Lieber Detlef,
„Zack, zack, zack.“ So wollte Heinz-Christian Strache „drei, vier Leute abservieren“. Gemeint waren Journalisten und Journalistinnen. Dass das Personal der FPÖ und ihr Wahlvolk ein gestörtes Verhältnis zum kritischen Journalismus haben, ist nicht neu. So beschwert sich die blaue Partei seit Jahren regelmäßig über die Berichterstattung im ORF. Immer wieder werden einzelne Redakteure und Redakteurinnen angegriffen. Kurz nach Ostern wollte der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrates, Norbert Steger (ein Freiheitlicher), den bekannten Moderator der Spätnachrichtensendung „ZIB 2“, Armin Wolf, gleich für ein ganzes Jahr beurlauben lassen. Grund: Armin Wolf hatte dem FPÖ-Spitzenkandidaten zur EU-Wahl, Harald Vilimsky, unter anderem kritische Fragen zu einer Karikatur der steirischen FPÖ-Parteijugend gestellt, die im „Stürmer“-Stil daher kam. Vilimsky war sehr empört. Aber nicht über die NS-ähnliche Bildsprache seiner jungen Leute, sondern über den dreisten Redakteur.
Die permanente Medienschelte der FPÖ hat Methode. Damit wird zweierlei bewirkt. Zum einen kann man sich so bestens als Opfer inszenieren. Das kommt in Österreich sehr gut an. Hier fühlt man sich gern als Opfer und erntet schnell viel Sympathie. Zum anderen sollen die Menschen kritischer Berichterstattung misstrauen. Die Kernzielgruppe wird mittlerweile zudem mit eigenen Medien ganz gut bedient. Plattformen und Zeitungen wie „fpoe-tv“, „unzensuriert“, „zur Zeit“ oder „Wochenblick“ rücken die blaue Riege ins rechte Licht und berichten zugleich plakativ über das überbordende Böse. Dieses Böse sind linkslinke Politikerinnen und Politiker, Gutmenschen und Migranten und Migrantinnen. Weil der lokale Horror nicht reicht, werden auch gerne Beispiele aus dem Ausland genommen: Messerstechereien in Deutschland, Vergewaltigungen in der Schweiz, abgefackelte Autos in Italien (gern auch passende Sequenzen aus Spielfilmen, die dann als „Newsbeitrag“ verkauft werden, d. Säzzer). Egal, Hauptsache die Verdächtigen kommen aus Afghanistan, Schwarzafrika oder dem Maghreb. Die Schauermärchen bilden dann einen guten Untergrund für die Jubelberichterstattung über die großartigen patriotischen Leistungen der eigenen politischen Garde.
So stellt sich die FPÖ Journalismus vor. Soll sein, solange die Pressefreiheit unangetastet bleibt. Doch genau diese würden die blauen Spitzen ja gerne abschaffen. Und zwar nicht nur durch Gepolter und Sabbatical-Empfehlungen, sondern durch unmittelbare Eingriffe in die Eigentumsverhältnisse der Medien. So wie das ihr großes Vorbild Viktor Orban in Ungarn schon vorexerziert hat. Mithilfe befreundeter Finanziers – darunter der österreichische Investor Heinrich Pecina – ließ Orban sukzessive unabhängige ungarische Medien aufkaufen und an Gefolgsleute weiterreichen. Ähnliches schwebte auch dem „Alpen-Orban“ Heinz-Christian Strache vor. Im mittlerweile wohl weltweit bekannten Ibiza-Video schwadroniert der ehemalige Zahntechniker über den Verkauf eines Teils des ORF sowie der Kronenzeitung an eine vermeintliche Milliardenerbin. Das passt zwar recht stimmig ins Gesambild der freiheitlichen Allmachtsphantasien, ist in Österreich aber eine doppelte Grenzüberschreitung.
Der ORF bietet, trotz manch absonderlicher Formate und einer ganzen Menge an billigem Kommerz, solide aktuelle Berichterstattung, speziell auch in den Bundesländern und im Kulturbereich. Österreich ist eine föderale Republik. Sechs Landeshauptleute gehören der ÖVP an, drei der SPÖ. Die reagieren sehr empfindlich, wenn der ORF in seinen Grundfesten in Frage gestellt werden soll. Bei allem neoliberalen Hokuspokus, den Kanzler Kurz und sein Umfeld in den vergangenen eineinhalb Jahren veranstaltet haben, sollte man nicht vergessen, dass Österreich ein ländlich geprägtes, konservatives Land ist. Die schwarzen Landesfürsten sind entsprechend selbstbewusst. Die wissen ganz genau, was ihre ORF-Landesstudios können und bringen. Da lassen sie sich nicht von irgendwelchen blauen Emporkömmlingen dreinreden. Und die drei roten in Wien, Kärnten und dem Burgenland erst recht nicht. Das weiß auch Sebastian Kurz mit seinen Getreuen.
Die Kronenzeitung wiederum ist ein Sonderfall in der Medienlandschaft einer westlichen Demokratie. Nirgendwo gibt es eine Zeitung, die in der Relation zur Bevölkerung soviele Menschen erreicht. Man kann die Kronenzeitung zu recht kritisieren. Es gibt da vieles in ihrer Berichterstattung, was nicht gerade elegant daherkommt. Oftmals werden dumpfe Ressentiments bedient. Und natürlich ist die Kronenzeitung kein Hort der Avantgarde. Aber die Eigentümerfamilie wie die Redaktion haben immer ganz besonderen Wert auf ihre Unabhängigkeit gelegt. Nicht die Politik mischt sich in die Krone ein, sondern die Krone in die Politik. Und da wiederum geht’s im allgemeinen um die Sache. Wer das von der Krone forcierte Thema besser aufgreift, wird unterstützt. Egal von welcher Partei. Die Krone kann man durchaus inhaltlich attackieren. Die halten das gut aus, auch wenn sie in der Reaktion vielleicht zur großen Keule greifen. Beim nächsten Thema aber kann es wieder ganz anders aussehen und Kooperation ist möglich. Doch in die Redaktion und in die Unabhängigkeit des Blattes eingreifen zu wollen, das ist eine Todsünde. Die wird nicht verziehen. Nie. Und die Krone vergisst nicht.
So war der stolze Vizekanzler Strache auf einmal selber „zack, zack, zack“ weg vom Fenster der Macht und weg aus der Politik. Er und seine Partei versuchen nun natürlich das bekannte Opferlied zu singen. Sie haben nichts Böses getan. Sie sind hereingelegt worden. Sie sind arme Opfer. Heinz Christian Strache und Johann Gudenus wurden gemein getäuscht (durch die „schoafe“ Olga von der Wolga). Die FPÖ wiederum ist das Opfer von Strache und Gudenus. Tja, beim Opfersein, da kennen wir uns aus. Das können wir sehr gut hierzulande. Die besten Darstellung dieser österreichischen Lieblingsrolle gibt es von Helmut Qualtinger in der Rolle des Herrn Karl. Der sinniert über sein Tun nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland (1938): „I hab nur an Juden g’führt. I war ein Opfer. Andere san reich worden, i war a Idealist.“
Genau dieses Selbstverständnis ist auch der wesentliche Punkt der aktuellen Affäre. Sie ist ein Spiegelbild der österreichischen Seele. Ich stimme dem Bundespräsidenten Alexander van der Bellen, der sein Amt nun souverän und mit großer Ruhe ausübt, nicht (!) zu, wenn er meint „So ist Österreich nicht“. Oh doch!!!! So ist Österreich!!!! Kleingeistige Habgier im Spannungsverhältnis zwischen Größenwahn und Depression. Kann man nachlesen bei Ödön von Horvath, bei Thomas Bernhard, bei Elfriede Jellinek, auch bei den großartigen, leider vergessenen österreichischen Autorinnen der Zwischenkriegszeit wie Veza Canetti, Mela Hartwig oder Marta Karlweis. Diese nun gescheiterte Regierung war sehr ehrlich in ihrer Politik. Hier wurde gar nichts mehr verbrämt. Hier wurde Niedertracht ungeschminkt zur Schau gestellt. Ein paar Beispiele gefällig?
Der niederösterreichische Integrationslandesrat Waldhäusl proklamierte vor knapp vierzehn Tagen zehn Gebote für Migranten und Migrantinnen. Das erste Gebot: „Du sollst die deutsche Sprache lernen“. Ich erinnere mich an ein Druckwerk der freiheitlichen Wirtschaftstreibenden, in dem das große Lamento über die schlechte Schulausbildung angestimmt wurde. Ich habe da auf einer A4-Seite 15 (!) Deutschfehler gefunden. Gut, ich bin ein Migrant. Ich soll ja im Gegensatz zu den Eingeborenen die deutsche Sprache lernen. Und laut Waldhäusls zehntem Gebot soll ich „Österreich gegenüber Dankbarkeit leben“ (sic!). Anderes Beispiel. Mit seiner letzten Amtshandlung hat der scheidende Innenminister Kickl (ja, jetzt ohne Pferde!) eine Verordnung erlassen, derzufolge Asylwerber und Asylwerberinnen für das Verrichten von Tätigkeiten in der Gemeinde maximal 1,50€ pro Stunde erhalten dürfen. Wirtschaftspolitisch sinnvoll ist das nicht, es fördert auch nicht den Ehrgeiz der Menschen, sich besonders anzustrengen. Also wozu, wenn nicht zur Erniedrigung derer, die schon ganz unten in der sozialen Hierarchie stehen?
All das ist in der Alpenrepublik durchaus mehrheitsfähig. Ich glaube auch nicht, dass die FPÖ bei den kommenden Wahlen zum Europaparlament und dann im Herbst zum Nationalrat allzuviel an Zustimmung verlieren wird. Ich kann mich täuschen, doch jahrzehntelange Erfahrung lehrt mich, dass das billige Schnitzel gepaart mit diffusen Ängsten und Herrenmenschenattitüden das Fühlen und das Sein der Mehrheitsbevölkerung stark bestimmen. Ansonsten sind wir ja lieber unpolitisch. Sehr gut zeigt das die Stellungnahme des neuen FPÖ-Vorsitzenden Norbert Hofers (der vor zweieinhalb Jahren um ein Haar österreichischer Bundespräsident geworden wäre) in einer Pressekonferenz anlässlich der aktuellen politischen Krise. Am meisten schmerze ihn, so Hofer, dass er wegen der neuen Aufgabe nun nicht mehr gemeinsam mit seiner Tochter den L17-Führerschein machen könne, wo sie doch bereits so viel miteinander gefahren seien in der letzten Zeit. Er und seine Tochter. Im übrigen freue er sich schon auf Enkelkinder in ein paar Jahren. Krise? Welche Krise? Doch nicht in diesem Operettenstaat.
Ich bleibe standhaft.
Auf bald
Michael