vonDetlef Berentzen 24.05.2016

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Ich musterte die sonnengeküssten Frauen und Männer mit ihren Skateboards und Kinderwagen in der U-Bahn und mir wurde klar, daß die Hälfte dieser Menschen einen Rechten gewählt hat…(Saskia Hödl, taz)

 

Mein lieber Detlef,
„Arschknapp“, nennt der Professor solche Wahlergebnisse. Der Professor, der ab Juli österreichischer Bundespräsident sein wird. Das erste Grüne Staatsoberhaupt weltweit. Rund 30.000 Stimmen haben den Ausschlag gegeben. Für Alexander van der Bellen und gegen Norbert Hofer. Stimmen, die mehrheitlich aus den Städten kamen, von den Frauen, von den Höhergebildeten, von den Auslandsösterreicherinnen und -österreichern. Von denen, die sich gut ausrechnen konnten, was der freundlich lächelnde Herr Ingenieur Hofer für das Klima, die Politik, die Kultur und die Entwicklung Österreichs bedeutet hätte. Hofers Partei, die FPÖ ist eine Partei der Phobie mit deutlichem Hang zum Autoritären. Die FPÖ macht sich seit Jahren schon zum Sprachrohr all derer, die sich als Opfer fühlen oder fühlen möchten und dringend nach einer Gruppe suchen, auf die sie hinabschauen können, sie maßregeln und karnifeln (= schikanieren), um ein Ventil für ihre Wut zu finden. Nun, nachdem die Hälfte des österreichischen Wahlvolks Norbert Hofer gewählt hat, sind allerorten Kommentare zu hören und zu lesen, dass man doch die Ängste dieser Menschen ernstzunehmen habe. Sie seien die Modernisierungsverlierer und von der Sorge um ihren sozialen und ökonomischen Abstieg getrieben. Nun, so schlecht geht es den Menschen allerdings nicht in der Alpenrepublik. Das österreichische Sozialsystem ist trotz mancher Einschnitte noch immer sehr solide. Wer’s nicht glaubt, möge zum Vergleich nach Spanien, Portugal oder Griechenland schauen.

 

KorrespondenzWienHP1

Die selbsternannte soziale Heimatpartei Partei FPÖ schreibt derzeit an ihrem Wirtschaftsprogramm. Wichtigste Beraterin dafür ist Barbara Kolm, die Präsidentin des Hayek-Instituts, benannt nach dem wirtschaftsliberalen Vordenker Friedrich August von Hayek. Verglichen mit den Vorstellungen des Hayek-Instituts lesen sich die Forderungen des deutschen Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) wie marxistische Thesenpapiere. Doch die Wähler und Wählerinnen der FPÖ werden das Wirtschaftsprogramm der Partei, von der sie sich das neue Heil erwarten, ohnehin nicht lesen. Sie kennen sicher auch das 288 Seiten starke „Handbuch freiheitlicher Politik“ (Verfasser: Norbert Hofer) nicht. Darin steht unter anderem, dass sich die FPÖ strikt gegen Transferzahlungen innerhalb der EU auspricht.

Allerdings hat das Burgenland mit seinen knapp 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern als Ziel-1-Region der EU jahrelang insgesamt fast 2 Mrd € an Subventionen erhalten. Doch wen interessiert’s? Mehr als 61% der FPÖ-Wähler haben sich für Hofer entschieden: „weil sonst sind wir Brüssel komplett ausgeliefert“, wie einer dieser Wähler das heute im Regional-TV erklärte, denn „es wird Zeit, dass einmal auf die Österreicher geschaut wird.“ Was das bedeuten könnte, steht auch im Handbuch. Da ist beispielsweise von der „Möglichkeit des Beitritts des Landes Südtirol zur Republik Österreich“, oder von der Rückkehr zum Schilling die Rede, „damit unser Geld wieder etwas wert ist“ und auch der „Austritt aus der EU ist kein Tabu“. Und wie ein roter Faden zieht sich natürlich das Thema Migration durchs blaue Handbuch, da heißt das Massenzuwanderung.

BluesHP1
Es ist bemerkenswert, dass Österreich bei Bundespräsidentenwahlen ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerät. Vor 30 Jahren anlässlich der Wahl Kurt Waldheims. 2016 bei der Nichtwahl von Norbert Hofer. Beide Male ging es, um „die Ordnung des Totalitären“ (Marlene Streeruwitz) und natürlich um das maßgeschneiderte Opferrollenkostüm. Sah sich Waldheim, wie er sagte, einer „Kampaijn“ ausgesetzt, so wittern Hoferwähler Schiebung: „Is doch eh ollas nur a Betrug. Olle hom in Hofer gwöht und der is wurdn“, empörte sich heute eine hörbar autochthone Bewohnerin des zehnten Wiener Gemeindebezirks. Mit „der“ war Van der Bellen gemeint.

Einigkeit und eine versöhnliche Stimmung werden so bald nicht einkehren in Österreich. Zu intensiv hat die Propagandamaschinerie der FPÖ in den vergangenen Jahren ihre einfachen Botschaften von Entsolidarisierung und Phobie getrommelt. Zu wenig haben sich die stets ähnlich zusammengesetzten und stets ähnlich zerstrittenen Regierungskoalitionen aus SPÖ und ÖVP um solide Politik bemüht. Das Land wurde in Einflussbereiche aufgeteilt und verwaltet. Problemfelder wurden ignoriert, denn die Wirtschaftsdaten waren lange Zeit ganz gut. Das ist nun vorbei und die Versäumnisse rächen sich. Nicht, dass die blauen Retter irgendetwas besser könnten, aber das Volk zwischen Neusiedler- und Bodensee liebt Heilsversprechen. Zumindest zur Hälfte. Keine allzu rosigen Aussichten.

Dennoch will ich optimistisch bleiben. Und über den größten Gewinn des abgelaufenen Wahlkampfs erzähle ich dir demnächst.
Auf bald
M

 

Da Hofa (Ambros)

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