vonDetlef Berentzen 06.02.2019

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Von wegen Krieg. Und Afterwar. Du wirst dich nicht gern erinnern. Mehr als 60 Jahre ist das her. Da warst Du fast jede Nacht am Ersticken. Hast gekeucht, geschrieen, das Fenster aufgerissen. Nicht sterben, Vati!

 

Heute reden ExpertInnen und Medien problemlos von sogenannten „Panikattacken“ oder „Posttraumatischen Belastungsstörungen“, bieten Trainings, Psychotherapien und Medikamente an. Damals nicht. Ich habe keine Ahnung, ob Dir so eine Therapie irgendwie geholfen hätte – einem, den sie mit 18 Jahren ins deutsche Feldlazarett vor Leningrad stellten. Die Bewohner einer ganzen Stadt belagert, beschossen, bombardiert, ausgehungert und vernichtet – mehr als eine Million zivile Tote! Junge und Alte. Und auf dem Tisch im Sanitätszelt Horst, dein Kumpel, dem es dabei den Bauch aufriss. Zeitlebens hattest du diese Bilder im Kopf, auch Stimmen – von denen du mir erst gegen Ende deines Lebens, kurz, ganz kurz nur erzählt hast. Nachdem wir so lange sprachlos waren.

„Fünf Minuten, nicht mehr!“, hast Du mir gegeben. Schon nach zwei Minuten wurde ich starr und steif, watete in Blut, hörte die Knochensäge, hatte kein Narkosemittel mehr für die schreienden und sterbenden Verwundeten. Später habe ich geheult und dich in den Arm genommen. Sie haben dich eine Menge gekostet, diese Minuten. Wie lange hast du vorher wach gelegen, wie viele Kippen hast du geraucht, wie lange hast du im Sessel vor dich hingestarrt, bevor du dich entschieden hast? Mit niemandem hattest du bislang je über dein Grauen geredet. Ein halbes Jahr später warst Du tot.

 

Für zitternde, um Hilfe schreiende „Sanis“ wie Dich gab es in den 1950ern der Adenauerzeit keine „Krisenintervention“, es gab nur jede Menge alte Nazis, das kunterbunte Wirtschaftswunder und Alkohol ohne Ende. Also blieb deine Angst. Dabei solltest du doch einmal „zäh wie Leder“ werden, „hart wie Kruppstahl“ und „schnell wie ein Windhund“ – immer wieder hast du das in Deinem Sessel vor dich hin gemurmelt, dabei den Kopf geschüttelt und bist irgendwann verstummt, hast vor dich hin gestarrt. Ich saß dann mit fragendem Kindergesicht da, schaute dich an, stellte mir schnelle Windhunde vor und das gut riechende Leder beim russischen Schuhmacher um die Ecke. Mutter sprach zwar irgendwann auch mal von einer „Kriegsneurose“, aber wie sollte ich denn wissen? Keiner wollte wissen. Die meisten nicht. Ich habe nur und immer Deine Angst gespürt. Die kam des Nachts durch die Türritzen in mein Zimmer gekrochen und im Dunkeln bedrohlich nahe. Ich konnte damals nie mehr ohne Licht schlafen. Und der Kinderarzt hat mir Tabletten gegen meine Unruhe verschrieben.

Jahrzehnte später, habe ich für eine Rundfunksendung Hitlers „Reichenberger Rede“ aus dem Jahre 1938 abgehört, in der der „große Diktator“ hämisch erklärt, wie die deutsche Jugend vom Jungvolk in die Hitlerjugend, dann weiter an die SA oder SS und dann an die Wehrmacht gereicht werden soll: „Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!“ Dann nicht enden wollender Applaus und „Heil!“ und „Hurra!“ Ich könnte kotzen. Heute noch.

Trotz dieser Prophezeihungen bist du im Afterwar losgezogen, Richtung Kneipe, auch zum Schwof: „Ich tanze wie ein junger Gott!“, hast du gesagt. Und ich glaube, du hattest recht. Wenn ich dir damals beim Tanzen zuschauen durfte, bei einer Feier daheim zum Beispiel, dann war alles an dir federleicht, pure Harmonie, kein Schmerz sichtbar und deine Augen funkelten! Ich habe dich angestrahlt und so gut ich konnte applaudiert, wie es mir die Oma beigebracht hatte. Da hatten wir noch keinen Fernseher. Kulenkampff mit seinen amputierten Zehen kam erst später.

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