wiener Hofburg fotografiert hat (s.o.).  Allerdings kann von der angesagten rechtsradikalen „Oktoberrevolution“ noch keine Rede sein. Bleibt für dich also ein Zeitfenster bis zu den Nationalratswahlen, um endlich auszuwandern. Keine Ahnung wohin, ist ja auch egal, du bleibst ja doch und sorgst für Aufruhr. Weiter so!

Bussi Baby!
d.

 

Lieber Detlef,

Wien bleibt Wien. Dieser bekannte Stehsatz hat, so wie die Stadt selbst, einen schizophrenen Charme und wurde mit diesen Wahlen aufs Neue bestätigt. Das, was gut und schön ist an Wien, bleibt uns weiterhin erhalten. Das, was widerlich ist, uns das Leben schwer macht, mitunter bis an die Grenze der Unerträglichkeit, das bleibt auch. Und wird noch mehr.

Vorweg
Eva hat sich nicht (wie von den Plakatschändern gewünscht) aus dem Fenster gestürzt. Sie wird sich künftig wieder entwicklungspoltischen Projekten widmen. Denn sie ist nicht mehr Bezirksvorsteher-Stellvertreterin. Diese Position hat ein Freiheitlicher mit knappem Stimmenvorsprung erreicht. Wer im „Bezirk Landstraße“ politische Anliegen hat, muss sich nun an die SPÖ oder die FPÖ wenden. Dazu zwei Beispiele. Ein Spitzenmann der Bezirks-FPÖ erzählte unlängst im TV-Interview von seinem größten politischen Erfolg: Das war die Entfernung eines Radständers! Nun kann dort wieder ein Auto parken! Der zweite Bezirksvorsteher-Stellvertreter von der SPÖ indes ist in seinem Nebenberuf Architekt und zugleich Vorsitzender des Bezirksbauauschusses. Damit das Ganze nicht allzuviel Hautgôut hat, geht er, nachdem er seine eigenen Projekte dem Ausschuss präsentiert hat, vor der Abstimmung aus dem Raum. Unlängst hat er dem Ausschuss den Abriss eines Gründerzeithauses empfohlen, in dem sich die letzten Mieter verzweifelt gegen ebendiesen Abriss wehren. Der Herr Vorsteher-Stellvertreter plant derweil für die Eigentümerfirma eine neue Luxusimmobilie in guter Lage. In Wien kein Problem.

Zu den Ergebnissen.
Auf den ersten Blick mag alles nicht so wild aussehen. Die SPÖ liegt im Gemeinderat solide vor der FPÖ. Sie hat zwar Stimmen an die Strachepartei verloren, doch auf der anderen Seite von den Grünen gewonnen, weil viele Grünwählerinnen und Grünwähler gemeint haben, nur mit einer Stimme für die SPÖ Strache verhindern zu können. Es wird sich wieder eine rot-grüne Koalition ausgehen. Allerdings ist der Stimmenverlust der Grünen für die Stadtentwicklung insofern von Nachteil, als damit alternative Projekte und Entwicklungen in Zukunft wieder schwieriger werden – die SPÖ ist tendenziell eine Partei beharrender Kräfte. Kurz noch zwei konkrete Beispiele für die aktuelle Sitauation. Mitten aus dem Wiener Überleben:

Floridsdorf
Im ehemaligen Arbeiterbezirk mit rund 140.000 Einwohnern und Einwohnerinnen liegen SPÖ und FPÖ jetzt gleichauf. Die SPÖ hat einen Vorsprung von knapp tausend (!) Stimmen gerettet. Die selbstbewussten Arbeiterschaften, die den Bezirk einst geprägt haben, gibt es längst nicht mehr. Die Bevölkerungsstruktur ist dispers. Kleine und mittlere Angestellte mit ordentlichen Jobs, genauso wie kleine Geschäftsleute, Weinbauern und eine breite Masse von schlecht Ausgebildeten ohne sinnvolle Perspektiven, die ganze Bandbreite zwischen Kleinbürgertum und Subproletariat. Kaum Intellektuelle. Kulturell ist der Bezirk, der die Größe einer mittleren Stadt hat, eine Steppe. Ein Kino-Center, ein Kleintheater mit Boulevard-Komödien. Das war’s. Einzig ein engagierter Winzer organisiert einmal im Jahr in seinem Heurigen einen Lieder- und Arienabend mit Sängerinnen und Sängern von Staats- und Volksoper.

Was auffällig ist im gesamten Bezirk: Es gibt keine heruntergekommenen Viertel. Die Wahlsprengel mit den höchsten FPÖ-Anteilen (fast 60%) befinden sich bezeichnenderweise in luxuriösen Gemeindebauten! Dort gibt es großzügige Terrassenwohnungen, Tiefgarage und Schwimmbad auf dem Dach. Zum Sozialtarif. Die Bewohner und Bewohnerinnen wählen Strache, weil sie glauben, dass nur die FPÖ ihre vermeintlichen Rechte auf solchen Luxus verteidigen kann und wird – gegen die Ausländer, gegen die Flüchtlinge. Es ist das unsolidarische Anspruchsdenken derer, die ohnehin schon von den öffentlichen Kassen versporgt werden. Sie wollen sicher gehen, dass außer ihnen niemand soziale Wohltaten empfängt. Das ist die eine Seite der Entsolidarisierung, die von der FPÖ seit nunmehr über zwei Jahrzehnten gepredigt wird. Die andere zielt auf diejenigen ab, die fraglos am unteren Ende des sozialen Spektrums leben. Ihnen wird erzählt, dass sie unter einer FPÖ-Herrschaft endlich gut bezahlte Jobs bekommen könnten, weil dann die ausländischen Dumpinglöhner aus dem Land gejagt werden. Sie bräuchten also nichts zu tun, außer den Strache zu wählen und schon würden sie Teil des künftigen Wirtschaftswunders.

Währing
So jetzt kommt etwas, mit dem du sicher nicht gerechnet hast: Im tiefbürgerlichen Währing, einem Bezirk, der immer fest in der Hand einer sehr konservativen ÖVP war, hat es einen bemerkenswerten politischen Wandel gegeben! Du kennst die Lage, Währing ist ein zweigeteilter Bezirk. Ein großes Villenviertel steht einem dichter bebauten Bezirksteil mit gemischter Bevölkerungsstruktur gegenüber. Bürgerliche in schönen Gründerzeitbauten, kleine Gewerbetreibende in der ehemaligen Vorstadt und zunehmend auch studentische und intellektuelle Schichten. In diesem Bezirk hat eine linke Intellektuelle, die politisch zwischen Antonio Gramsci und Frigga Haug verortet ist, eine Mehrheit für die Grünen geholt! Sie hat fünf Jahre konsequente Überzeugungsarbeit geleistet und mit sehr bürgerlichem Auftreten und einem ganz klaren Programm zu Verbesserungen im Bezirk, die nötigen Stimmen für diese Änderung geholt. Möglich wurde dies auch durch die rapide Erosion der ÖVP in den letzten Jahren. Die Bürgerlichen wissen nicht mehr für welche Werte sie stehen. Außer dem Erhalt des Gymnasium als Bildungseinrichtung haben sie nicht viel zu bieten. Ihrem neoliberalen Flügel setzen die „Neos“, eine Parteiaus dem Umfeld des Bauytcoons Hans Peter Haselsteiner, zu. Die Neos haben zwar auch kein Programm, aber sie wirken jung und frisch. Die ÖVP hat sich mit dieser Wahl für die nächste Zeit aus dem urbanen Milieu verabschiedet. Sie ist eine Partei für Provinzkaiser geworden.
Die Aussichten
Die FPÖ ist wieder einmal daran gescheitert, ihre hochgesteckten Ziele einer Machtübernahme in Wien zu erreichen. Damit bleibt der Stadt zwar ein kultureller Kahlschlag erspart, aber die blauen Recken werden auch in den kommenden Jahren weiter mit nunmehr besserer finanzieller Ausstattung ihre Politik der Entsolidarisierung, die ausgerechnet unter dem Titel „soziale Heimatpartei“ läuft, verfolgen. Und die Leute werden’s glauben. Die Teilung der Stadt geht weiter.
Eine tiefgreifende Änderung ist wahrscheinlich nur auf zwei Arten möglich. Langfristig durch breite und grundlegende politische und historische Bildung. Die Leute wissen nichts über ihre Herkunft, über ihre Kultur, sie kennen und verstehen politische und historische Zusammenhänge nicht. Damit fallen sie gerne und leicht auf Rattenfänger herein. Und zweitens, keine Angst! Käme es tatsächlich zu einer Regierungsbeteiligung der FPÖ auf Bundesebene, möglichst mit Strache als Kanzler, würde das die Partei und Heilsverkünder schnell entzaubern. Dann werden die Massen der Strache-Adoranten erkennen, dass die vollmundigen Versprechungen nicht das Plakatpapier wert sind, auf das sie gedruckt werden. Denn wer Flüchtlinge konsequent aus Österreich draußen halten will, muss eine DDR-Grenze bauen, mit Todesstreifen und Selbstschussanlagen. Wer Steuern und Gebühren in dem Ausmaß senken will, wie die FPÖ dies zu tun gedenkt, muss bei Spitälern, Arbeitslosengeld, Grundversorgung einsparen. Dann werden die Menschen feststellen, dass nicht Milch und Honig fließen, sondern Schmalhans Küchenmeister ist. Ob das allerdings zu anhaltenden Lerneffekten führt, ist in Österreich aber höchst fraglich.

Ich werde dir einfach weiter berichten.
Alles Liebe aus Wien
M

 

Bussi Baby!

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/spurensuche/2015/10/13/wiener-korrespondenzen-12/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Naja. Es gibt eine wunderbare lange Tradition in Österreich, speziell in Wien. Wir verstehen es bestens, uns die Realität schönzureden oder schönzusaufen (letzteres ist in Wien besonders beliebt). Das hilft. Die Menschen hierzulande neigen ein bisserl zu Depressionen und Paranoia. Wer’s nicht glaubt, möge – je nach Bedarf – Trakl oder Freud lesen. Jedenfalls bewahrt das Schönreden oder Schönsaufen vor allzu schlimmen seelischen Abstürzen. Ich weiß das, ich lebe seit Jahrzehnten in Wien, ein Teil meiner Vorfahren ist von hier und aus dem ebenfalls sehr depressiven Waldviertel. Wie auch immer: Ich gebe die Wiener Realität in meinen Korrespondenzen mit Detlef eher etwas gemildert wieder. Ich lebe ja trotz allem auch ganz gern da. Wer mehr über das Goldene Wienerherz und die Liebe der Österreicher und Österreicherinnen zu Fremden erfahren möchte, lese die Postings auf Krone.at oder halte sich vor Augen, dass der neue Wiener Vizebürgermeister der FPÖ (Ja, den wird es in jedem Fall geben.) „für Asylbetrüger Knüppel aus dem Sack“ fordert. Asylbetrüger ist nach seiner Lesart jede Person, die nach Österreich auf dem Landweg einreist.

  • Lieber Detlef!
    Erspare mir in Zukunft bitte solche Ergüsse! Österreich ist keineswegs so rechtsradikal und fremdenfeindlich, wie du es ständig darstellst. Bei euch in Deutschland passieren ja noch viel schrecklichere Dinge als bei uns. Ihr habt einfach nur das Glück, derzeit von keiner so populistischen Partei gequält zu werden wie wir von der FPÖ des HC Strache. Das ist aber kein besonderes Verdienst, meiner Ansicht nach.
    Herzliche Grüße
    Friedel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert