APO-Archive. Doch, die gibt es! Wo sich das Experiment der Freiheit, der Aufbruch der 68er nackt und lesbar macht, wird Geschichte dokumentarisch erzählt. Spannend genug. Just follow the lines….
Ihr lieben 68er
Ihr lieben 68er
Danke für alles
Ihr dürft jetzt gehen…
(Peter Licht)
„Ist es denn wirklich so, daß wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen? Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des YeahYeahYeah oder wie das heißt, sollte man doch Schluß machen!“ (Walter Ulbricht, Vors. des ZK der SED)
Februar 1968
Wir hatten damals eine Wohngemeinschaft und da wir die Welt verändern wollten, musste natürlich auch eine Zeitung her. Da haben wir überlegt, gut, wie können wir’s nennen, entweder „Revolutionärer Zorn“ oder „Arbeiterkampf“, und da zeichnete ich ein Rechteck, da sollte der Name der Zeitung rein, den wir geplant hatten. Und da kamen wir auf die Idee, wenn es ein Rechteck gibt, dann muss es auch ein „Linkeck“ geben und da hatten wir den Namen. Fast jede Ausgabe ist beschlagnahmt worden. Und da wir nicht ganz blöd waren, haben wir die Platten natürlich versteckt, bei irgendwem, und wenn die Hausdurchsuchung zu Ende war, brachten wir die zum Drucker und dort wurde nochmal nachgelegt. (Bernd Kramer, Foto re.)
NewzBlog
Der SPIEGEL veröffentlicht Anfang Februar die Ergebnisse einer von ihm in Auftrag gegebenen Blitzumfrage bei fast 3.000 Berufsschülern, Schülern und Studenten zwischen 15 und 25 Jahren in Orten mit über 10.000 Einwohnern. Auf die Frage: „In vielen deutschen Städten protestieren und demonstrieren Jugendliche. Finden Sie das gut?“ antworteten 67% mit Ja (davon Berufsschüler 65%, Mittel- und Oberschüler 71%, Studenten 74%). Selber protestieren würden insgesamt 58%. Auf die Frage, was sie von Rudi Dutschke hielten, antworteten 27%, sie stimmten mit ihm überein, 26%, er sei ihnen gleichgültig, und 44% lehnten ihn ab. Daß 67% der Jugendlichen mit den Demonstranten und 27% mit den Zielen des SDS, der für sie mit Dutschke identisch war, sympathisierten, war noch ein Jahr zuvor auch für die optimistischsten SDSler undenkbar gewesen. (Siegward Lönnendonker: „Geschichte des SDS“, Aisthesis Verlag, Bielefeld 2018)
Fritz Teufel wird von einem Berliner Schnellgericht zu zwei Monaten Gefängnis ohne Bewährung und zu 250 Mark Geldstrafe an das Rote Kreuz verurteilt. „Fritz hat bei der Urteilsverkündung beim „Africa Addio“-Prozeß eine ’symbolische Beleidigung‘ gegen das Gericht ausgerufen: „Scheiße! Scheiße!“ Außerdem soll er den ehemaligen Nazi-Obergerichtsrat Kurt Gente mit einigen Knallkörpern erschreckt haben.“ (aus: Linkeck, Februar 1968)
Am Donnerstag, dem 8. Februar findet trotz Verbots von Seiten der Universitätsadministration ein vorlesungsfreier Tag statt, an dem Kampfmaßnahmen gegen die Ordinarienuniversität beschlossen werden. 14.00 Uhr: Teach-In zur „Demokratisierung der Hochschule“.
In Orangeburg (South Carolina, USA) werden bei Protesten gegen die Rassentrennung drei schwarze Studenten von der Polizei erschossen.
„Der Interviewer soll mir einfach die Worte sagen, die er von mir hören will, und ich werde sie dann wiederholen.“ In Stockholm wird die große Retrospektive Andy Warhols im „Moderna Museet“ eröffnet. Der Künstler hat die Museumsfassade mit einer Tapete aus farbigen Kuhköpfen beklebt.
Joseph Berke, Dichter und Psychiater, kündigt in London die Eröffnung einer autonomen GegenUniversität an – ein Akt des Widerstands gegen „korrupte Eliten“ und die „spirituelle Leere des Bildungsestablishments“.
„Für den Sieg der vietnamesischen Revolution! Die Pflicht jedes Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen!“ – Westberlin: Vietnamkongress im Auditorium Maximum der TU Berlin. Mit ungefähr 5000 Teilnehmern und 44 Delegationen aus 14 Staaten ein wichtiges Ereignis der deutschen Studentenbewegung der 1960er-Jahre. Nicht ohne Schlußdemonstration: Unter dem Eindruck besonders der französischen Delegation entwickelten die Berliner Demonstranten spontan die Technik, in langen Ketten untereinandergehakt mit rhythmischen Sprechchören »Ho Ho Ho Tschi Minh« und »Wir sind eine kleine, radikale Minderheit« in Blocks vorwärts zu stürmen. Eingeschüchtert durch diese relativ militante Demonstrationstechnik zogen sich die mehreren hundert Gegendemonstranten unter der Leitung von Jürgen Wohlrabe (Vorsitzender der Jungen Union) zum Bahnhof Zoo zurück.
10 bis zwölf Taxifahrer jagten in der Nacht zum 18.2. 68 gegen 2 Uhr den Privatwagen, in dem Rudi saß. Als einzelne Fahrer aus ihren Wagen stiegen und auf den Privatwagen zugingen, fuhr dieser rückwärts Richtung Kudamm und konnte entkommen. Aussprüche der lieben Berliner: Politische Feinde ins KZ! Ihr Schweine werdet ausgeräuchert! Vietconghure! Teufel ins Arbeitshaus! Wir werden euch die roten Pimmel abschneiden! (aus: Linkeck, Februar 1968)
„Aus DaNang/wurde fünf Tage hindurch/täglich berichtet:/Gelegentlich einzelne Schüsse//Am sechsten Tag wurde berichtet:/in den Kämpfen der letzten fünf Tage/in DaNang/bisher etwa tausend Opfer.“ (Erich Fried:“UndVietnamUnd“, Wagenbach)
Dürfen Studenten über BILD-Leser lachen? Wer ist klüger: Arbeiter oder Studenten? Genügt das Aussprechen der Wahrheit? Warum reagieren Arbeiter darauf aggressiv? Gehören Studenten zur herrschenden Klasse? Wie kämpft man gegen Manipulateure? (Einladung der Kritischen Universität zum „Springer-Tribunal“ in die TU, 1. Februar 1968)
Wissen Sie, weshalb die Telefonrechnungen des ASTA so hoch sind? Der Vorsitzende telefoniert zu oft nach Bern und Ostberlin. Der ASTA ist das Werkzeug des SDS! Die Debatten des Konvents sind nur Scheingefechte. Im Grunde geht es nur darum, ob man sich Peking oder Pankow zuwenden soll. Der gesamte Konvent will Kaufhäuser anzünden! Keiner der Abgeordneten hat sich von einem Flugblatt der Kommune I distanziert. Mit Antibabypillen soll der Widerstand der Studentinnen gegen die kommunistische Infiltration und Subversion durchbrochen werden. Sämtliche Gruppen im Konvent sind Tarnorganisationen des SDS. Selbst der RCDS ist auf SDS-Linie eingeschwenkt. Kommilitonen, laßt euch nicht länger auf der Nase herumtanzen. Wir sollen für die Weltrevolution sturmreif gemacht werden. MAO und Ulbricht heißen die Drahtzieher der sogen. Studentenvertretung! (Junge National-Union, Berlin 38)
SC – Das ist keine Sektmarke und auch kein Schwimm-Club. Der „Sozialistische Club“ gehört zur kleinen radikalen Minderheit. Als Mitglieder sind alle notorischen Randalierer, neurotischen Hosenmätze und Spinner willkommen. Schüler und Studenten, die sich noch nicht „ausmerzen“ (Lemmer) lassen wollen, können am 29.2. 68 „Im alten Glaskasten“, Hermannstraße 200 um 19.30 Uhr mal vorbeikommen.
Mothers absolutely free. “ Meine Damen und Herren! Mitbürger! Amerikaner! Dem Präsidenten der vereinigten Staaten ist kotzübel….Ich glaube, seine Alte bringt ihm gerade sein Hühnersüppchen….Plastic People, wie ödet ihr mich an!…..So beginnt die zweite LP der Mothers of Invention. Mit Plastic People bezeichnet Frank Zappa, Chef und Texter der Mothers, „jene unfreundlichen Arschlöcher , die noch fast überall am Drücker“ sind…..Die junge Generation in den USA hört hier ihren Zorn in Noten gesetzt. (Linkeck, Februar 1968)
Im Rahmen unserer Reihe „Filmzensur in Deutschland“ zeigte die HSU Tübingen bisher sechs verbotene oder durch Interessengruppen blockierte Filme:
– Die Wechsel im Tempel
– Kongo-Müller
– Das Höhere Prinzip
– Filmschnittrolle
– Sterben für Madrid
– Du und mancher Kamerad
(„Linke Linse“, 8. Februar 1968)
Überall Autoritäre. Zuchtmeister. Und Spießer. Aber irgendwo auch Kinder. Nur gut, daß FK aus Frankfurt ihnen im „Anti-Struwwelpeter“ die richtigen Waechter-Zeilen mit auf den Weg gibt:
70 Jahre und noch länger,
sind sie bange und noch bänger
vor Polente, Nachbarsfrau,
Gottes Thron und Kohlenklau.
Von den hochgestellten leuten
lassen sie sich willig beuten.
Darum sei nicht fromm und brav
wie ein angepflockes Schaf,
sondern wie die klugen Kinder
froh und frei. Das ist gesünder.
Die jungen Rebellen, die auch in Freiburg zum „Revoluzzerschwof mit kubanischer Musik“ einladen, im Südwesten einen „unaufhörlichen Guerillakrieg gegen die Autoritäten“ führen wollen oder im Februar an der Dreisam tausendfach gegen Fahrpreiserhöhungen auf die Straße gehen, nein, die sind nicht länger die Zukunft ihrer Wirtschaftswunder-Eltern, sie sind eine herbe Enttäuschung. Da wird sogar die Polizei per Postkarte gelobt, wenn sie in Heidelberg mal wieder kräftig zugelangt hat: „Alle Hochachtung, daß man diesen akademischen Rowdys endlich einmal Einhalt geboten hat. Sie müssen gleich von Neuem eins aufs Maul bekommen. Das ist die wahre Meinung der Öffentlichkeit!“
Der Berliner Vietnamkongress war wie alle Veranstaltungen des SDS: Männersache! Noch. Frauen beginnen aufzustehen. Gegen die Patriarchen der APO. Gegen den Wahn der roten und grauen Herren. Verweigern den Job als Muttertier, gründen erstmals eigene antiautoritäre „Kinderläden“ gegen die Aufbewahranstalt von Tante Gisela. Schon kursieren Diskussionspapiere unter den Frauen des SDS . Im Februar auch eines von Helke Sander: „Irgendwann aber merkt die Frau, wie sie verschaukelt wird, wie dieser ekelhafte verinnerlichte Schleim aus Liebe, Opfer und Berechnung die Substanz ist, mit der dieses ganze System zusammengehalten wird. (…) Die Frauen irren heimatlos in diesem System umher. (…) Sie sind niemals dazu aufgefordert worden, Geschichte zu machen.“
Doch die Frauen der APO werden Geschichte machen, „Aktions- und Weiberräte“ gründen, zur neuen Frauenbewegung werden. In den ersten Monaten des Jahres 1968 aber ist es noch so, dass aufgebrachte Passanten in Westberlin junge Frauen im Minirock als „Huren“ beschimpfen und ihnen Prügel androhen. Oder anläßlich einer Bürger-Demonstration gegen „Straßenterror und Anarchie“ vor dem Schöneberger Rathaus auf alles Jagd machen, was wie APO oder Dutschke aussieht – mit Rufen wie: „Kastriert das Judenschwein!“ oder „Lyncht die Sau!“ Und das, …all das ist erst der Anfang: (Reporter) Eine Truppe von Polizisten versucht den Bus zu schützen, in dem der Student sich versteckt hat, nun kommt die Sperrkette der Polizei…(blenden) Musik: Gitarrenriff aus Street Fighting Man (fade out)
Die gestrige 20. Sitzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses war die bisher kürzeste. Dennoch sorgte schon zu Beginn der ehemalige Asta-Vorsitzende an der FU, Wolfgang Lefèvre, für eine Geduldsprobe. Er kam zwar ins Rathaus Schöneberg, weigerte sich jedoch, vor dem Ausschuß zu erscheinen. Lefèvre musste zwangsweise in den Kammersaal geführt werden.
Der SDS-„Ideologe“ Dutschke hatte, ehe er aufgerufen wurde, im Vorraum radgeschlagen. Sein Alter gab er mit 27 Jahren, seinen Beruf mit Industriekaufmann an. Er werde nicht aussagen, solange der „exemplarische Faschist Wohlrabe“ und die Herren Werth und Reimann Mitglieder des Ausschusses seien, meinte Dutschke. Als darauf Beifall kam, ließ Löffler mehrere Reihen im Zuhörerraum räumen. Er betonte, daß dem SDS eine faire Chance der Aussage gegeben werden solle. Dutschke konterte: „Die Liberalisierung ist längst im autoritären Staatsapparat des Faschismus untergegangen.“ Schließlich gab noch der SDS-Student Peter Gäng zu Protokoll, daß er auch trotz der „rührenden Bereitschaft“ Löfflers nicht aussagen werde. Unterdessen pfiffen seine Freunde außerhalb der Saaltür die Internationale. (Berliner Morgenpost, 21. Februar 1968)
Ihr lieben Achtundsechziger
Ihr lieben Achtundsechziger
Danke für Alles – Ihr dürft gehn
Aber bitte ruft uns
Aber bitte ruft uns
Aber bitte ruft uns nicht an
Wir rufen an
Vielleicht rufen wir an
Vielleicht…
(Peter Licht)
Dank an’s „APO-Archiv“ des Universitätsarchivs der Freien Universität Berlin für die großzügige Unterstützung. Und meine tief empfundene Begeisterung für Gerhard Seyfried, der eigens in seine digitalen Archive hinab stieg, um Illustrationen für das Kleine Rebellarium upzuloaden.