vonDetlef Berentzen 07.10.2018

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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..habe ich überlegt, nehme ich Eier oder Tomaten mit? Dann kam es leider, wie wir vermutet hatten. Da habe ich eben mein Säckchen zerrissen und die Tomaten geworfen. Nun war der Teufel los…..(Sigrid D.)

„Sie haben nicht rumgejammert“, lobt Ulrike Meinhof in ihrer monatlichen „Konkret“-Kolumne, „und sie haben sich nicht als Opfer dargestellt, die Mitleid beantragen!“ – die 23. Delegiertenkonferenz des SDS im September 68 ist aus den Fugen geraten: Sigrid Damm hat in Frankfurt gegenüber den linken Patriarchen erst gar nicht viel Worte verloren, sondern gleich ein paar Tomaten –  mag sein, welche aus Holland – auf Vorstandsmitglied Hans-Jürgen-Krahl geworfen. Die Herren hatten ja schon Probleme, kritische weibliche Delegierte zur Konferenz zuzulassen, versuchten gar, die „Frauenfrage“ von der Tagesordnung zu streichen. Irgendwer, es wird wohl Sexpapst Reimut Reiche gewesen sein, empfahl den Frauen dann tatsächlich noch, den Genossen im Verband „temporär den Geschlechtsverkehr zu verweigern“ – zwecks Durchsetzung ihrer berechtigten Anliegen! Wie auch immer – die SDS-Männer kommen oft genug arrogant daher, gönnerhaft manchmal, abwehrend oft, wenn Frauen mit zunehmendem Druck ihre Emanzipation einklagen. Doch die Herren können nicht länger gegenhalten, als Helke Sander die richtigen Worte findet.

Genossen, Eure Veranstaltungen sind unerträglich! Warum sagt ihr nicht endlich, daß ihr kaputt seid, daß ihr nicht wisst, wie ihr den Streß länger ertragen könnt, euch bei politischen Aktionen körperlich und geistig zu verausgaben, ohne damit einen Lustgewinn zu verbinden? Warum kauft ihr denn alle den Reich? Warum sprecht ihr denn hier vom Klassenkampf und zu Hause von Orgasmusschwierigkeiten? Ist das kein Thema für den SDS? Diese Verdrängungen wollen wir Frauen nicht mehr mitmachen! (H.S.)

Der SDS – „ein aufgeblasener, konterrevolutionärer Hefeteig“! Den Frauen aus dem Berliner „Aktionsrat“ war schnell klar, daß die revolutionären Herren, trotz aller Bemühungen, in Sachen „Emanzipation“ nicht kooperativ sein würden. Nicht anders geht es bewegten Frauen in den USA. Sie protestieren gerade anläßlich der „Miss-America“-Wahlen in Atlantic City und fordern „Women’s Liberation“! Allüberall autoritäres Herrschaftsdenken, das auch bei den Führungskräften der Neuen Linken dominiert. Die Kerle wollen ihre Pfründe und Positionen verteidigen. Gegen Frauen, die nunmehr beginnen, ihre eigenen Zirkel zu gründen, dabei laut zu werden und klarzumachen, dass die alten Schweine keine Flügel haben.

Humor ist Widerstandsgeist gegen die Tücken des revolutionären Alltags! (Fritz Teufel)

Neuerdings soll es verboten sein, einen nackten Arsch abzudrucken und das Wort vögeln zu veröffentlichen. Auch soll man plötzlich die Leute nicht mehr auffordern dürfen, den Staat kaputtzumachen, wenn er die Menschen kaputtmacht. Wir glauben den Leuten von der Justiz einfach nicht, daß die wahren Gründe für ihr Eingreifen, die sind, die sie in ihrem abgestempelten Kram vorzeigen. (Linkeck 1968)

 

 

 

 

Die uns
vorleben wollen

wie leicht
das Sterben ist

Wenn sie
uns vorsterben wollte

wie leicht
wäre das Leben

(Erich Fried, Vietnamgedichte, 1966)

 

Kein rebellischer Diskurs ohne die nötige Literatur. Dafür braucht es linke Buchläden. Auch in Berlin: zwecks „Ablösung des traditionellen Buchhandelssortiments durch politische Schriften und Agitationsmaterial“. Auch illegale Nachdrucke von Literatur, sprich: „Raubdrucke“ werden dort verdammt preisgünstig verkauft: ob nun Anna Freuds Schriften zur Kindererziehung oder Walter Benjamins Aufsatz zum proletarischen Kindertheater. Die antiautoritären Rebellen der APO schaffen sich eigene Lese- und Produktionswelten, gründen auch linke Verlage und schauen dabei höchst kritisch auf die traditionelle bürgerliche Literatur: erst recht anläßlich der Frankfurter Buchmesse im Oktober 68.

 

You that build the big bombs…. You that hide behind walls… You that hide behind desks
I just want you to know…. I can see through your masks (Bob Dylan)

 
Auf der 68er-Buchmesse gibt Bundesfinanzminister Franz-Josef-Strauß am Stand seines Verlegers eine Pressekonferenz – abgeschirmt von massiven Polizeikräften. Sogenannte „linksradikale“ Verlage werden speziell überwacht und ihre Standorte auf der Messe als „gefährdete Gebiete“ bezeichnet. Die Lage spitzt sich zu, als ausgerechnet dem Staatspräsidenten des Senegal, dem angeblich „sensiblen Poeten“ Leopold Senghor der „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ verliehen werden soll: eine „Marionette des Imperialismus“, die mit Hilfe der bewaffneten französischen Kolonialmacht die Studentenbewegung des Senegal niedergeschlagen hat, protestiert der SDS. Am Tag der Preisverleihung an Senghor verfügt die Messeleitung die Schließung der Messe für den Publikumsverkehr, um Proteste vom Messegelände fernzuhalten. Polizei samt Wasserwerfern besetzt die Tore.

 

Ein Hundsfott, der sich damit abfindet. Was folgte war klar: Erbitterung, Knüppeleinsatz, Verhaftungen, endlose Diskussionen. Wiederholungszwänge. Sagte ein Apologet vom Börsenverein: „Politische Meinungen werden hier nicht zugelassen. Wir sind auf der Messe, um in Ruhe unsere Geschäfte zu erledigen!“ (Gerhard Zwerenz, „Konkret“)

 
Autoren wie Peter Bichsel, Günter Grass und Martin Walser bestehen qua Protestnote auf dem Demonstrationsrecht der Öffentlichkeit – auch auf der Messe. Ihnen geht es nicht anders als den Oppositionellen der „Studentenmission Deutschland“, die ihren Widerwillen gegen die repressiven Verhältnisse mit einem geflügelten Wort bekunden: Wir wären gut, anstatt so roh – doch die Verhältnisse sind nicht so!

 

 

 

Pfaffenbrut – Ihr wollt das deutsche Volk nach Eurem Gesicht umkrempeln. Ihr Idioten! Ihr habt noch nichts gearbeitet. Wir Arbeiter müssen die Pfaffenbrut ernähren. Lernt mal etwas! Pfaffengesindel! (Anonymous)

 
Die Verhältnisse der postfaschistischen Nachkriegsrepublik Deutschland brauchen dringend Reibung und Widerrede. Dazu bedarf es immer wieder einer Analyse der Folgen der Nazizeit für Subjekt und Gesellschaft. Der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich hat bereits im letzten Jahr so eine Analyse in Buchform vorgelegt, aus der er im Rundfunk vorträgt. Eine Analyse , die verstehen hilft, welche Quellen die Abwehr und das Schweigen der Kriegsgeneration speisen.

Die Unfähigkeit zur Trauer um den erlittenen Verlust des Führers und was er für so viele Deutsche an Selbstgefühl repräsentierte, ist das Ergebnis einer intensiven Abwehr von Schuld, Scham und Angst. Die Nazivergangenheit wird entwirklicht. (Alexander Mitscherlich)



Linkeck: Seid ihr Anfeindungen wegen eurer langen Haare und eurer auffallenden Kleidung ausgesetzt? Tangerine Dream: Schon wenn ich aus dem Haus gehe oder in die U-Bahn steige. Aber mir macht das nichts, das sind alles Vorurteile, die von Werbung, Presse und Fernsehen geprägt wurden. Du steigst zum Beispiel in die U-Bahn, da steht ein Bauarbeiter auf und sagt: „Na, Lotte, willst du dich nicht setzen?“ Aber das Eigenartige ist dabei, sobald man mit den Leuten ins Gespräch kommt, vielleicht nur fünf Minuten, dann beginnen sie plötzlich anders zu reden. Das kommt daher, dass sich die die Leute sonst mit dem Leben gar nicht beschäftigen. Linkeck: Aber stell dir mal vor, die Leute würden sich jetzt über alles Gedanken machen, über ihre Arbeit, über ihre Ehe…? Tangerine Dream: Ja, dann würde niemand mehr heiraten und niemand mehr arbeiten gehen!

 

„Das haben die 68er nun doch nicht verdient!“ (Springers „Welt“ zu „Gottschalks großer 68er-Show“,  ZDF 2018)

 

Dank an’s „APO-Archiv“ des Universitätsarchivs der Freien Universität Berlin für die großzügige Unterstützung. Und meine immer wieder tief empfundene Begeisterung für Gerhard Seyfried, der eigens in seine digitalen Archive hinab stieg, um Illustrationen für das Kleine Rebellarium upzuloaden.

 

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