vonDetlef Berentzen 10.04.2018

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Demonstrieren, agitieren, Fahnen schleppen, Polypen jagen, all das macht schlapp und ist ziemlich anstrengend: Revolutionäre brauchen Urlaub! Linkeck hat mit Untergrund-Leuten aus Kopenhagen Kontakt aufgenommen. Selbstverständlich können Reise-Revolutionäre auch in Berlin eine Matratze finden. („Linkeck“, Untergrundzeitung)

Das waren verrückte Zeiten! Und so notwendig: „Lass Dich hier nie wieder sehen! Und nimm deine APO-Schlampe auch gleich mit!“ Der Aufbruch der 68er-Nachkriegsjugend ins Gegenteil war eine Provokation. Die kaputte Ordnung des AfterWar stand auf dem Spiel: Kommunen, SDS, antiautoritäre Rebellen, Anarchisten, Hippies, Kiffer, Weiberrat – der Teufel war los! I can’t get no! Da rennt der undankbare Nachwuchs demonstrierend und langhaarig durch die gerade mühselig wieder aufgebauten Städte, propagiert auch noch Sex, Fun und Rock’n Roll, versammelt sich am Kranzler-Eck und anderswo, schwingt revolutionäre Reden, verteilt Flugblätter gegen den Vietnamkrieg, produziert widerständige Zeitungen, haut dem Springer auf die Finger und faselt etwas von irgendeiner Poesie, die endlich an die Macht soll.

Sagen wir es so: Es war radikal was los damals, die Republik geriet mächtig in Bewegung und zwar nachhaltig: 1968 war einer der wesentlichen Anfänge, die in der Folge eine lebendige Demokratie erst möglich machten. Diesen (übrigens weltweit inszenierten) Anfang gilt es zu sinnfällig dokumentieren. Was da von den Vielen (auch von ihren Gegnern) geschrieben, gezeichnet, gedichtet, erzählt und geträumt wurde, gehört ans Licht: Raus aus den dunklen Archiven! Wir wollen uns Erinnerungen machen, dass die Funken fliegen!

 

 

Pfaffenbrut – Ihr wollt das deutsche Volk nach Eurem Gesicht umkrempeln. Ihr Idioten! Ihr habt noch nichts gearbeitet. Wir Arbeiter müssen die Pfaffenbrut ernähren. Lernt mal etwas! Pfaffengesindel! (Anonymous)

Die Unruhe der Jugend ist berechtigt. Wir fordern die politischen Parteien auf, die vielfältigen Ursachen dieser Unruhe endlich zu begreifen und ihre Berliner Vertreter daran zu erinnern, welcher demokratischen Aufgaben diese Stadt verpflichtet ist. Unser Grundgesetz spricht eine deutliche Sprache.….(Nicolas Born, Günter Grass, Peter Härtling, Helmut Heissenbüttel, Alexander Kluge, Hans Werner Richter, Wolfdietrich Schnurre und andere)

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März 1968

Bundespräsident Heinrich Lübke bestreitet am Bau von KZs beteiligt gewesen zu sein: „Nun wird die Behauptung verbreitet, ich hätte Pläne für Häftlingsbaracken unterschrieben. Selbstverständlich kann ich mich nach dem Ablauf von fast einem Vierteljahrhundert nicht mehr an jedes Schriftstück erinnern, das ich unterzeichnet habe. Es gehörte nicht zu meinen Aufgaben, Zeichnungen für Baracken zu unterschreiben.“

Schweden gewährt weiteren sieben US-Soldaten Asyl. Um nicht in Vietnam kämpfen zu müssen, waren die GI’s nach Schweden desertiert. Damit hatte sich die Zahl der US-Deserteure in Schweden auf 20 erhöht.

März-Unruhen in Polen: Demonstrationen gegen Zensur und Parteidiktat. Für „Frieden“ und Demokratie“. Polizei und Miliz gehen gewaltsam gegen die Demonstranten vor. Mehr als 300 Rebellen werden verhaftet.

Am 19. März konstituierte sich auch in Freiburg – wie schon in Berlin, Marburg, Karlsruhe Lindau – ein „Republikanischer Club“. Bereits am Gründungsabend trugen sich mehr als 50 Anwesende als Mitglieder ein. Aufgabe: „….Der Club soll ein Forum zur Analyse und Dikussion politischer und kultureller Probleme sowie zur Planung gezielter politischer Aktionen sein. (Freiburger Studenten Zeitung)

Kundgebung der NPD in Biberach an der Riss. Hauptredner: Der Nazi Adolf von Thadden. Die Kundgebung wird von Schülern und Studenten mit Zwischenrufen und Trillerpfeifen gestört. Thadden beschimpft die Biberacher APO als „maoistische Sklaven“.

Tschechoslowakische Reformer wie Alexander Dubcek widersetzen sich der Vorherrschaft der Alt-Stalinisten, organisieren Kundgebungen, Proteste. In Italien werden konservative Universitäten besetzt, ebenso in Nanterre: Dort beginnen seit dem 22. März jene Vorstellungen von Rätedemokratie zu reifen, deren Voraussetzung Daniel Cohn-Bendit kurz darauf erläutert: „Das bedeutet, daß wir Schritt für Schritt alle repressiven Institutionen unserer Gesellschaft zerschlagen müssen, um überhaupt dies Ziel, die Herrschaft der Arbeiterräte, Bauernräte und Studentenräte aufbauen zu können.“

Der Kapitalismus kann seine Attraktion nur mit geeignetem Menschenmaterial aufrecht erhalten. Seine politische und wirtschaftliche Propaganda wirkt gerade wie ein Spielzeug neben der Waffe der Erziehung, zu deren immer neuer Schmiedung er die Kleinfamilie am Leben hält. Im sicheren Gehege der Familie, kollektiver Kontrolle entzogen, werden die Fundamente der autoritären Persönlichkeit gelegt. (Autorenkollektiv Lankwitz)

 

Die Kommune 1 hat sich gefreut. Die haben uns doch hin und wieder besucht, brachten dann Kuchen mit, völlig bekloppt! Wir sind dann manchmal in die Kneipe gegangen und haben Bier und Schnaps gesoffen, weil die K 1 war ja ein bisschen puristisch in der Beziehung. Fritze kam, Langhans, Kunzelmann, die hatten damals noch, geradezu absurd, eine riesigen amerikanischen Schlitten, der war oben offen und damit sind sie die Karl-Marx-Straße langgefahren und Fritz hat dann gravitätisch winkend die Neuköllner Bürger begrüßt. (Bernd Kramer, Linkeck-Kommune, Bülowstraße)

 

Es gibt ein akutes Bedürfnis nach einer Organisationsfrom, die den Müttern zu bestimmten Zeiten ihre Kinder abnimmt, um arbeiten zu können. Dieses Bedürfnis läßt sich vor allem aus zwei Gründen nicht befriedigen….a) gibt es zu wenig Kindergärten, b) sind die Kindergärten, die es gibt, autoritär geleitet, sodaß es für die Kinder schädlich wäre, sie in eine solche Anstalt zu schicken.
Daraus folgt: Es müssen schnellstens Kindergärten gegründet werden! (Aktionsrat zur Befreiung der Frau)

Einen ganzen Monat vor dem Vietnamkongress, hat der „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“ auf einen Schlag fünf Kinderläden aus der Taufe gehoben. Die Initiatorinnen – Helke Sander, Marianne Herzog und Dorothea Ridder –  haben einen Flachmann geleert und dazu aufgerufen, das Problem Kinder und Emanzipation so zu lösen, dass die Frauen sich melden, die im gleichen Bezirk wohnen, also ein gemeindebezogenes Konzept gehabt. Dann haben sich an diesem Abend fünf ortsbezogene Gruppen gebildet, die dann eben die ersten Läden gegründet haben. (Heide Berndt)

 


Die Wiederkehr des Verdrängten. Überall sitzen rebellische Söhne und Töchter an den wachstuchgedeckten Küchentischen ihrer Familien. Und stellen Fragen, die niemand beantwortet. Das Schweigen macht frieren. Familien zerbrechen. Die aufständischen Kids finden sich bald darauf in Berlin wieder. Auch in Frankfurt , Heidelberg oder Göttingen. Wie sagte es Heinz Bude noch vor Jahren: „West-Berlin war die Stadt der Vaterlosen!“

Die Generation nach Auschwitz hat am Schweigen der Eltern gelitten. Die Verdrängung der Nazizeit wabert in den Schatten vieler Familiengeschichten und bewirkte letztendlich die fraglose Kontinuität der autoritären Verhältnisse, gegen die ein Teil der Jugend 1968 anti-autoritär aufsteht. Die Kinder haben das Grauen, die Angst und die Scham ihrer Eltern in diesem Schweigen aufgespürt. Und nun schon wieder: Ignoranz und Abwehr der Vätergeneration ob all der grausamen Bilder, die da aus Vietnam kommen. Oder eben nicht kommen: Das Massaker von MyLai, bei dem US-Infanteristen am 16. März 1968 mehr als 500 Menschen, darunter viele Frauen, Kinder und Greise, niedermetzeln, bleibt bis ins Jahr 1969 ohne jede Nachricht.

 

 

Überall im Lande finden Vietnamdemonstrationen statt, auch in Freiburg. Ab sofort werden sie im dort neu gegründeten (s.o.) „Republikanischen Club“ vorbereitet und debattiert. Gleiches gilt für Lindau, wo der Schriftsteller Martin Walser gar zum Vorstand des RC gehört – keine Atempause, Geschichte wird gemacht! …allerdings nicht nur von der APO. Auch jene „Volksgenossen“, die die Pflege des an „Heimat und Volk gebundenen Kulturgutes“ auf ihre Hakenkreuz-Fahnen geschrieben haben, nutzen die Stimmung gegen die APO: „Wem möchten Sie das Schicksal unserer Kinder und Enkel lieber anvertrauen? Den Dutschkes, Teufels, Langhans und Konsorten, die Ungewaschenheit, Störung von Gottesdiensten usw. für eine Lebensanschauung halten? Oder unseren Studenten vom Nationaldemokratischen Hochschulbund?“

 

Die Ostbullen haben uns durchgelassen, da war kein Problem, irgendwann an der Grenze zu Bayern, mussten wir wieder rechts ranfahren,  mit dem VW-Bus. Da haben uns die Deppen rausgeholt, da hatten wir nur eine Möglichkeit: entweder die ganze Auflage wegschmeißen und da kam einer auf die Idee, die sogenannten bösen Stellen zu stempeln. Da haben wir da am Grenzhäuschen gesessen, mussten erstmal Stempel organisieren und haben wie die Bekloppten da, haben Stunden gebraucht, um die berüchtigte Stelle unkenntlich zu machen. Einen Stempel habe ich noch. (Bernd Kramer, Linkeck)

Auf einem Teach-In vor wenigen Tagen haben wir durchgesetzt, dass wir folgende Forderungen stellen: Der Posten „Direktor“ wird aufgelöst und anstelle dessen tritt eine Kommission, die von Schülern und Lehrern gebildet wird. Dieser Forderung hat die Mehrzahl dieses Teach Ins zugestimmt. Es waren etwa 500 Schüler. (AUSS, Göttingen)

Anti-Vietnamkriegs-Demonstration in London. Mit einer Delegation des SDS. Ca. 25.000 Demonstranten ziehen zur US-Botschaft. „Zur völligen Überraschung der Organisatoren durchbrach die Menge die Polizeilinien und stürmte auf das US-Botschaftsgelände zu. Mit langen Schlagstöcken bewaffnet ging die berittene Londoner Polizei gegen die Demonstranten vor. Eine wilde Straßenschlacht nahm ihren Anfang. Mick Jagger war einer der Demonstranten und ließ sich zu seinem Song „Street Fighting Man“ inspirieren.“ (Siegward Lönnendonker: „Geschichte des SDS“)

Welcher Genosse muss in den nächsten Tagen nach Frankfurt oder Karlsruhe? Und kann da einen VW überführen? Bitte melden! Und welcher hundsvöttische Genosse hat die SDS-Stempel geklaut? Wir brauchen die! (Jörg Schlotterer, SDS)

Dank an’s „APO-Archiv“ des Universitätsarchivs der Freien Universität Berlin für die großzügige Unterstützung. Und meine tief empfundene Begeisterung für Gerhard Seyfried, der eigens in seine digitalen Archive hinab stieg, um Illustrationen für das Kleine Rebellarium upzuloaden. Merci vielmals auch an die Biberacher Geschichtschreiber vom „Theater ohne Namen“.

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