vonMesut Bayraktar 19.12.2018

Stil-Bruch

Blog über Literatur, Theater, Philosophie im AnBruch, DurchBruch, UmBruch.

Mehr über diesen Blog

Der Vorteil an klassischen Stoffen ist: man braucht sie nicht zu situieren. Sie sind situiert. Das erleichtert in hohem Maß die Arbeit der Dramatiker, die sich Herausforderungen des Realismus stellen. Der Dramatiker kann sich ganz auf einen Konflikt konzentrieren, den er in seiner Bearbeitung verhandeln und zur Darstellung bringen will – mit der Allseitigkeit dieses einen bestimmten Konflikts. Er muss sich nicht den Kopf über das »Davor« zerbrechen. Es ist implizit im Stoff enthalten. Will er es verschieben, besondere Akzente setzen oder das »Davor« bzw. die »Situierung« verlegen, bspw. vom trojanischen Krieg in eine Börse oder in die Geschäftsräume einer Aktiengesellschaft, so wird er mit wenigen expliziten Anhaltspunkten entsprechende Weichen stellen müssen. Ob das ihm gelingt oder nicht – das ist eine Frage seines Könnens. Sieht man aber von einer historischen Umlegung des Stoffes ab, dann bleibt der zu darstellende Konflikt übrig. Was ist aber ein Konflikt? Ein Verhältnis von Satz und Gegensatz, worin die Existenz des Einen die Nicht-Existenz des anderen wie auch die Existenz des anderen die Nicht-Existenz des Einen verlangt, ein praktischer Widerspruch, kurz: ein (offener oder verdeckter) Kampf von Menschen, der mit unerbittlicher Notwendigkeit nach Lösung drängt.

Spiel ohne Artistik der Verfremdung

Im Schauspiel Stuttgart hat die Regisseurin Mateja Koležnik die Tragödie »Medea« von Franz Grillparzer inszeniert und dabei von einer historischen Umlegung abgesehen. Sie hat sich auf einen bestimmten Konflikt konzentriert, nämlich verdichtet in der Person Medeas, durch die der Riss geht: sie will Mutter und muss Kindesmörderin zugleich sein. Dabei hat die Aufführung zu zeigen versucht, dass die Zivilisation barbarischer als die zur„Barbarin“ Geschmähte sein soll – Kreon (Klaus Rodewald) & Co., also die Zivilisation treibt mit dem stummen Zwang der Umstände Medea (Sylvana Krappatsch), also die „Barbarin“, dahin, ihre zwei Söhne zu ermorden, obwohl sie sie über alles liebt. Die Verfluchte, der alles genommen wird, nimmt Jason alles. Die Vergangenheit rächt sich an der Gegenwart, damit die Zukunft atmen kann – ganz nach antikem Ethos.

Leider ist die große Fabel um Medea und die tadellose Textgrundlage von Paul Grillparzer durch die Regie und Aufführungsweise untergegangen. Die Figuren blieben starr dieselben. Sie waren versteinert – Gesten in morsches Holz geschnitzt, weder monumental noch einprägend. Es ist sogar kaum möglich, von einer linearen Entwicklung zu sprechen. Alles war derart determiniert, dass den Schauspielern von Anfang an im Gesicht geschrieben stand, was sie am Ende erwartet.
In der Tat hat, aus Sicht der Schauspieltechnik, nur eine Nebenrolle besonders beeindruckt, und das war Marietta Meguid in der Rolle der Gora. Sie hat Dynamik und ein feines Intellekt bewiesen, womit sie Gora als widerspenstige und archaische Amme zu spielen wusste. Auch kannte sie keinen Respekt vor dem königlichen Verstandestyrannen, Kreon, und eben dieses Selbstbewusstsein hat Meguid mit markanten Gesten zu zeigen gewusst.
Teilweise ließ sich dasselbe bei Sylvana Krappatsch erkennen, die in anderen Aufführungen zeigt, dass sie ihren Körper wie ein glühendes Eisen beherrschen und Formen kann. Von solcher Sinnlichkeit in der Rolle der Medea war jedoch unter der Regie von Mateja Koležnik wenig zu sehen gewesen.
Darüberhinaus war Jason (Benjamin Pauquet) konturlos und enttypt. Er war eine Karikatur seines Schicksals, Hülle ohne Inhalt, ein gestresstes Huhn in einer Legebatterie. Kreon (Klaus Rodewald), der immer in gleicher Art die Treppen aufstieg und mehr einem metallköpfigen, d.h. sturen Türsteher glich als dem machiavellistischen Machtpolitiker, ist zuzugestehen, dass er mit Blick und straffer Oberkörperhaltung überzeugend die Festigkeit männlicher Geschlechterdominanz sichtbar zu machen wusste. Kreusa, seine Tochter, gespielt von Katharina Hauter, sprang hingegen wie ein bekleidetes Brett mit zwei Beinen die Treppenstufen auf und ab. Das war weder schön noch mit Genuss des Denkens anzusehen.

Dem gesamten Spiel, auch dem des Abnehmens der Stimmen untereinander, hat Esprit und Überzeugung gefehlt. Alles in allem war es unsinnlich, leblos und ohne Psychologie, kurz: ein Spiel ohne Artistik der Verfremdung und ohne Poesie der Sprache. Auch die Strenge des klassischen Stoffs litt darunter.

Bitte kein Theater, das auf ein Publikum verzichtet

Doch das haben womöglich die Schauspieler weniger zu verantworten, als die Regie, die mit dem Bühnenbild (Raimund Orfeo Voigt) ihre Vorentscheidung von Anfang an zur Schau stellte. Die Darstellungsweise von Mateja Koležnik war Kinotheater mit dem Unterschied, dass es keine Effekte gab. Klar, kein Pathos, kein Illusionstheater, einverstanden; aber bitte auch kein Mumientheater, das auf ein Publikum verzichtet, weil es mit sich selbst spielt!
Die vierte Wand wurde hochgezogen wie die Undurchdringlichkeit der Fernsehoberfläche, hinter der Menschen kommen und gehen, ohne zu wissen woher und wohin. Indem man den Pathos mit der richtigen Absicht, Sprache zum Ausdruck zu bringen, herunterschraubte, hat man den Fehler begangen, die vierte Wand höher zu ziehen. So prallte die Sprache an dieser Wand zurück und hallte im Spiel der Bühne ab, statt zum Publikum überzugehen und dort zum Postulat zu werden. Die Figuren standen im Echo ihrer Aussagen. Das Echo muss aber zum Hirn des Publikums vordringen, um dramatisches zu sein. Zudem kehrten die Schauspieler dem Publikum den Rücken zu – sie bespielten es mit Hinterkopf und Hintern. Zuweilen konnte man sie kaum verstehen. Nur einmal haben die Schauspieler das Publikum angesehen; nur waren sie da keine Typen, keine Charaktere und Figuren mehr. Sie nahmen den Applaus entgegen.

Die große Saga um Medea, worin – neben vielen anderen Motiven – das Leid geflüchteter Menschen verborgen liegt, wurde in Stuttgart eingezwängt in die Enge eines Treppenhauses, wo es zu einem Nachbarschaftsdisput herabsank, als streite sich eine Familie mit dem Hausmeister oder Vermieter, weil die Familie ihren Müll nicht ordnungsgemäß entsorgt oder die Kinder ab 22 Uhr zu laut gespielt haben. Die Inszenierung von Mateja Koležnik ist wahrhaft eine Tragödie im Treppenhaus, und leider bleibt sie es bis zum Schluss, ohne sagen zu können, was sie sagen will: Vertriebene sind – unter der Regierung Kreons, die nicht weiter spezifiziert wird, obwohl Leute wie bspw. Viktor Orbán aus Ungarn gemeint sind – nirgendwo willkommen.


Titelbild: ©Thomas Turin / Schauspiel Stuttgart

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/stilbruch/2018/12/19/tragoedie-im-treppenhaus/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert