vonDetlef Berentzen 07.11.2018

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Einfach nur gelacht hat er: „Mach Dir meine Erinnerungen selber. Aber so, daß die Funken sprühen“, warf noch ein paar letzte Fakten auf den Tisch und mußte dann schon wieder weiter. Also erfand ich mir meinen Schlund. Auch. Schließlich erfuhr man zu seinen Lebzeiten längst nicht alles von ihm. Und spürt doch heute noch, was ihn bewegte. Schließlich sind da seine Bilder, die Zeichnungen, die Bücher, die Materialien, die Notizen.. Die erzählen. Von einem Leben, in dem einer suchte und auch fand. Auch Farben. Und war so vielen Hilfe, Ansporn, Inspiration, ein guter Freund – ein alter Meister irgendwie. Einer, den ich nicht vergessen kann.

 

 

„SIE IST TOT. Gestern gestorben.“ Seine Stimme am Telefon rasselt. Da litt der alte Schlund schon lange, wenn gerade keiner hinschaute, unter seinem ganz eigenen Asthma und lachte hämisch, wenn wir vorsichtig nachfragten. Krankheiten sind eben Symbole und Symbole zeichnet man auf Papier, malt sie auf Leinwand oder collagiert die gebrauchten Taschentücher mit dem gelbgrünen Auswurf auf einer großen Klebefolie und nennt das Ganze „Sehnsucht“.

Als Schlunds Mutter starb, malte er nicht, sondern arbeitete gerade wieder für irgendein Projekt, für irgendein Ministerium, vielleicht bekehrte er auch gerade gegen Honorar eine der stocksteifen Gewerkschaften zur inspirierten Kulturarbeit mit Müllmännern, und die Gewerkschafter hatten wieder mal keine Ahnung, was das eigentlich sein soll: Kultur? Er war jedenfalls wieder mal auf Trebe, die Mutter war gestorben, aus, vorbei, lange schon kein Wort mehr, es gab nichts mehr zu sagen, also blieb sie in den Schatten.

 

Dort sollte sie gefälligst für immer bleiben, sich nicht rühren und nicht weiter um ihren Sohn kümmern. Da waren schließlich andere, die sie heilen konnte. „Mutter“, er sagt natürlich Mutter, nicht Mutti, nicht Mama, nicht Mammi, von wegen, „Mutter hatte in den Fünfzigern immerhin noch Heilpädagogik studiert und eine eigene logopädische Praxis aufgemacht“. Logopädie also. Sprache, Sprechen all das.

Schlund war im Laufe der Jahre zu sich selbst erwachsen und vor der Mutter verstummt. Keine Besuche mehr. Eines Tages hatte er sie angerufen, vielleicht von Frankfurt aus, und ihr gesagt, daß sie sich ihre Reibekuchen sonstwohin und überhaupt I can’t get no! Schlund konnte ihr nicht verzeihen. Nicht diesen Stiefvater, nicht die Werkzeuge ihrer Gewalt, nicht die alten Lügen, erst recht nicht das, was sie ihm zeigte, damals und ziemlich stolz in Berlin. Ganz in der Nähe vom Bayerischen Platz.

 

 

„Schau mal die!“
Kleine traurige Menschen mit einem gelben Stern auf der Brust, die von Uniformierten auf Lastwagen gestossen wurden und der Stiefvater erlaubte ihm, „So ist’s recht, mein Junge!“, den Todgeweihten zum Abschied die Zunge herauszustrecken.
Schlund fand einfach keine Worte mehr für diese Mutter und sie keine für ihn, dafür hatte sie bis zuletzt andere sprechen, hören, atmen, hoffen gelehrt. Logopädie.
Jetzt war sie tot.

Wir sind zu ihrem Haus gefahren. Da war die hochbetagte Alte schon aufgebahrt. Nein, nicht in ihrem Haus, sondern bei einem westfälischen Bestatter, der außer Eichensärgen nichts anzubieten hatte. „Sentimentale Eichen“ hat Heine die Westfalen genannt. Vielleicht deshalb.

Wir fahren also, es ist Abend, Schlund mit feuchten Händen neben mir, hustet, raucht, hustet, und hat große traurige Kinderaugen, schaut aus dem Fenster, blickt verzweifelt zu mir, weiß nicht wohin, also fahre ich auf den Parkplatz einer Kneipe, Pollmannskrug vielleicht, halte an und nehme ihn in den Arm. Tränen, Schluchzen, wir heulen und jemand klopft an die Scheibe der Fahrertür.

„Aber nicht hier, fahren Sie sofort weiter!“

„Parkplatz nur für Gäste“, steht auf dem Blechschild neben der Cola-Reklame. Der Pollmann ist persönlich gekommen. Mit der knappen Lederschürze unter dem Schmerbauch. Der Alte kennt seine Pappenheimer, den ganzen Schweinkram, der des Nachts auf Parkplätzen passiert und „Jetzt auch noch Männer!“ Will die Polizei holen, doch die muß nicht kommen, weil wir so sehr lachen müssen, daß auch er fröhlich grunzt und uns später am Thresen zwei Bier spendiert: „Nix für ungut!“ Dann noch zwei Halbe, dazu knackigen Spaß im Glas und so weiter. Oben im Haus gibt es Schlafräume, die immer noch Fremdenzimmer heißen. Mit Doppelbetten und Hirschportät darüber. Am nächsten Morgen wird Mettwurst zum Frühstück gereicht.

 

 

Nur Minuten entfernt stehen Birken in Mutters Garten, gibt es eine Waschbetonterrasse mit Kamin, eine kurzgeschorene Wiese mit Vogeltränke, einen Gitterzaun um das Grundstück, mit schmiedeeisernem Gartentor, doch Schlund will nicht durch dieses Tor, muss aber.

„Und warum hat sie ausgerechnet dieses Zimmer leergeräumt?
Was sollte hier stattfinden?“

Alle Räume des kleinen Bungalows sind bis zum Anschlag möbliert, nur dieses eine nicht, das mit den blankpolierten Dielen und den geschlossenen roten Samtvorhängen, Glühbirne nackt an der Decke. Kein Stäubchen, nirgendwo. Das Zimmer hat vielleicht gewartet, auf irgendwen, der da kommen wird, wie dieses Schiff, das die Sehnsucht erfüllt mit seinen acht Segeln. Und den Kanonen.

Ohje, in einer Ecke dieses Zimmers, fast hätten wir es nicht bemerkt, da liegt ein Ding an sich und ruft ganz leise. Fast ein Raunen ist das. Der Schlund wird plötzlich steif, ganz steif, “Mein Gott“, das ist wie ein Wimmern, das dem Raunen antwortet, er geht zwei Schritte vor und in die Knie vor diesem Damenschuh.

 

Rot ist der Schuh, rot wie ein Feuerwehrauto, aus echtem Leder, mit hohem Absatz und liegt da wie gerade eben ausgezogen, vom nylonbestrumpften Fuß gefallen. “Sie liebte rote Schuhe“, seufzt er, und nimmt den Roten in die Hand, vorsichtig, zärtlich. Ich gehe aus dem Zimmer, schließe nicht die Tür.Später dann, als er nicht mehr kniet und die Mutter längst in westfälischer Erde ihren Eichensarg bewohnt, da hat er den Schuh gemalt. Auf eine große Leinwand. Und hat nicht geweint dabei.

Illustrationen: Joern Schlund

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