vonDetlef Georgia Schulze 26.04.2024

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Wie gerade schon berichtet, findet vor dem Landgericht Karlsruhe zur Zeit der Radio Dreyeckland-Prozeß statt, dessen Vorlauf seit Januar des vergangenen Jahres breites öffentliches Interesse auf sich gezogen hatte. Am ersten Verhandlungstag (am Donnerstag der vergangenen Woche) wurde noch einmal ein Blick zurück auf das alte (§ 129 StGB-)Ermittlungsverfahren gegen vermeintliche Mitglieder des früheren BetreiberInnenkreises von linksunten.indymedia geworfen. Darüber sprach ich mit dem Redakteur der Stuttgarter Wochenzeitung Kontext, Minh Schredle, der den ersten Prozeßtag beobachtet hatte.

 

F.: Sie waren am 18. April bei dem ersten Tag der mündlichen Verhandlung gegen den Redakteur Fabian Kienert von Radio Dreyeckland. In der Kontext-Ausgabe von dieser Woche schreiben Sie: „Eine geschlagene Stunde lang wird vor Gericht ein Einstellungsbescheid aus dem Juli 2022 verlesen.“ Wenn ich recht sehe, handelte es sich um die Einstellung des alten (§ 129 StGB-)Ermittlungsverfahrens gegen vermeintliche Mitglieder des früheren BetreiberInnenkreises von linksunten.indymedia. Trifft das zu?

A.: Genau, Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war der Vorwurf „Bildung krimineller Vereinigungen“. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Offizialdelikt, es bräuchte also gar keine Anzeige, damit eine Staatsanwaltschaft von Amts wegen aktiv werden kann. Aus der Verlesung der Einstellungsverfügung geht allerdings hervor, dass in diesem Fall der AfD-Politiker Robin Classen Anzeige erstattet hat.

F.: Warum wurde das Verfahren denn nun tatsächlich eingestellt? Weil die Staatsanwaltschaft Karlsruhe meinte, den Beschuldigten nicht die Mitgliedschaft im BetreiberInnenkreis nachweisen zu können (wie die Autonome Antifa Freiburg 2022 suggerierte1) oder vielmehr weil, sich schon nicht nachweisen ließ, daß der BetreiberInnenkreis eine Kriminelle Vereinigung war (wie die Staatsanwaltschaft Karlsruhe mir gegenüber behauptete2)?

A.: Offenbar ist es den Ermittlungsbehörden nicht gelungen, verschlüsselte Datenträger, die ihm Zuge von Hausdurchsuchungen bei den verdächtigten Personen beschlagnahmt worden sind, auszuwerten. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe spricht allerdings von Erkenntnissen des Bundesinnenministeriums, die den Schluss zuließen, der beschuldigte Personenkreis sei tatsächlich am Aufbau und Betrieb der Plattform beteiligt gewesen. Es sei aber nicht gelungen, mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen, dass es sich bei den Verdächtigten um eine kriminelle Vereinigung handelt.

Eine Dominanz des Strafbaren ließ sich nicht feststellen

F.: Wurde in dem Einstellungsbescheid näher begründet, warum es „nicht mit der für eine Anklageerhebung notwendigen hinreichenden Verurteilungswahrscheinlichkeit nach[zu]weisen“ war, „dass es sich bei dem u.a. von den Beschuldigten gebildeten Zusammenschluss […] um eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB (in der a.F. bis zum 23.08.2017) gehandelt hat“?

A.: Voraussetzung für die Einstufung als kriminelle Vereinigung wäre, dass die Begehung von Straftaten der prägende Zweck des Personenzusammenschlusses ist. Die Staatsanwaltschaft hatte zwar keine Zweifel, dass es auf der Seite „linksunten.indymedia“ strafrechtlich relevante Inhalte gab. Aber ob diese „qualitativ und quantitativ“ so dominant waren, dass davon ausgegangen werden kann, das Ziel der Vereinigung bestehe primär in der Begehung von Straftaten, sei „nicht abschließend festzustellen“.

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Und weitere, erfolgversprechende Ermittlungsansätze wurden nicht gesehen. Der Vorsitzende Richter sprach in der Verhandlung gegen Kienert von insgesamt etwa 200.000 Beiträgen auf der Plattform, die Staatsanwaltschaft führte aber nur 27 Beispiele für strafbare Inhalte an. Es könnte offenbar noch mehr geben, aber eine umfassendere Auswertung der sichergestellten Unterlagen sei laut Staatsanwaltschaft nicht bekannt geworden.

F.: Haben Sie anhand des Verlesenen oder anschließender Erörterungen verstanden, warum die Staatsanwaltschaft nicht selbst zusätzliche Auswertungen vorgenommen oder die Polizei damit beauftragt hat?

A.: Nein, das war für mich nicht klar ersichtlich. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat offenbar noch beim Bundesamt für Verfassungsschutz nach weiteren Erkenntnissen gefragt, aber das blieb ergebnislos. Ob die Staatsanwaltschaft das umfangreiche Material eigenständig überprüft hat, ist mir nicht bekannt. Jedenfalls heißt es im Ergebnis, es konnte nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass die strafrechtlich relevanten Inhalte auf „linksunten.indymedia“ so gewichtig waren, dass von einem Vereinszweck ausgegangen werden könnte, der auf Begehung von Straftaten abzielt.

F.: Steht ansonsten noch etwas Interessantes in der Einstellungsverfügung?

Wie aus der Verlesung hervorgeht, hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe zwei Mal den Generalbundesanwalt am Bundesgerichtshof gebeten, die Übernahme des Ermittlungsverfahrens zu überprüfen. Der Generalbundesanwalt verneinte aber die besondere Bedeutung der Sache. Dafür müsste zum Beispiel ein „staatsgefährdendes Delikt von erheblichem Gewicht“ vorliegen, das im vorliegenden Fall nicht erkannt wurde. Der Generalbundesanwalt gab auch eine Einschätzung ab, ob die verdächtigten Personen als terroristische Vereinigung nach § 129a angesehen werden könnten. Aber er sah keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen erfüllt sind.

Gericht rüffelt polizeilichen Klo-Voyeurismus

F.: Gab es am ersten Verhandlungstag – außer der alten Einstellungsverfügung – weitere Themen, die besprochen wurden?

A.: Der Angeklagte hat zu Prozessbeginn bestätigt, dass er den strittigen Artikel selbst verfasst hat, dass er dafür die alleinige Verantwortung trägt und im Zuge seiner Recherchen keinen Kontakt mit dem mutmaßlichen Betreiber:innenkreis hinter „linksunten.indymedia“ hatte. Kienerts Rechtsanwältin verlas ein Eröffnungsstatement, in dem sie es als „Tiefpunkt für die baden-württembergische Justiz“ bezeichnete, dass der Fall überhaupt zur Anklage kam. Und da die Pressefreiheit weltweit, in Europa und der Bundesrepublik zunehmend unter Druck stehe, würde sich sich eigentlich erhoffen, dass der Staat und seine Institutionen mehr zu ihrem Schutz beitragen.

Am Nachmittag wurden die ersten Zeugen vernommen, drei Polizisten von der Direktion Freiburg, von denen zwei den Saal mit Schusswaffe betraten. Alle drei waren involviert bei den Razzien im Umfeld von „Radio Dreyeckland“, einer von ihnen in Kienerts Wohnung. Der wurde vom Vorsitzenden Richter mehrfach getadelt. So wurde die Hausdurchsuchung ja damit begründet, dass die Urheberschaft des strittigen Beitrags geklärt werden sollte. Aus Polizeiunterlagen geht aber hervor, dass die Polizei das Kürzel „FK“ schon vor dem Einsatz Fabian Kienert zugeordnet hat. Das hat dieser vor Ort dann auch schon wenige Minuten nach Beginn eingeräumt, dennoch wurden noch diverse seiner Datenträger beschlagnahmt, laut Staatsanwalt, um das Geständnis zu validieren. Den Vorsitzenden Richter hat es dennoch gewundert, warum mehrere USB-Sticks und Handys mitgenommen wurden, um eine bereits eingeräumte Urheberschaft zu klären. Es hatte für mich auch den Anschein, dass der Richter zumindest die Durchführung der Razzia teils für unverhältnismäßig hält. So wurde von Kienerts Wohnung eine umfangreiche Fotomappe inklusive Skizze des Grundrisses angefertigt. Auf den Bildern war sogar die Toilette zu sehen, was eher wenig Erkenntnisgewinn für die Frage liefern dürfte, wer genau einen Text verfasst hat. Laut dem Polizisten sei das von ihm gesammelten Eindrücke zur Haushaltsführung hilfreich, weil eine ordentliche Wohnung seiner Erfahrung nach auf höhere Glaubwürdigkeit schließen lasse. Auch diese Aussage wurde vom Vorsitzenden Richter deutlich kritisiert.


1 „Allerdings konnte die Staatsanwaltschaft keine Beweise finden und hatte damit keinen genügenden Anlass zur Erhebung einer öffentlichen Klage. Bis heute konnte offenbar keiner der bei den linksunten-Razzien im August 2017 beschlagnahmten Datenträger entschlüsselt werden.“ (https://autonome-antifa.org/breve8379) – Dies hörte sich danach an, daß die gute Verschlüsselung der Datenträger verhinderte, den Beschuldigten die Mitgliedschaft nachzuweisen. Linker Sieg qua Technikkompetenz sozusagen…

2 https://de.indymedia.org/node/279337 (ab Zwischenüberschrift „Eine zweite – erfreuliche – Neuigkeit “). Der Staatsanwaltschaft hatte mir damals unter anderem mitgeteilt: „Nach Durchführung der Ermittlungen ließ sich nicht mit der für eine Anklageerhebung notwendigen hinreichenden Verurteilungswahrscheinlichkeit nachweisen, dass es sich bei dem u.a. von den Beschuldigten gebildeten Zusammenschluss mehrerer Personen zum Betrieb und zur Aufrechterhaltung der Internetplattform ‚linksunten.indymedia.org‘ um eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB (in der a.F. bis zum 23.08.2017) gehandelt hat.“

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https://blogs.taz.de/theorie-praxis/linksunten-indymedia-nur-zu-0135-kriminell/

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