Es wurde gewarnt.
Lange schon.
Also ich glaube, wir haben schon einen Teil der Bevölkerung fast verloren. Wie man die wieder gewinnt für die Politik, das ist eine ganz schwierige Frage. Die müssten den Eindruck gewinnen, daß es für ihr Leben einen Unterschied macht, wer regiert. Es gibt Stadtteile, wo 75 Prozent der Wahlberechtigten nicht zur Wahl gehen – da sinkt die Wahrscheinlichkeit, daß man Leute kennt, die überhaupt noch irgendwas mit Politik zu tun haben. Und das hat dann Selbstverstärkereffekte: wenn niemand über Politik redet, niemand auf die Idee kommt, eine Bürgerinitiative zu gründen, wenn man niemanden kennt, der schon mal eine Petition geschrieben hat, einen Brief an einen Abgeordneten, dann kommt man selber auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit auf die Idee, das zu tun.
Der Hintergrund für die Unterschiede in der Wahlbeteiligung ist einfach, daß wir eine soziale Segregierung der Städte haben und daß die Lebenswelten in Großstädten extrem unterschiedlich sind – zwischen bürgerlichen Vororten und sozialen Brennpunkten. Und es wird für die Demokratie richtig bedenklich, wenn Politiker sagen, na ja, es lohnt sich nicht mehr, in diesen Stadtteilen besonders zu investieren, dort die Schulen zu verbessern, dort andere Wohnungen zu haben, weil dort eh keiner wählt. Das wird uns eh nicht gedankt, deswegen konzentrieren wir uns lieber auf Stadtteile, in denen was zu holen ist – im Sinne von Wählerstimmen. Ich kann nicht eindeutig belegen, daß das bereits jetzt ein massenhafter Trend ist. Aber den Eindruck gewinnt man natürlich einfach dadurch, wenn man durch die Städte geht und sieht, wie unterschiedlich die Lebensverhältnisse dort sind. (im Gespräch mit Armin Schäfer, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln, für SWR2 , 2010)
Illustration: Joern Schlund, Münster