„Education is the most powerful weapon which you can use to change the world.“
(Nelson Mandela, Ehrenpräsident United-World-College 1999-2014)
Julia Schetelig ist 17 Jahre alt. Lebt in Berlin. Eigentlich. Und sie schreibt. Ihr letztes Buch, das sie tapfer als „Kindle-Edition“ verbreitete“, trug den Titel „Engelsflügel“. Und nun ist sie tatsächlich fort geflogen. Weit fort. Nach Singapur. Ich hatte sie in Berlin während einer Lesung kennengelernt. Und als ich hörte, dass sie für zwei Jahre an einem „United World College“ in Singapur studieren würde, fand ich es keine schlechte Idee, sie zu bitten, doch immer wieder mal ein paar Zeilen nach Berlin zu schicken, einfach zu erzählen, was so läuft – in Singapur und am College. Könnte doch interessant werden. Und wird es auch. She just wrote her first letter. (db)
Was habe ich getan?
Das war mein erster Gedanke, als ich durch die Security-Schranken zum Flugzeug gelaufen bin, ein letzter Blick zurück zu Freunden und Familie, bis die Türen hinter mir zufielen. Minutenlang habe ich die Anschrift angestarrt, versucht zu verstehen, was diese Buchstaben, die immer wieder vor meinen Augen verschwammen, bedeuten.
Berlin Tegel-Belgrad.
Ich schaue auf mein Ticket.
Belgrad-Abu Dhabi.
Abu-Dhabi – Singapur.
Kein Rückflug. No return.
Stimmt. Zwei Jahre Internationale Schule in Singapur, 11. und 12. Klasse. Samt Abschluss.Was habe ich getan?
Ich gebe mir selbst eine Stunde bis ich aufstehe, den starrenden, umstehenden Passagieren einen vorwurfsvollen Blick zuwerfe, die Briefe meiner Freunde in meinen Rucksack stecke und mein Handy auf Flugmodus stelle.
Das hier ist Dein großer Traum!, erinnere ich mich: Das „United World College of South East Asia“ (UWC), das war es doch, was ich wollte! Und jetzt sitze ich hier. Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und atme weiter.
Ich werde Ihnen jetzt nicht erzählen, was mich dazu bewogen hat, mit 17 Jahren zu Hause auszuziehen, welche Gründe es waren, die mir Abschied und Auszug (bis auf diese schwache Stunde) leicht machten. Ich werde Ihnen auch nicht erzählen, was mich am UWC fasziniert hat, ich kannte auch nicht mehr als all die Werbeanzeigen und Erfahrungsberichte, die man im Internet finden kann:
Die Story einer internationalen Schule, die nach dem kalten Krieg für Weltfrieden sorgen sollte, indem sie Schüler aus aller Welt zwei Jahre lang zusammen unterrichtet – „The United World College movement makes education a force to unite people, nations and cultures for peace and a sustainable future.“ Nachzulesen auf der Homepage: „UWC ist eine einzigartige, internationale Bildungsbewegung, die jungen Menschen im Alter von 16 bis 19 Jahren eine lebensverändernde Ausbildung bietet und sie anregt, sich für Frieden und eine nachhaltige Zukunft einzusetzen!“ Genau das war mein Traum.
Und der Traum ist wahr geworden.
Ich werde Ihnen nicht von meinem Traum erzählen.
Aber von meiner Realität. Realität klingt aber so nüchtern, so kahl.
Ich erzähle Ihnen von meiner Welt. Jetzt. Und immer wieder.
Fangen wir an und nennen diesen Anfang:
“Die Ankunft” oder “Warum Second Years so wichtig sind”
Ich wusste, dass das passiert. Das war ja klar, fluche ich verzweifelt am Changi Airport.
Vielleicht sind sie nur noch nicht auf dem Laufband, bete ich, doch das grüne “baggage complete”-Licht zerstört meine Hoffnungen.
Die ganze Immigration war so überraschend einfach gewesen, dass ich mir sicher war, es müsste noch irgendwas kommen. Und ja. Meine Koffer sind weg!
Die Situation wird auch nicht besser, als ich hinter milchigen Glasschranken drei Silhouetten wahrnehme. Die größte gehört James, einem der Lehrer und „Houseparents“ – mein Houseparent, erinnere ich mich. Die zweite gehört zu Finn, meinem „Secondyear“, der deutsche Singapur-Stipendiat vom letzten Jahr. Wir hatten uns schon ein paar Mal gesehen, unter anderem als er während seiner Deutschland-Tour mit seiner Freundin bei meiner Familie in Berlin wohnte. Neben ihm ein asiatisch aussehendes kleines Mädchen: Anna aus China, wie sich später herausstellt..
Verzweifelt winke ich ihnen zu, signalisiere, dass ich keine Koffer habe. Aber ich kann sie nicht verstehen, darf aber auch nicht die Schranken passieren, ohne das hier geregelt zu haben. Ich krame nach meinem Handy und danke den Göttern von Changi für das Wlan.
“Finn?”
“Julia?”
Ich fange fast an zu weinen, als ich seine Stimme höre.
“Meine Koffer sind weg. Es tut mir so schrecklich leid, dass Ihr warten müsst”
“Kein Problem. Geh in das Office und lass das Gepäck zur Schule schicken. Hast Du die Adresse?”
Ich nicke, ohne zu ihm hinzuschauen. Ich weiß, dass er es sehen kann.
Jede Menge Papierkram später falle ich ihm in die Arme. Die Türen des Flughafens öffnen sich und die feuchtheiße Luft Singapurs weht mir entgegen. Ich lächle.
Ich kann nicht sagen, dass ich nach meiner Ankunft einen Kulturschock hatte (denn um ehrlich zu sein, habe ich die ersten Tage im College mit Pizza und Müsli verbracht) Aber ich hatte einen Weltenschock. Mein armer Secondyear konnte in den ersten Stunden absolut nichts mit mir anfangen, außer: “Julia, kannst Du bitte diesen Kaffee trinken, sonst kippst Du mir vom Stuhl”. Die Lehrer waren alle hilfsbereit: “Oh nein, Dein Gepäck ist weggekommen. Ich geh gleich eh einkaufen, magst Du mitkommen?”
Sie sind einfach alle nett. Das klingt so banal, aber ich bin mir sicher, dass es keine schönere Ankunft gibt als an einem UWC. Trotz des Kaffees bin ich dann doch noch irgendwann weggekippt (in meinem Bett) überwältigt von all den neuen Eindrücken. Und mein Gott, es ist nach 6 Wochen immer noch so! Aber irgendwann kennst du die Gesichter und die Klassenräume, irgendwann verirrst du dich nicht mehr in den endlosen Korridoren dieser Schule – mit ihren 3000 Schülern. In Singapur.