Sonntag. Es ist noch früh. Jedenfalls noch nicht zu spät. Ich komme gerade vom Berliner Hauptbahnhhof. Schockiert von der widerlichen Schießscharten- und Knastarchitektur des dortigen Quartiers würgt es mich nachhaltig, und ich will Trost in meinem alten Schöneberger Kiez und seinem Jugendstil suchen. Eigentlich ist es hier still um diese Zeit, hie und da ein Kläffen, die Sonne herbstzeitlos und auf dem Wartburgplatz ein alter Schlafsack oder zwei. Doch nichts von alledem.
Da ziehen sie durch die Straßen, plaudern, lärmen – alle in eine Richtung. Alle, denen ich sonst nur hie oder da begegne, sind unterwegs – mit Kindern, Hunden, Joggingklamotten und Smartphones. Grüßen jovial, bleiben stehen, sprechen von kommunalen Pflichten und seufzen: Jetzt erst recht! Das Wahllokal des Kulturcentrums „Weiße Rose“ wird verdammt gut besucht, man trägt seine Kreuze hinein und plaudert sich retour in die umliegenden Parks und Nebenstraßen. So viel munterer Betrieb war nie um diese Zeit.
Ich bin gespannt auf meine Nachbarn. Genauso wie die beiden Scholls, Sie wissen schon, die Geschwister. Sitzen da fein gemacht auf der bemalten Bank gegenüber, halten sich aufgeregt die Hand und lachen zuversichtlich. Sophie und Hans hatten nie eine Wahl. Und wählten doch. Ich werde sie auf einen Kaffee in’s „Lenzig“ einladen. Es gibt viel zu bereden.