vonDetlef Berentzen 12.03.2019

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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„Hör dir doch nur mal an, wie die reden“, sagte Barbara, „alles muss launig klingen, lustig, witzig, sogar der Verkehrsbericht, und wenn sie von einer Massenkarambolage berichten, wird der Bericht noch mit Musik unterlegt. Die trauen einem nicht zu, fünf sachliche Sätze in Ruhe anhören zu können.“ (Siegfried Lenz, „Fundbüro“).

 
Listen to that radio! Siegfried Lenz, Sie wissen schon, der mit der „Deutschstunde“, war so einer: Ein Hörer. Mehr noch, Lenz schrieb Hörspiele, konnte zuhören, nachhören und hatte recht: Gebt mir nur fünf Sätze, ich kapiere auch noch den sechsten. Es gilt das gesprochene Wort. Und nicht alles muss Easy Listening sein. Erzählen geht anders. Verstehen auch. Wie sagte es Peter Härtling noch: „Geschichten müssen mich betroffen machen, schwer atmen lassen!“ Ich hocke noch heute oft genug vor dem Radio. Bin auf Empfang: Bitte nicht stören! Dazu ein Tässchen Tee. Ostfriesenmischung.

 

Schon als Kind stellte ich die Lauscher auf, war neugierig, wollte zum Beispiel verstehen, was uns da im AfterWar geschah und immer war es das Radio, das mir beim verstehen half. Nehmen wir nur meinen Kinder- und Jugendfunk der frühen Jahre:

„…. manchen Leuten in Waldhagen ist es gar nicht recht, daß Krämer Schnack solche Cowboypistolen verkauft., denn überall auf der Straße knallen und lärmen die Jungen damit herum. Gestern abend auch. es war schon dämmrig, als etwas Aufregendes passierte. (Kinder) Winnetou kommt…Peng….Peng,….Peng….Aua, ich hab keine Munition mehr, ich geh nach Hause…Ich komm mit…Ach, Quatsch, ihr bleibt hier, gleich wird es dunkel, da können wir prima Gangster spielen….Mann, sei still, ICH krieg die Jacke voll, wenn ich zu spät komme, nicht Du!“

Heinz Reincke war der Sprecher, der Erzähler. Was für eine Stimme! Wenn der mir Ende der 195Oer-Jahre „Neues aus Waldhagen“ erzählte, spürte ich eine verdammt wunderbare Nähe  – norddeutsch war er, rauh und freundlich. Der Reincke verstand mich ziemlich gut und erzählte im Radio tatsächlich Geschichten, in denen Jungens vorkamen, die zu Hause „die Jacke voll kriegten“ – genau wie ich. „Und mal ehrlich“, grinste mich viele Jahre später Bodo Morshäuser am Berliner Nollendorfplatz an: „Wir haben doch fast alle die Fresse voll bekommen!“ Ohrfeigen, Hintern versohlen, Ohrendrehen, Schläge auf den Hinterkopf, Einsperren, Eckestehen, alles war im Angebot. Bei mir zu Hause gab es meistens was mit dem Teppichklopfer: „Damit Du nicht wirst wie Dein Vater!“, schrie meine Mutter. Nutzte aber nix.

Eines Tages kam Oma Fini in unsere Wohnung, meine Mutter war mit dem Bruder fort und mein Vater irgendwo, Oma setzte ihren Hut ab, packte ein paar Klamotten in meinen kleinen Koffer und machte ein ernstes Gesicht: „Das geht so nicht weiter! Du kommst jetzt mit!“ Ich wußte nicht, wie mir geschah, erinnere mich nur, daß ich mich eine halbe Stunde später in einer kleinen Dachkammer neben ihrer Stube wiederfand – samt Sofa, Tisch und einem Radio: eine elfenbeinfarbene „Philetta 203“. Nur für mich. Und später darin die Stimme vom ollen Kästner, den Oma Fini so gern mochte, weil er auch von ihr erzählte: „Damals gab es noch einen deutschen Kaiser. Er hatte einen hochgezwirbelten Schnurrbart im Gesicht. Und so banden sich die deutschen Männer, morgens nach dem Rasieren, eine breite Schnurrbartbinde über den Mund, sahen albern aus und konnten eine halbe Stunde lang nicht reden!“

 

Als Erich Kästner vom Bart des Kaisers (s. Foto) sprach, saß Oma Fini auf dem Sofa neben mir und nickte fröhlich: Zu Wilhelms Zeiten war sie selbst noch Kind gewesen. Damals in Berlin. In Wilmersdorf. Und musste ein Matrosenkleidchen tragen. Zeigte mir Fotos von Vater, Mutter, Schwester, auch vom Kaiser und dann wieder der Kästner: “Ich bin noch mit der Pferdebahn gefahren, der Wagen lief schon auf Schienen, aber er wurde von einem Pferd gezogen und der Schaffner war zugleich der Kutscher und knallte mit der Peitsche!“  Hört sich romantisch an. War es aber nicht. Das Pferd tat mir leid.

Oma Finis Wohnung war nicht groß, nur Stube, Küche, Außenklo, deshalb hatte sie für mich diese klitzekleine Dachkammer gemietet – ein paar Quadratmeter, mit schrägen Wänden aus Holz, nackten Dachpfannen und darin eine Luke, durch die des Nachts die Sterne funkelten. Was für wunderbare Nächte: Über mir dieser tröstende Himmel und neben mir das leuchtende Radio, das mich mit der ganzen Welt verband – auf UKW, Mittel- oder Kurzwelle. Meiner Oma ging es nicht anders. Wenn ich aus der Schule kam, tönte aus ihrem Radio in der Stube meistens laute Musik. „Von einem ganz großen Orchester!“, erklärte sie mir: Geigen, Flöten, Harfe, Trompeten, Hörner, Pauken, all das. Die alte Frau liebte klassische Musik und erst recht die italienische Oper. „Setz dich zu mir und hör zu!“, flüsterte sie immer. Also hockte ich mich in die Sofaecke, lauschte und begegnete dort irgendwann einem gewissen Verdi. Der mich bis heute nicht verlassen hat. Doch das ist eine andere Geschichte.

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