vonMesut Bayraktar 03.06.2019

Stil-Bruch

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Weil Unrecht fürchtet, benannt zu werden, möchte ich mit diesem kurzen Text an folgendes erinnern: Heute trifft der Innenausschuss des Bundestages zur öffentlichen Anhörung für das »Abschiebegesetz« zusammen, für das sich Horst Seehofer (CSU) als Urheber rühmt. Zuvor haben 22 Organisationen in einem offenen Brief geschrieben: „Sollte dieses Gesetz in Kraft treten, werden Zehntausende in Deutschland permanent in Angst vor Haft und vor Abschiebung in einem Zustand der Perspektivlosigkeit leben.“ Dazu gehören u.a. Deutsches Kinderhilfswerk e.V., Amnesty International Deutschland, PRO ASYL, Diakonie und Der Paritätische Wohlfahrtsverband – Gesamtverband.

Das Gesetz sieht vor, dass von Abschiebung Bedrohte in regulären Gefängnissen untergebracht werden können. Abschiebehaft soll also als Strafhaft behandelt werden. Da musste ich an den durch Polizeigewalt ermordeten Asylbewerber Oury Jalloh vor 14 Jahren denken, der in einer Dessauer Polizeizelle lebendig verbrannt wurde – Oury Jalloh, einer von Tausenden, die strukturellem Rassismus täglich zum Opfer fallen. Außerdem soll künftig strafbar sein, wer beim „Untertauchen“ hilft, mit anderen Worten: Humanität wird zum Verbrechen, auch die Arbeit entsprechender Vereine erschwert. Eine Aktivistin aus Berlin Kreuzberg hat mir im März gesagt, dass mit dem »Abschiebegesetz« ihre Beratung- und Unterstützungsarbeit teilweise eingestellt werden muss. Bei konkreten Einzelheiten, die das für den ein oder anderen haben wird, wurde ich sprachlos.

Sicher habt ihr auch mitbekommen, dass Joko und Klaas am Mittwoch die Hauptsendezeit von ProSieben im #JKlive für jene verwendet hat, die „mehr“ und „sinnvollere“ Sachen zu sagen hätten. Da war Pia Klemp, Kapitänin auf dem beschlagnahmten Rettungsschiff Iuventa10. Ihr drohen bis zu 20 Jahre Haft, weil sie auf der tödlichsten Grenze der Welt, das Mittelmeer, Menschenleben gerettet hat. Sie erzählte von einem toten Zweijährigen, den sie tagelang in einer Gefriertruhe verwahren musste, weil kein europäisches Hafen das Schiff aufnehmen wollte. „Was sage ich dieser traumatisierten Frau [der Mutter] über den Friedensnobelpreisträger EU?“ – fragt sie und fügt hinzu: „Ich komme aus einer Generation, die damit aufwuchs, ihre Großeltern fragen zu müssen: ‚Was habt ihr damals dagegen getan?‘ Jetzt bin ich Teil einer Generation, die sich von ihren Enkeln die gleichen Fragen gefallen lassen muss.“ Werde ich Antworten auf diese Fragen haben? Auch hier drängt sich eine Sprachlosigkeit auf, die sich in einer Vermischung aus Wut und Resignation ankündigt, gegen die ich mich mit Begriffen zu widersetzen versuche.

Heute ist nur eine Anhörung des Gesetzes, sicher, aber ein Schritt näher zur Verabschiedung desselben und zur Vorbereitung von niederträchtigeren. Lasst uns in der Familie, unter Freunden, in der Bar und Kneipe, auf der Straße Gehör verschaffen gegen die rassistische Schweinerei, die damit prahlt, Solidarität mit Notleidenden zu kriminalisieren, obwohl die Rüstungswirtschaft und Politik Deutschlands wie Europas die Geschlagenen aus ihrer Heimat vertreibt. Die Klassengewalt hat auch uns, die sie anvisiert und zu Mittätern disziplinieren will, anzuhören.

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https://blogs.taz.de/stilbruch/2019/06/03/was-habt-ihr-damals-getan/

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kommentare

  • „Da musste ich an den durch Polizeigewalt ermordeten Asylbewerber Oury Jalloh vor 14 Jahren denken, der in einer Dessauer Polizeizelle lebendig verbrannt wurde“

    Eine solche Beschuldigung einer Straftat gegen die Polizei geht nicht. Die „Ermordnung“ ist eine Verschwörungstheorie, der vor allem vollkommen die Plausibilität fehlt.

    Den Ton der Sudelei sollte man den Leuten von Pegida und der AfD überlassen.

    Wie kann man sich nur so in seinen Hassstrom singen?

    • Dein Ernst? „Verschwörungstheorie“?
      Dann erklär uns unwissenden doch mal, wie man sich, an vier punkten fixiert, auf einer Matratze anzündet. Mit einem Feuerzeug, dass erst später auftaucht.
      Dem fehlt die Plausibilität, ja genau. Hast du dir mal die ganzen Gutachten zu dem Fall angeguckt? Und, dass die „gute“ alte Polizei Gewalttaten ausführen kann ohne mit einer Strafe zu rechnen, sollte doch allgemein bekannt sein.

      Danke für den Artikel Mesut!!

    • Wenn, mehr als 60 Jahre nach dem Ende der Kolonialzeit – die in Afrika, verglichen mit der in Asien, übrigens relativ kurz war – die Afrikaner es immer noch nicht schaffen, die unermesslichen Reichtümer ihres Kontinents so zu verteilen, dass wenigstens niemand mehr in Hunger und Elend dahinvegetieren muss, wenn sie es weiterhin nicht hinbekommen, Staatswesen zu errichten, in denen die Menschen wenigstens halbwegs sicher vor Willkür und Gewalt leben können, so dass für Zehntausende die lebensgefährliche Überquerung des Mittelmeers auf halbwracken Seelenverkäufern gegenüber dem Verbleib in der Heimat das kleinere Übel ist, dann ist das in der Tat eine Schande.

      Und zwar eine Schande für Afrika!

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