vonMesut Bayraktar 25.03.2018

Stil-Bruch

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Ein Leben unter Menschen ist ein Leben in Masken. Die erste Maske, die einem aufgesetzt wird, ist der Name. Er eilt der Existenz voraus. Aber was ist er – etwa ein Lügner, ein Preisschild, eine Chiffre?

Die Golfströme des Seins spülen eines Tages ein menschliches Individuum an die Küsten des Werdens, das sich irgendwann im Nichts auflösen wird. Ein Mensch wird geboren. Man gibt ihm einen Namen. Man klopft ihm auf den Hintern, bis es schreit. Man streichelt ihn, damit es sich beruhigt. Man kleidet es und wiegt es in den Armen. Im besten Fall freuen sich Vater und Mutter. Eine Familie entsteht. Im schlechten Fall lächelt die schweißgebadete Mutter, die, versunken in ihrer Melancholie, ahnt, dass man auf ihr Geschlecht mit männlicher Härte antwortet. Eine Alleinerziehende nimmt ihre Bürde auf sich. Unter allen wird die Last des Daseins neu verteilt, aber diese Last, sie erlischt nicht – in der Regel wird sie schwerer, mit jedem Atemzug, mit jedem Fortschreiten der Geschichte.
Aber mich interessiert an dieser Stelle was scheinbar Unbedeutendes, klein wie ein Staubkorn auf der Steppe. Mich interessiert der Name eines Menschen, die Namensgebung: Was heißt es, einen Namen zu tragen? Was ist Name?

Ein Mensch – Ein Name

Der Name ist die erste Maske, die die Gesellschaft einem Menschen aufsetzt. Das erinnert etwas an das zum Schlachten bestimmte Mastkalb, dem eine Marke mit einer Kennziffer ins Ohr gebohrt wird. Vielleicht attackiere ich jetzt sentimentale Vorstellungen einiger Leser, die mit dem Namen mehr verbinden, als er ist. Das finde ich albern, also die Sentimentalitäten. Da ich ziemlich einfallslos in Ausreden bin, gebe ich mich geschlagen. Ich bin entwaffnet. Ich gebe zu, dass ich diese Attacke in Kauf nehme. Denn mehr als den Schein, in den wir unsere Wünsche, Illusionen und Lügen hineinlegen wie in ein Spielkasten, interessiert mich das Sein der Dinge.
Was ist das Sein eines Namens, auf den wir so stolz sein wollen, sodass wir ein Leben lang um den Glanz und Äther desselben arbeiten? Das Sein eines Namens ist sein Gebrauchswert. Dieser Gebrauchswert ist gesellschaftlich. Der Name ist die erste Maske, damit dem Individuum überhaupt die Möglichkeit eröffnet wird, unter Menschen zu leben; ein Leben in Masken, wie schon Shakespeare erkannt hat. Das Leben unter Menschen ist ein Leben in Masken.

Namen sind Lügner

Der Name hat eine rein gesellschaftliche Ordnungsfunktion. Er ist eine Etikette wie ein Preisschild auf einer Ware, an dem wir den Wert der Ware ablesen. Wir nehmen an, das Preisschild bestimmt den Wert einer Ware. Das suggeriert es zumindest, als sei das Preisschild das Sprechorgan einer Ware, obwohl sie ein Ding ist. Das aber ist ihre okkulte Aura. Diese Mystifikation geschieht im Kopf. Waren sind nun mal sinnliche-übersinnliche Dinge, wie Karl Marx aufzeigte – aber die Postmoderne hat sie als okkulte Wesen akzeptiert, als Gespenster unseres Sein, auch wenn dahinter gesellschaftlich notwendige Arbeit zerronnen ist, die aus Muskeln und Hirn der Menschen ausgepresst wurde, um sich im Naturstoff zu vergegenständlichen.
Zurück zum Namen, der verwandter mit dem Preisschild ist, als man denkt: Der Name hat eine rein gesellschaftliche Ordnungsfunktion. Das schrieb ich bereits. Zum einen identifiziert er. Der Name wird von den Ummenschen verwendet, ehe der armselige Namensträger um seinen Namen weiß. Er wird identifiziert, gekennzeichnet. Der Mensch ist nun mal ein bezeichnendes Wesen. Zum anderen reproduziert der Name vorherrschende Gesellschaftspositionen. Das Individuum wird klassenmäßig in konservierte Machtverhältnisse situiert; d.h. beispielsweise dass ein „von“ zwischen Vor- und Nachnamen, ein ellenlanger Name wie in russischen Romanen oder ein „Müller“ als Nachname das Individuum mit gravitationsähnlicher Kraft in bestimmte Milieus zwängt. Das ist keine Frage des Willens, das ist eine Frage klassengesellschaftlicher Umspülung des Einzelnen, der niemand entkommen kann. Mich interessiert Letzteres.
Nehmen wir meinen Namen, der über dieser Schrift steht. Ich heiße Mesut Bayraktar. Ohne große Umschweife eilt der Name meiner Existenz voraus: daraus ist ablesbar, dass ich nicht Deutscher bin, dass ich irgendwie ausländisch sein muss, vermutlich türkisch, jedenfalls ein Anders-Sein mit mir trage, daraus folgt wiederum, dass ich in einer muslimischen Kulturgemeinschaft aufgewachsen bin, sozialisiert mit muslimischen Werten und Traditionen, und daraus wieder, dass ich u.U. ein Integrationsproblem darstelle, dass meine Vorfahren – da sie höchstwahrscheinlich als Gastarbeiter dieses Land betreten haben – irgendwelche Bergbauertürken aus Anatolien waren, daraus wieder, dass … usw. usf. Den Rest überlasse ich der Fantasie.
Man stelle sich dieselbe Abfertigung vor, wenn ich einen arabischen Nachnamen trüge, oder einen jüdischen, oder vielleicht „Assad“, „Merkel“, „Ackermann“ oder „Von Weiß-Der-Kuck-Kuck-Wo“ mit Nachnamen hieße, oder meinem Namen ein „Dr.“ vorangehen würde. Der Name würde eine Kette dutzender Implikationen nach sich ziehen, mit denen man aus mir etwas macht, was ich vielleicht gar nicht bin und auch nicht sein will. Und nun denke man sich, wie viel dutzend Vorurteile und Barrieren sich mit einem bloßen, harmlosen Namen um mich wie Gitterstäbe legen, die ich über zwei Jahrzehnte hin brechen und aus dem Weg räumen muss, um einen neuen Weg für mein Selbst zu pflastern. Das Selbst braucht leeren Raum und freie Luft, um sich zu entfalten.

Dieses Spielchen ist übrigens mit jedem Namen möglich. Das ist die Lüge des Namens. Der Name ist in Wahrheit ein Lügner; besonders der Nachname. Er lügt mit den Lügen der Genealogie.

Worauf möchte ich hinaus? Ganz leicht: Darauf, dass der Name, ehe man in die Welt geworfen wird, einen kulturellen Wert hat – ebenso wie die Ware einen Tauschwert besitzt. Der Name, die erste Maske des Menschen, ist das erste kulturelle Kapital, das die Klassengesellschaft einem mit Gewalt gibt – freilich als Vorschuss, hinter dem Gläubiger stehen, die an dem kulturellen Zins interessiert sind. Insofern ist der Name das von Geburts Wegen auf den Menschen wie auf Wachs eingedrückte Unterdrückungssiegel, eine Art kulturelles Preisschild – Willkommen in der klassengeteilten Welt! Der Mensch, nun Namensträger und nicht mehr bloß >Mensch<, hat sich unter die Klassengewalt einzureihen. Der Name als Depot unter anderen Depots, die sich mit kulturellem Kapital füllen, ist gewiss nicht der mächtigste Türöffner oder Türschließer im Leben; aber er ist fein, clever und charmant. Und manchmal sind es die feinen Unterschiede, wie schon Pierre Bourdieu aufmerksam machte, die unüberwindbare Klüfte und Schluchten und Graben zwischen Menschen schaufeln.

Die tiefe Wahrheit eines X

Was ist aus dem mitzunehmen, was hier steht? Keine Ahnung. Das muss der Leser dieser Zeilen entscheiden. Vornamen sind notwendig, sonst droht dasselbe, was in „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley geschieht: wir erhalten XY-Kennziffern. Das Individuum stirbt. Das ist klar. Dann sind wir wirklich Kälber.
Aber wenn man mich fragt, wie es mit Nachnamen steht; die halte ich nicht für notwendig, die sollte man in Klammern setzen. Ich gebe zu, an dieser Stelle hege ich große Sympathien mit den afroamerikanischen Freiheitsbestrebungen in den 1960ern. Hier trat ein flammender und messerscharfintelligenter Akteur auf, der wie viele seinesgleichen von der Macht der Unterdrückung ermordet wurde. Dieser Mann durchschaute die Heuchelei, den Betrug, die Lüge seines Nachnamens, der untrennbar mit der Geschichte der Klassenunterdrückung in der amerikanischen Geschichte verbunden war; in seinem Fall besonders mit der Sklaverei der Afroamerikaner durch Weiße. Er erkannte seine Geschichtlichkeit. Davon ausgehend packte er, radikal, wie er war, den Nachnamen an der Wurzel und hackte ihn mit einer Axt von seinem Vornamen ab. In diese Leerstelle, die der wegamputierte Nachname hinterließ, setzte er, um auf die Maskerade des Nachnamens permanent hinzuweisen, ein X. Dieser Mann hieß ab jenem Zeitpunkt an: Malcolm X.
Mit diesem X sympathisiere ich. Es ist ein Zeichen des Kampfes, eine Provokation gegen das Falschspiel der Klassengewalt. Dieses X hat eine tiefe Wahrheit. Es zeigt, dass der Nachname Verrat an der Freiheit der Existenz ist. Es zeigt aber auch, dass er eine Chiffre zum Innengewebe der Klassengewalt ist. Also, demaskiert euch, Namensträger!


Foto: Kamil Tybel

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