vonDetlef Berentzen 13.02.2019

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Die Wahrheit nämlich ist dem Menschen zumutbar. Wer, wenn nicht diejenigen unter Ihnen, die ein schweres Los getroffen hat, könnte besser bezeugen, daß unsere Kraft weiter reicht als unser Unglück. Ich glaube, dass dem Menschen eine Art des Stolzes erlaubt ist – der Stolz dessen, der in der Dunkelheit der Welt nicht aufgibt und nicht aufhört, nach dem Rechten zu sehen. (Ingeborg Bachmann, 1959, anlässlich der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden)

 

Stimmen aus dem Radio, wie die der Bachmann, geben mir bis heute Halt und Sinn. Wieviel mehr aber brauchte ich sie als Kind! Meine eigene Geschichte ist Radio, braucht Radio, wird Radio. Immer wieder. Ich habe mal, nach der „Wende“ war’s, eine Reihe von Veranstaltungen in der Berliner „Kulturbrauerei“ gemacht: „Erzähltes Leben“, habe Gäste aus Ost und West eingeladen und mit ihnen über ihre höchst unterschiedlichen Biographien gesprochen. Und da war tatsächlich keiner, der sich in diesem Zusammenhang nicht an die Stimmen aus seinem Radio erinnerte, an Hörspiele, Konzerte, Nachrichten, die ihm mitunter Ohren und Augen öffneten. Ihm auch radiophone Welten bauten, die lebendig und bewohnbar waren. Mag sein, das Radio gerät heute in all den flirrenden Medienwelten zunehmend zur verdudelten Popmaschine, verkleidet sich als Podcast, doch ist das längst nicht alles: das Radio hat Geschichte, einen festen Grund, der nicht verloren ist, der bleibt, der Bedeutung hat und auch mein Anfang war.

In den 1950er-Jahren war es tatsächlich das Radio, das mich immer wieder aus Angst und Einsamkeit rettete. Erst recht dann, wenn ich aus der „Volksschule“ nach Hause kam, an der Lehrer unterrichteten, die noch „Zucht und Ordnung“ kannten. Mit deren Strafen im Nacken kam ich oft ziemlich geduckt nach Hause… und niemand war da: mein Vater saß oft genug schon früh in der Kneipe und meine Mutter verbrachte ohnehin die meiste Zeit bei Oma Josefine, genannt Fini. Immer flüchtete sie mit meinem kleinen Bruder in die Arme ihrer Mutter, wenn es ihr mit meinem „Alten“ zuviel wurde. Ich aber galt ihr als mieses „Vaterkind“, musste daheim bleiben, einkaufen und schon früh ein „richtig großer Junge“ sein.

 

 

 

Also war ich brav, schmierte mir nach der Schule Stullen mit „guter Butter“ oder kochte mir eine von diesen Maggi-Pulversuppen aus der Schachtel: Erbsensuppe, Linsensuppe, Tomatensuppe – verdammt lecker! Sofort nach dem Essen hockte ich mich auf den Teppich im Wohnzimmer vor meinen Wunderkasten. Irgendwann hatte mein Vater diesen Apparat gebraucht gekauft: Ein „Telefunken Andante S“ mit beleuchteter Senderskala, UKW-Empfang und einem magisch grün leuchtenden Auge, das nie aufhörte mich anzuschauen. Ein Auge, das über mich wachte und mit irgendeinem Zauber, den ich nicht verstand, dafür sorgte, daß ich immer wieder die Erkennungsmelodie vom NDR-Kinderfunk hörte – solange, bis ich sie pfeifen konnte.

Diese Melodie pfiff ich vor mich hin, wenn ich auf dem Hinterhof spielen ging. Und die anderen Kinder pfiffen mit, ….den Kinderfunk kannten alle. Doch über die Magie des grünen Auges traute ich mich nicht zu reden, auch nicht darüber, daß mir das Auge manchmal zuzwinkerte und mich alles hören ließ, was ich wollte. Auch am Sonntag. Auch die Geschichten von Kalle. Ich erinnere mich genau: Alle Leute sprechen davon in jeder Stadt, es gibt kein Verbrechen, das aufgeklärt nicht hat: Kalle Blomquist der Meisterdetektiv, Kalle Blomquist der Meisterdetektiv!

 

 

Yeah! Es war ein wunderbares Wunder. Ich brauchte nur am Sendeknopf zu drehen und schon erzählte mir jemand etwas. Manchmal allerdings auch Geschichten, die mich verwirrten: Rüthel, Wiethold, Pole, 30 Jahre alt, geboren in Warschau, verhaftet im Oktober 44, nach Groß-Rosen gebracht, gesucht von seinem Sohn: Rüthel, Pjotr….Sie hören den Suchdienst!

Das war schwer zu begreifen: Söhne suchten ihre vermissten Väter. Frauen ihre Männer. Immer noch. Daß es einen Krieg mit vielen Toten gegeben hatte, das wusste ich. Und daß mein Vater mit nur achtzehn Jahren Sanitäter in Russland gewesen war, das hatte er mir selbst erzählt. Mehr nicht. Danach war nicht viel von ihm übrig geblieben. Mein Vater hatte nichts mit den „Pappis“ aus der Radiowerbung zu tun, überhaupt nichts: (Mädchen) Weißt Du, wenn Papi nach Hause kommt, und macht so ein ernstes Gesicht, dann nimmt er die Flasche Du… (Mutti) Dujardin! (Mädchen) …und trinkt ein Gläschen. Dann schnuppert er mit der Nase, zwinkert mit den Augen und sagt: Ach, der ist wundervoll! Das muss doch was Schönes sein! (Mutti) Da hast Du recht, Dujardin ist auch etwas Schönes!

Ich mißtraute dieser Werbung. Erstens trank mein Vater nicht nur „ein“ Gläschen am Abend und zweitens nannte ihn meine Mutter damals oft genug „alter Suffkopp“. Erst recht dann, wenn er seine Stammtischbrüder am Samstag zu uns nach Hause einlud, um nachmittags mit ihnen ein Fußballspiel im Radio zu hören. Da gab es vorher jedes Mal Streit, der immer lauter wurde – Türen knallten und am Ende setzte meine Mutter den kleinen Bruder in den Kinderwagen und schob wieder ab zu Oma Fini. Wütend war sie. Und wird wohl unterwegs kaum stehen geblieben sein. Auch nicht vor dem großen Schaufenster des Rundfunkgeschäfts. Da hätte sie hören können, daß Radios quicklebendig sind und richtig sprechen können. Vielleicht wäre die Werbung, die dort aus dem Außenlautsprecher tönte, ein klitzekleiner Trost für sie gewesen:

Hallo, gnädige Frau, gestern sind Sie an mir vorübergegangen, Ihre schönen Augen haben mich gestreift, seitdem stehe ich hier und warte auf Sie. Ich bin der Rundfunkempfänger ‚Schaub-Kongress’, ich habe sechs Kreise, drei Doppelröhren mit sechs Funktionen, drei Wellenbereiche und meine Skala ist bereits für UKW geeicht. Ich bin noch zu haben, gnädige Frau!

Von wegen. Wir blieben bei unserem „Andante S“. Blieben troy. Bis irgendwann diese aufgetakelte Phonotruhe ins Haus kam……

 

(Heute ist „Welttag des Radios“. Macht aber nix.)

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