vonDetlef Berentzen 05.10.2018

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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„Die Technik des Glücks – Eine Franz-Jung-Revue“ – am 14. November ist Premiere im Berliner „HAU Hebbel am Ufer (HAU2)“. Hanna Mittelstädt (Edition Nautilus) hat Jahre lang für die Realisierung der Revue gekämpft, die theatralische Auferstehung eines verrückten Revolutionärs (1888-1963) betrieben, der ständig und wagemutig auf der Suche war, allemal nach dem Motto: „Mehr Tempo!, Mehr Glück! Mehr Macht!“. Nun ist all das auf dem Weg, die Proben beginnen. Die Musik für die Revue spielen „Die Sterne“. Das Textbuch haben, unter Verwendung der Texte Franz Jungs, Annett Gröschner und die Regisseurin Rosmarie Vogtenhuber geschrieben. Am Konzept ist auch Bühnenbildnerin Constanze Fischbeck beteiligt. Schauspieler auf der Bühne sind Robert Stadlober und Wolfgang Krause Zwieback. Im filmischen Teil der Inszenierung spielt Corinna Harfouch.  Sie geben alles! Endlich springen Franz Jungs Sätze aus dem Buch und beatmen die Bühne. Dort taumeln sie vielleicht noch ein wenig, suchen Ort und Bestimmung, doch das wird und wurde schon. Wie genau, das erzählt Hanna Mittelstädt (Künstlerische Leitung) bis zur Premiere in der Blog-Praxis von Dr. Feelgood.

 

Lieber Detlef,

reden wir mal von den Frauen v o r der Bühne: Annett Gröschner, Rosmarie Vogtenhuber, Constanze Fischbeck und ich, aber auch Corinna Harfouch (in den filmischen Szenen Darstellerin der Frauen aus Jungs Umfeld). Warum arbeiten wir uns eigentlich alle an Konzept und Textbuch ab, an der Durchdringung des Phänomens Franz Jung?!? …En passant: Solch eine kollektive Frauenriege als künstlerische Leitung ist übrigens einmalig in der Theater- und Textrezeption Franz Jungs!

Bei mir persönlich war es von Anfang an das Anliegen, diesen Typus Jung zu ergründen, ihn zu verstehen: die wahnwitzigen geistigen-intellektuellen-politischen Abenteuer, diese Verbindung aus Glücksuche und Politaktivismus. Und auch die Frage, warum die vier Ehefrauen, die Franz Jung alle mehr oder weniger ohne Erklärung verließ, trotzdem immer weiter zu ihm hielten? Die Sanftheit. Die abgrundtiefe Einsamkeit. Der furchtlose und auch furchtbare politische Aktivismus. All das.

Für Corinna Harfouch (s.u.) ist Jung extrem ambivalent: ist seine Gnadenlosigkeit sich selbst gegenüber eine Strategie, es immer wieder tun zu dürfen – das Verlassen, den Verrat?!? Und was genau verrät er da? Was steckt hinter seiner Tarnung, was oder wen schützt er?

 


Annett Gröschner hat den Verrat Franz Jungs an seiner Tochter Dagny (s.u.) genauer erforscht und deshalb den Roman „Das Jahr ohne Gnade“, in dem Jung diesen Vorgang schonungslos beschreibt, neu herausgegeben: Jung hatte Dagnys Verlobten, mitten in Chaos und Inferno des 2.Weltkriegs, aus rein strategischen (!) Gründen mit seiner neuen Lebensgefährtin Anna von Meißner verheiratet, damit diese besser durchkommen konnte. So entzog er der eigenen Tochter eine lebenswichtige Stütze – Dagny starb in der Folge aufgerieben und völlig geschwächt 1945 in einem Krankenhaus in Wien.

Rosmarie Vogtenhuber fragt sich, wie wohl in Franz Jungs Kopf die Utopie klang, das Wissen um die Möglichkeit der Veränderung der Welt? Und der Lärm draußen? War er nicht viel lauter? War die Kakophonie der Verhältnisse nicht unerträglich? Gab es einen Moment in Jungs Leben, in dem das Herannahen des Faschismus hätte gestoppt werden können?

 


Constanze Fischbeck setzt indes ihre Fragen optisch um; hier mit Kameramann Siska vor dem gestürzten Lenindenkmal auf der Zitadelle Spandau, immer auf der Suche nach Motiven für die Filme … Gefilmt wird übrigens mit einer mechanischen „Krasnogorsk III“-Kamera und zwar auf 16mm!

 

Foto: Constanze Fischbeck

Für uns alle bleibt die Frage, wie man die „Figur“ Franz Jung auf die Bühne bringt, die vor genau 100 Jahren, nach der Desertation aus dem 1.Weltkrieg, im Gefängnis „Die Technik des Glücks“ schrieb, eine Anleitung in 4 Übungsfolgen für die revolutionäre Veränderung, für das individuelle Glück innerhalb der Gemeinschaft. Für das Kneten der Seelen aus ihren Verpanzerungen heraus:

„Niemand, der in Bewegung ist, macht Fehler“ und „Die Revolution geht nach innen“.
In diesem Sinne wird am Montag wieder geprobt.
Ich berichte weiter!

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Hanna M.

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