vonDetlef Georgia Schulze 09.05.2025

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

Mehr über diesen Blog

Wie berichtet, wurde „Cristian“ am 15. März nach El Salvador abgeschoben, obwohl er – aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs – Schutz vor einer Abschiebung hatte (bzw. haben sollte). Die für den Fall zuständige Richterin – die von US-Präsident Trump während seiner ersten Amtszeit nominierte Richter Stephanie A. Gallagher – entschied (ähnlich wie es andere RichterInnen bereits im Fall Abrego Garcia taten), daß die US-Regierung die Rückkehr Cristians in die USA „to facilitate“ habe, „so that he can receive the process he was entitled to under the parties’ binding Settlement Agreement“. Sie setzte noch hinzu:

„This Court further orders that facilitating Cristian’s return includes, but is not limited to, Defendants making a good faith request to the government of El Salvador to release Cristian to U.S. custody for transport back to the United States to await the adjudication of his asylum application on the merits by USCIS.“
(https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.mdd.457483/gov.uscourts.mdd.457483.253.0_2.pdf, S. 14 f.; USCIS = United States Citizenship and Immigration Services)

In Fußnote 15 auf Seite 6 der Entscheidung hieß es auch:

„Of course, the Settlement Agreement does not entitle Class Members to USCIS approval of an asylum application. The Agreement does not guarantee results, but it does guarantee process.“
(Hv. hinzugefügt)

Dies war am Mittwoch, den 30. April.

Wie ebenfalls berichtet, beantragte die Regierung anschließend – am Sonntag (4. Mai) mit einem Schriftsatz, der (bisher) nur teilweise geschwärzt veröffentlicht ist, bei der Richterin selbst ihre Entscheidung der Richterin teilweise aufzuheben.

Die Richterin lehnte den Regierungsantrag am Dienstag, den 6. Mai ab, aber gewährte der Regierung eine Frist bis Donnerstag (also gestern), sich an den Appeals Court zu wenden. Das machte die Regierung auch: Zunächst war gestern nachmittag die elektronische Verfahrensakte des Appeals Court zu finden.

Kurz nach Mitternacht gab es dann einen Beschluß (aber noch gar keinen Antrag):

„The district court’s order dated May 6, 2025, is administratively stayed until May 15, 2025.
Appellees are directed to respond to the motion for stay pending appeal on or before 12:00 p.m. on [Montag] May 12, 2025.“
(https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.ca4.178657/gov.uscourts.ca4.178657.12.0.pdf, S. 1 f.)

Zunächst wurde also (nur) die zweite Entscheidung der District Court-Richterin außer Vollzug gesetzt. Im Laufe der mitteleuropäischen Nacht kam ein zweiter Beschluß, der das Datum korrigierte:

„The district court’s order dated April 23, 2025, is administratively stayed until May 15, 2025.“
(https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.ca4.178657/gov.uscourts.ca4.178657.14.0.pdf, S. 1)

Ansonsten bleibt es beim Alten.

Wie gesagt: Den Antrag der Regierung gab es gegen Mitternacht online noch gar nicht; auch ansonsten war die Verfahrensakte sehr lückenhaften (es fehlten – glaube ich [ich hatte keinen screen shot erstellt] – die Dokumente 1 sowie 6 bis 9). Inzwischen sind die ersten 15 Dokumente – mit Ausnahme des ersten – zumindest verzeichnet, aber teilweise unter Verschluß oder jedenfalls geschwärzt:

J.O.P. v. DHS  (25-1519). Court of Appeals for the Fourth Circuit

Sehen wir uns zunächst das Certificate of Confidentiality an:

Und nun die Redacted Motion:

http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2025/05/25-1519_Documents_Redacted_Motion.pdf (28 [Motion] + 112 Seiten [Anlagen]; vgl. https://www.courtlistener.com/docket/70195987/jop-v-united-states-department-of-homeland-security/#entry-8)

Die Regierung wendet sich also in der Tat

  • sowohl gegen die erste Entscheidung der District Court-Richterin, in der es hießt:

  • „The Class Definition Does Not Exclude Individuals Who are Subject to the AEA.“
    (https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.mdd.457483/gov.uscourts.mdd.457483.253.0_2.pdf, Zwischenüberschrift III. A. auf S. 6 unten; „Class Definition“ = Definition des Kreises derjenigen, die von der fraglichen Vereinbarung geschützt werden; diese Vergleichsereinbarung schützt bestimmte Menschen, über deren Asylantrag noch nicht entschieden wurde – und erwähnt den Alien Enemies Act nicht; macht diesbzgl. also auch keine Ausnahme von dem Schutz)

  • als auch gegen die Begründung, die die District Court-Richterin in der ihrer zweiten Entscheidung vorausgegangenen mündlichen Verhandlung gab:

  • „It’s [die Indicative Asylum Decision, die in Abwesenheit von „Cristian“ – er war ja schon abgeschoben – erfolgte!] not a substitute for the process that was due. Process is important’“.
    (zit. n. https://www.politico.com/news/2025/05/06/daniel-lozano-camargo-deportation-hearing-00331228)

Die Regierung bringt ihre Gegen-Auffassung auf die Formel: „Thats [Die Auffassung der Richterin] puts form over substance“. –

Aber das sind gerade die rule of law und der due process of law – die Auffassung, daß es kein korrektes Ergebnis ohne vorheriges korrektes Verfahren geben kann (oder allenfalls zufällig): Form matters. / „Die Form ist wesentlich. Das Wesen ist formiert. “ (LW 38, 134 – Philosophische Hefte; vgl. CW 38, 144)

„Das Wesen ist formiert“ heißt: Das inkorrekte Verfahren ‚deformiert‘ – jedenfalls häufig – das Ergebnis; macht auch das Ergebnis inkorrekt.

Das ist selbstverständlich eine These, die in Deutschland – wo von rechts bis links der „materielle“ Rechtsstaat für wichtiger als der „formelle“ gehalten wird; wo „das Recht“ (und zumal „die Gerechtigkeit“) für wichtiger gehalten wird als die Gesetze; wo 5 eine gerade Zahl ist, wenn es in den eigenen Kram paßt – befremdet; aber das bestätigt mich nur in meiner schon im Februar aufgestellten These:

Die Frage ist nicht – wie viele in BRD meinen -, ob in den USA gerade Rechtsstaat abgeschafft wird [*], sondern ob sich die USA gerade germanisieren:

„Meine – vielleicht etwas provozierende – Hypothese, die freilich erst einmal untersucht werden müsste, ist, dass wir es – vielleicht schon beginnend mit Guantanamo20 – mit einer ‚Germanisierung der USA‘ zu tun haben: Vermeintliches (Präsidenten-)Recht wird über statute law gestellt; und das us-amerikanische Geburtsorts-Staatsangehörigkeits-Recht soll dem in der BRD weiterhin vorherrschende (freilich seit der rot-grünen Zeit einfach-gesetzlich21 um etwas Geburtsorts-Staatsangehörigkeit ergänzte) Abstammungs-Staatsangehörigkeits-Recht22 angenähert werden.“
(https://www.untergrund-blättle.ch/politik/theorie/genus-proximum-et-differentia-specifica-faschismus-rule-of-law-und-rechtsstaat-teil-i-008909.html)


[*] Es „ist auch sinnentstellend – wie es inzwischen aber leider üblich geworden ist – ‚Rechtsstaatlichkeit‘ oder gar ‚Rechtsstaat‘ mit rule of law und rule of law mit Rechtsstaat(lichkeit) zu übersetzen. Wenn schon über ‚faschistoid‘ und ‚Rechtsstaat‘ gesprochen wird, dann müsste auch über Carl Schmitts Diktum, dass der ‚Führer‘ das Recht schütze11 (und dafür auch die Gesetze brechen dürfe), gesprochen werden. Für Carl Schmitt war der liberale, formale Satz ‚Keine Strafe ohne Gesetz‘ Kennzeichen eines blossen ‚›Rechtsstaat[s]‹‘ in Anführungszeichen, während der wahre Rechtsstaat ein Gerechtigkeitsstaat sei, in dem der Satz ‚nullum crimen sine poena‘ (Kein Verbrechen [soll] ohne Strafe [bleiben]) gelte12, womit er ausser Acht liess, dass keinerlei Handlungen ›von Natur aus‹ anhaftet, Straftaten zu sein, sondern dass Gesetze festlegen, welche Handlungen Straftaten sind.
[…] für Carl Schmitt, um ihn noch einmal zu strapazieren, [war es] eine ‚fremde Denkweise‘ (a.a.O. [… Nationalsozialismus und Rechtsstaat, in: Juristische Wochenschrift 1934, 713 – 718], 715 re. Sp. Mitte), wenn sich ‚[v]or die offenkundige substantielle Gerechtigkeit […] eine Reihe von formalen Methoden, Grundsätzen, Normen und Einrichtungen [schiebt …], die aus dem Rechtsstaat einen blossen Gesetzesstaat machen‘ (ebd., 714 li. Sp. oben). Und die NS-Rechtstheorie berief sich auch auf die Gleichheit – freilich die ›materielle‹ (genauer: substantielle) Gleichheit nach Mass der Ungleichheit15; und nicht die ›bloss formelle‹ Gleichheit – und so etwas ähnliches sagt uns auch heute das Bundesverfassungsgericht in seiner Willkür-Rechtsprechung zum allgemeinen Gleichheitssatz in Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz16.“
(https://www.untergrund-blättle.ch/politik/theorie/genus-proximum-et-differentia-specifica-faschismus-rule-of-law-und-rechtsstaat-teil-i-008909.html; vgl. auch in Teil IV des Interviews den Abschnitt „Ist Trump ein Schmittianer?“)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/theorie-praxis/appeals-court-setzt-entscheidung-des-district-court-fuer-eine-woche-ausser-vollzug/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert