vonDetlef Berentzen 14.06.2017

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Vor den Fenstern leuchten Buchengrün und Himmelblau. Dazu tönt gratis jede Menge Vogelsang, irgendwo lärmt eine rote Vespa. Vielleicht. Marie ist das egal. Die 95jährige sitzt zusammengefaltet in ihrem Rollstuhl mit den anderen Girlz am großen Tisch, steckt die spastischen Finger in den Mund und weiß nicht. Gar nicht. Trinken will sie nicht oder doch, die Schnabeltasse, prima, ein Schlückchen wenigstens – muss ich gleich notieren. „Trink noch was! Das ist gut für dich!“, die faltige Else beugt sich zu Marie herüber und nickt kräftig, Else kümmert sich: „Ist doch meine Schwester!“, raunt sie. Seit gestern weiß sie das.

Marie weiß nichts davon, ihre Schwester ist längst tot, das weiß Marie aber auch nicht, nichts mehr weiß sie und wundert sich auch nicht. Aber immerhin: Else hat eine neue Schwester. Die kann sie auch brauchen. Denn die Rita gegenüber am Tisch will ja nicht mehr, sondern kämmt sich lieber den ganzen Tag. Kämmt ihr langes Haar. Zwischendurch ruft Rita immer: „Nicht so laut!“ Und guckt mich dabei böse an. Dann kämmt sie sich wieder. Jetzt beginnt Hilde zu schreien. Immer wieder schreit sie. Später kommt das Abendbrot – püriert oder fest. Die alte Lore will heute nicht gefüttert werden. Im Radio spielen sie die besten Hits. Aus den 70ern, 80ern und überhaupt.

 

Illustration: Joern Schlund

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