vonDetlef Berentzen 08.11.2017

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Ich bin kein Systemveränderer, dieses System macht mir Eindruck. Aber es ist nicht euer System, sondern unser System, nicht euch hat es zu gefallen, sondern uns. (Peter Bichsel)

Als Kind des Afterwar mochte ich keine nationale Hymnen, schwenkte auch keine Fahnen, war voller Widerwillen gegen das Aufstellen in Reih und Glied im Schulhof und hatte auch etwas gegen das Strammstehen in alten Schulbänken. Vielleicht auch deshalb, weil mein Vater seit dem Krieg keine Lieder mehr hatte, auch keine Fahne, sondern nur seinen Doppelkorn im Glas: Schnaps und Bier sollten all die Erinnerungen wegbrennen, die ihn seit Leningrad nicht schlafen, sein Herz rasen ließen.

Sanitäter war er damals gewesen, 18 Jahre alt, mit der Knochensäge an der Front, verwundet retour und nun saß er den ganzen Tag frierend in der Kneipe, gröhlte verzweifelt: Einer geht noch rein!, und versuchte durch Überschreitung sämtlicher Promillegrenzen das implantierte Nazideutschland zu vergessen: Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben lang!

Nie wieder Krieg!, flüsterte er manchmal, zeigte mir uniformierte Knipserfotos, lachte und hatte Schweißtropfen auf der Stirn. Ich wollte ihm verdammt gerne helfen, ihn in meine Kinderarme nehmen, doch er lehnte ab. Stellte sich stattdessen in der Nacht ans Fenster vom Schlafzimmer, rang schwer nach Luft, bekam Todesangst, wenn er das Stöhnen, die Schreie all der Sterbenden in seinem Kopf hörte, die ich kurz darauf auch bei Wolfgang Borchert fand:

“Sie rotten sich zusammen die Verrotteten und bilden Sprechchöre, Beckmann brüllen sie, Unteroffizier Beckmann, immerzu: Unteroffzier Beckmann und das Brüllen wächst, und das Brüllen rollt heran, so würgend groß, daß ich keine Luft mehr kriege und dann schreie ich, dann schreie ich los in der Nacht und davon werde ich dann immer wach!”

Deutschland nahm meinem Vater den Atem, noch jahrelang. Er konnte mir erst viel später seine Geschichte erzählen – kurz vor seinem Tod führte er mich in seine Schatten. Wir haben beide geweint. Nun bin ich schon lange ohne ihn in diesem Land unterwegs und kann mich immer noch nicht beruhigen: “Rheinmetall Defence setzt mit den Divisions Combat Systems, Electronic Solutions und Wheeled Vehicles neue technische Standards” – Konzerne haben noch immer den Tod im Angebot. Und beschäftigen dafür Meister aus Deutschland. Ich habe meinen Vater geliebt. Nicht dieses Land.

 

Foto: Joern Schlund/Installation: “Der vergessene pädagogische Raum”

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