vonDetlef Berentzen 17.06.2016

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Dann klingelt es. Samstag. Viel zu früh am Morgen. Und sie stehen vor der Tür. Ein Anzug, ein Kostüm. Wollen mal sehen, wie er so wohnt, sagen sie. Als wäre nichts gewesen.
Der Vater schaut sich kurz in den Räumen um und meint, daß er Diese widerliche Armut! nicht mit ansehen kann.
Hier kann man sich ja nicht mal vernünftig hinsetzen!
Fährt also mit Hermann im Käfer zu einem der Trödler in der Bergmannstraße, spendiert zwei braune Sessel, ein rotes Sofa, einen Couchtisch, einen Teppich mit Fransen.
Unglaublich günstige Preise habt Ihr hier!!
Läßt das Mobiliar binnen zwei Stunden in der Matratzenwohnung anrollen und kauft später noch eine gebrauchte Glotze samt Zimmerantenne beim Fernsehdiscounter Clavis in der Neuköllner Karl-Marx-Straße.
Ohne Fernseher ist eine Wohnung nicht gemütlich!

Währendessen hat die Mutter ihre Kostümjacke ausgezogen, die Ärmel ihrer Bluse hochgekrempelt und mit dem einzigen Lappen sowie einer mächtigen Prise Scheuerpulver das alte Lineoleum zum Glänzen und überhaupt die ganze Küche Auf Vordermann! gebracht.
So, jetzt kann man hier wenigstens mal was anfassen!
Sie ist zufrieden und Hermann weiß nicht, was er sagen soll.
Dann trinken sie noch einen Nescafé mit ihm, die Mutter zieht ihre Kostümjacke an und schon sind die beiden wieder fort.
Nur der Hundertmarkschein auf dem Tisch, die fremden Möbel und die blitzblanke Küche erinnern noch daran, daß seine Eltern tatsächlich hier waren.

Am Abend telefoniert er mit Gina, erzählt ihr alles.
Das war ne echte Invasion!
Muß aber lachen und stellt dann mutig die wirklich wichtige Frage.
Hast Du Dich jetzt entschieden?
Sie wird kommen. Wird umziehen. Bei ihm wohnen.
In ein paar Wochen schon!
Sie werden ein richtiges Paar sein, in einer eigenen Wohnung. Und Spaß haben, jede Menge Spaß.

Hermann ging einigermaßen schwebend nach Hause, setzte sich aber nicht vor den neuen 150-Mark-Schwarz-Weiß-Tisch-Fernseher, sondern klingelte bei den Nachbarn gegenüber. Bei dieser Wahnsinns-Familie.
Eine Mutter wie eine Tonne, ein ewig unrasierter Vater, ein schwarzgelederter Rocker-Sohn und eine Minirock-Tochter, ziemlich sexy, aber verdammt jung, sechszehn. Dazu zwei Flipper, ein Spielautomat und eine schwarz-weiße Promenadenmischung mit kleinem rosa Arschloch im Körbchen. All das untergebracht in zwei großen Zimmern mit diversen Schlafsofas.
Die muntere Truppe hatte ihn gleich bei seinem Einzug begrüßt, ihn rüber in ihre Wohnung gezogen, ein Bierchen aufgemacht, ihn neben das muffige Bettzeug auf’s Sofa gesetzt, ihr Aquarium mit den Schleierschwänzen gepriesen, ihre Tochter ebenso.
Hübsches Mädchen, was?
Dann hatten sie Hermann nach Woher? und Wohin? gefragt und ihm Eines ganz klar gemacht.
Wenn Du irgendwas brauchst, wir sind für Dich da!
Einfach klingeln!

 

SpatzHP1

 

Also klingelte er. Immer noch schwebend.
Nahm die angebotene Flasche Bier, ließ den Saft die Kehle runterlaufen und erzählte, daß demnächst die Gina kommen würde, daß er sich deshalb freut.
Der unrasierte Vater in Blaumann und Feinripp-Unterhemd wieherte fröhlich.
Regelmäßiger Geschlechtsverkehr is schon wichtig! Is auch gut gegen Pickel!
Die Tonne zwinkerte Hermann zu und der Rockersohn reichte ihm lässig noch ein Bier.
Darauf trinken wir einen!

Das war also das Proletariat, von dem jetzt soviel gesprochen wurde. Ein launiger Haufen, bei dem er sich irgendwie wohl fühlte. Hier schmeckte jeder Schluck Bier irgendwie nach Family oder auch mal nicht und am Flipper stehen und Tilt! und dann wieder von vorn. Wie auch immer, Hermann war hier gern gesehen, akzeptiert und mußte sich nicht verbiegen. Solch eine irre Nachbarschaft hatte es in seiner Gaskesselheimat nie gegeben.

Die Proleten kamen später auch alle zu ihm rüber in die Wohnung, weil er mit seinem Fernseher nicht zurechtkam.
Hat keinen Empfang!
Der Feinripp-Vater richtete die Angelegenheit mit Schraubenzieher und Wickeldraht in Nullkommanix, und dann hingen sie bei ihm in den Sesseln, besetzten die Couch und tranken roten Wein aus seiner Zweiliterflasche. Kalterersee! Diesmal.
Und prosteten sich zu, quatschten mal wieder über Autos und der Rockersohn kicherte, daß er richtig froh sei, sich keinen BMW leisten zu können.
Mit so einer Kutsche kommste doch jetzt in jede Fahndung!
Is doch die Karre, wo die Baader-Meinhofs immer mit fahren!
Darauf tranken sie noch einen.

(aus: Detlef Berentzen, “Berlin, Sie – Hermann, die zwote“)

Illustrationen: Joern Schlund und Subrealisten

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