vonDetlef Georgia Schulze 02.09.2024

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Aktualisierende Vorbemerkung von Dienstag, den 03.09.2024:

Laut Hamburger Morgenpost wurden die beiden Angeklagten „wegen Landfriedensbruch und Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung und Beihilfe zum Angriff auf Polizeibeamte zu 90 Tagessätzen“ verurteilt. Das Gericht scheint sich also der staatsanwaltlichen ‚Angelhut-Theorie‘, die im folgenden ab Abschnitt 6. d) (Seite 5 unten der .pdf-Datei) kritisiert wird, angeschlossen zu haben.


Am Dienstag wird der Rondenbarg-Prozeß, der seit Jahresanfang im Nachgang zu den Protesten gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg (siehe dazu meine hiesigen Berichte aus dem Januar: Justizschelte ff.) stattfand, mit der Urteilsverkündung enden.


Dieser Artikel als .pdf-Datei:

http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2024/09/Rondenbarg-Prozess_endet.pdf


1. a) Bei Beginn des Verfahrens behauptete die Rote Hilfe:

„Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft genügt [für die Verwirklichung des Land­friedensbruchs-Straftatbestands] ihre [der Angeklagten] bloße Anwesenheit, um ein gemeinsames Tathandeln zu unterstellen. Auch im anstehenden Verfahren werden den Angeklagten darüber hinaus keine konkreten Straftaten zugeordnet.“
(https://rote-hilfe.de/meldungen/versammlungsfreiheit-vor-gericht-dritte-auflage-des-rondenbarg-prozesses-im-januar-2024)

Auf der Hintergrund-Seite der Kampagne „Gemeinschaftlicher Widerstand“ heißt es wei­terhin:

„Die Staatsanwaltschaft wirft den Beschuldigten keine eigenständigen Handlungen vor. […]. Es soll die bloße Anwesenheit auf einer Demonstration für solch eine Ver­urteilung ausreichen. Damit sollen Menschen kriminalisiert werden, die sich an einer Demonstration beteiligt haben. Falls das Gericht den Forderungen der Staatsanwalt­schaft folgt und die Betroffenen der Rondenbarg-Verfahren mit Hilfe des Landfrie­densbruch-Paragrafen verurteilt, wird die Versammlungsfreiheit und damit das wich­tigste Mittel zur politischen Auseinandersetzung im öffentlichen Raum massiv einge­schränkt. Die Staatsanwaltschaft will die Reform des Landfriedensbruch-Paragrafen 125 aus dem Jahr 1970 wieder umkehren.“
(https://gemeinschaftlich.noblogs.org/hintergrund/)

b) Zumindest das Plädoyer der Staatsanwaltschaft hat die Kampagne jetzt aber zur Kenntnis genommen:

„Die Staatsanwältin sagt, die bloße Zugehörigkeit zu einer gewalttätigen Menge sei nicht strafbar, es müsse entweder eine Mittäterschaft oder eine Beihilfe erfolgt sein. Bei Mittäterschaft wird ein eigener Beitrag geleistet, bei Beihilfe wird fremdes Han­deln gefördert. Die Angeklagten haben Gewalt gegen Sachen und gegen die Polizei in Kauf genommen und haben sich dem Dresscode des Fingers angepasst. Sie ha­ben dabei mitgewirkt den Gewalttätern einen Rückzugsort zu bieten. Die Angeklag­ten haben es billigend in Kauf genommen, dass es zu Gewalttätigkeiten kommt und haben sich mit Gewalttätern solidarisiert.“
(https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/)

Nun kann und sollte kritisierte werden, daß nach Ansicht einer Staatsanwaltschaft des Deutsch-Freiheitlichen Rechtsstaats (DFRSt) das Befolgen eines bestimmten „Dressco­de[s]“ eine Straftat darstellen können1 soll. Aber diese Kritik ist eine andere Kritik, als die Behauptung, die Staatsanwaltschaft wolle bloße Anwesenheit bestrafen. Denn je­denfalls diejenigen, die im staatsgewünschten Dresscode (Ist schwarzer Dreiteiler mit schwarzem Oberhemd recht?) erscheinen, sollen nach staatsanwaltlicher Ansicht auch im DFRSt straffrei bleiben, wenn sie sich auf Anwesenheit beschränken.

Dieser Unterschied ist nicht nur wegen des Unterschiedes zwischen Dresscode und An­wesenheit wichtig, sondern auch deshalb, weil

  • die Weite des herrschenden juristischen Verständnisses von (auch: psychischer [genauer: voluntativer]) Beihilfe

    und

  • die Weite des herrschenden juristischen Begriffs von (auch: bedingtem) Vorsatz

keine Spezifika in Bezug auf Demonstrationsstraftaten sind, sondern generelle Proble­me darstellen.

c) Außerdem bleibt die Frage, warum es Kampagne und Rote Hilfe (zunächst) anders dargestellt hatten, obwohl es so ähnlich, wie es jetzt (und sogar noch deutlicher, als es jetzt) in dem staatsanwaltschaftlichen Plädoyer gesagt wurde, auch schon in den Ankla­geschriften und den Presseauskünften der Hamburger OLG2-Pressestelle zu dem Ron­denbarg-Komplex gestanden hatte.

Anklageschriften:

„im bewussten und gewollten Zusammenwirken aufgrund eines gemeinsamen Tat­planes“ / „von vorneherein unfriedlich und gewaltbereites Auftreten gezielt Polizei­kräfte provozieren“ / „einheitlich schwarz gekleideten, vermummten und mit mindes­tens 38 Steinen und 49 pyrotechnischen Gegenständen (Blitz-, Knall- und Rauch­körpern) sowie u.a. 2 Hämmern, einem Feuerlöscher, einem Seitenschneider, einem Meißel und einer Zwille bewaffneten“ usw.

Das nd berichtete bereits am 03.12.2020 (anscheinend mit Zitaten der Staatsanwalt­schaft bzw. der OLG-Pressestelle innerhalb des folgenden nd-Zitates):

„die Staatsanwaltschaft [sieht] sie [die Angeklagten] als ‚Mittäter der Gewalttäter‘ an und unterstellt ihnen, ‚von der mitgeführten Bewaffnung mit Steinen und Pyrotechnik gewusst, deren Einsatz gegen Polizeibeamte und Sachen gebilligt und eigene Tat­beiträge durch das Mitmarschieren‘ geleistet zu haben“.
(https://www.nd-aktuell.de/artikel/1145272.g-prozess-angeklagt-fuers-mitlaufen-bei-g-protest.html)

Mir hatte die Pressestelle des Hanseatischen Oberlandesgerichtes, die auch für das Landgericht zuständig ist, vor dem der Rondenbarg-Prozess stattfindet, am 13.11.2023 mitgeteilt:

„Die Staatsanwaltschaft wirft den sechs Angeklagten in diesem Verfahren gemein­schaftlichen Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte im besonders schweren Fall, versuchte gefährliche Körperverletzung, Bildung bewaffneter Gruppen und Sachbeschädigung vor. Die Angeklagten sollen jeweils Mittäter bzw. Mittäterinnen der einzelnen Gewalthandlungen gewesen sein, die aus dem Aufzug heraus begangen worden sein sollen. Jeder bzw. jede habe von der mitgeführten Bewaffnung, u.a. mit Steinen und Pyrotechnik, gewusst, deren Einsatz gegen Polizeibeamte und -beamtinnen so­wie Sachen gebilligt und einen eigenen Tatbeitrag durch das Mitmarschieren in ge­schlossener Formation geleistet. Durch das gemeinsame Auftreten, zum Teil ver­mummt und mit einheitlich dunkler Kleidung, sei den einzelnen Gewalttätern inner­halb des Aufzugs eine Deckung vor einer Identifizierung und dem Einschreiten Drit­ter verschafft worden.
Die Staatsanwaltschaft geht also von einem vorsätzlich arbeitsteiligen Vorgehen der Aufmarschteilnehmer und -teilnehmerinnen aus und bezieht sich hierfür u.a. auf die später aufgefundene Ausrüstung, den hohen Organisationsgrad, der dem Aufzug zugrunde gelegen habe, der auf entsprechende Absprachen (mutmaßlich bestätigt durch Handy-Auswertungen) schließen und ein zufälliges Zusammentreffen der Teil­nehmer und Teilnehmerinnen unwahrscheinlich erscheinen lasse sowie auf den – mutmaßlich – für jeden sichtbaren unfriedlichen Charakter des Aufzugs vor dem Ein­greifen der Polizei.“
(Hv. hinzugefügt)

2. Denjenigen, die immer noch glauben, die Staatsanwaltschaft habe den Angeklagten bloße Anwesenheit vorgeworfen, und die Kampagne „Gemeinschaftlicher Widerstand“ sei jetzt vom rechten – das heißt: linken – Weg abgekommen, wenn sie nun aus dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft zitiert, Die Staatsanwältin sagt, die bloße Zugehörigkeit zu einer gewalttätigen Menge sei nicht strafbar“, sei noch Folgendes zu bedenken gegeben: Warum hätte das Landgericht 23 Verhandlungstage drangeben sol­len, wenn bloß zu klären gewesen wäre, ob bei einer Demo etwas kaputt ging und die – ursprünglich fünf, schnell nur noch – zwei Angeklagten, die bei der polizeilichen Zer­schlagung der Demo festgenommen wurden, in der Zeit anwesend waren, als etwas kaputt ging?

Schon der Zeitaufwand des Gerichts zeigt, daß diffizilere Fragen zu klären waren als:

  • Ging etwas kaputt?

  • Waren die Angeklagten anwesend?

3. In der Tat hat sich in den 23. Verhandlungstagen einiges getan – ich hatte von An­fang an gesagt:

„Die entscheidende juristische Frage für den Rondenbarg-Verfahren ist nicht rechtli­cher Art (Wie ist § 125 StGB auszulegen?), sondern tatsächlicher Art (Was kann die Staatsanwaltschaft beweisen?).“
„Auch erscheint es wenig wahrscheinlich, daß die Staatsanwaltschaft die von ihr am Donnerstag angebotene Verfahrenseinstellung (siehe S. 20) anbieten würde, wenn sie ihre Behauptung eines ‚gemeinsamen Tatplans‘ der Angeklagten und derjenigen, die eigenhändige Gewalttätigkeiten verübten, wirklich für beweisbar halten würde.“
(taz-Blogs vom 24.01.2024, S. 25 und 35)

4. In der Tat ist von dem gemeinsamen Tatplan und folglich von dem Vorwurf der MittäterInnenschaft in Bezug auf die einzelnen Gewalthandlungen nichts übrigen ge­blieben. Auch die Staatsanwaltschaft plädiert insofern nur noch auf „Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Beihilfe zur Sachbeschädigung“.

5. Der Haken an der Sache ist freilich: Auch Beihilfe in Bezug auf Körperverletzung und Sachbeschädigung ist „Teilnahme“ an Gewalttätigkeiten – und damit (wenn drei weitere Vor­aussetzungen erfüllt sind3) MittäterInnenschaft in Bezug auf Landfriedensbruch.

Noch mal zur Erinnerung:

a) Im juristischen Sprachgebrauch bedeuten „Täterschaft“ und „Teilnahme“ Unterschied­liches; „Teilnahme“ ist gerade nicht „Täterschaft“, sondern der Oberbegriff für Beihilfe und Anstiftung:

„(1) Fehlen besondere persönliche Merkmale (§ 14 Abs. 1), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe), so ist dessen Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern.
(2) Bestimmt das Gesetz, daß besondere persönliche Merkmale die Strafe schärfen, mildern oder ausschließen, so gilt das nur für den Beteiligten (Täter oder Teilneh­mer), bei dem sie vorliegen.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__28.html; Hv. hinzugefügt)

Ergo:

  • Teilnehmer = Anstifter und Gehilfen;

  • Beteiligten = Täter und Teilnehmer.

  • Täter = Beteiligte minus Teilnehmer; Täter Teilnehmer.

b) MittäterInnen des Landfriedensbruch sind nach dem 1970 liberalisierten und insoweit unveränderten Landfriedensbruchs-Paragraphen ggf. nicht nur die TäterInnen von Ge­walttätigkeiten, sondern ggf. auch die AnstifterInnen zu Gewalttätigkeiten und diejeni­gen, die Beihilfe zu Gewalttätigkeiten leisten – immer vorausgesetzt, die drei in FN 3 genannten Bedingungen sind gegeben:

„(1) Wer sich an
1. Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder
2. Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit,
die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Wei­se mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt […], wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) […].“
(https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__125.html; Hv. hinzugefügt)

6. a) Folglich wäre zu erwarten, daß die Staatsanwaltschaft auf Landfriedensbruch durch Teilnahme (hier: Beihilfe) an Gewalttätigkeiten (hier: Körperverletzung und Sach­beschädigung) (§ 125 Absatz 1 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit Beihilfe zu Gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung plädiert.

b) Laut der Webseite plädiert sie aber auf Landfriedensbruch durch „Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit […] in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Kör­perverletzung und Beihilfe zur Sachbeschädigung“:

„Laut der Staatsanwältin haben sich die Angeklagten nach Paragraf 125 Absatz 1 Nr. 2 Landfriedensbruch – Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit – in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Beihilfe zur Sachbe­schädigung strafbar gemacht.“
(https://gemeinschaftlich.noblogs.org/staatsanwaltschaft-will-geldstrafe-fuer-demo-teilnahme-urteil-im-rondenbarg-prozess-am-03-09-2024/; Hv. hinzugefügt)

c) An anderer Stelle auf derselben Website heißt es dann aber noch:

„Die Staatsanwältin sagt, die bloße Zugehörigkeit zu einer gewalttätigen Menge sei nicht strafbar, es müsse entweder eine Mittäterschaft oder eine Beihilfe erfolgt sein. Bei Mittäterschaft wird ein eigener Beitrag geleistet, bei Beihilfe wird fremdes Han­deln gefördert. Die Angeklagten haben Gewalt gegen Sachen und gegen die Polizei in Kauf genommen und haben sich dem Dresscode des Fingers angepasst. Sie ha­ben dabei mitgewirkt den Gewalttätern einen Rückzugsort zu bieten. Die Angeklag­ten haben es billigend in Kauf genommen, dass es zu Gewalttätigkeiten kommt und haben sich mit Gewalttätern solidarisiert.“
(https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/)

Das wäre dann sehr wohl (weiterhin) § 125 Absatz 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch.

d) Antwort der Hamburger Staatsanwaltschaft auf die Frage, wie es denn nun tatsäch­lich ist (§ 125 Absatz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 oder Nr. 1 und 2 – jeweils in Tateinheit mit Bei­hilfe zu Gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung?):

„die Staatsanwaltschaft ist in ihrem Plädoyer davon ausgegangen, dass sich die Be­schuldigten wegen § 125 Abs. 1 Nr. 1 und § 125 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben.“

7. Was nun die Beihilfe zu den Gewalttätigkeiten anbelangt, so bleiben dieselben Ein­wände, wie schon im Januar ausführlicher vorgebracht:

a) 1984 hatte sich der Bundesgerichtshof mit einem Fall zu befassen, in dem die Vorin­stanz (Landgericht Krefeld – vermutlich zu einem Fall im Rahmen der sog. Krefelder Krawalle) als erwiesen ansah,

„daß der Angeklagte in dem aus mehreren hundert Personen bestehenden Demons­trationszug, bekleidet mit schwarzer Lederjacke, Arbeitshandschuhen, einem gelben Schutzhelm mit ‚Sturmmaske‘ sowie mit weichen Stiefeletten, mitgegangen ist (UA S. 6, 14). Darüber, wie er sich dabei verhalten hat, konnte es keine Feststellungen treffen (UA S. 18).“

Trotzdem (d.h.: trotz Sturmhaube usw.) bzw. deswegen (wegen: keine Feststellungen zum Verhalten möglich) hatte der BGH nichts daran auszusetzen, daß das Landgericht den Angeklagten freisprach:

„Wenn es auf diesem Hintergrund ausführt, daß ‚bloßes inaktives Dabeisein bzw. bloßes ›mitmarschieren‹ …. auch unter dem Gesichtspunkt der psychischen Beihilfe‘ keine Strafbarkeit nach § 125 StGB begründet (UA S. 21/22), so ist dagegen recht­lich nichts einzuwenden. Denn bei einer solchen Sachlage scheitert eine Verurtei­lung wegen Landfriedensbruchs bereits daran, daß ein nach den allgemeinen Teil­nahmegrundsätzen beachtliches, bestimmte Gewalttätigkeiten unterstützendes Ver­halten des Angeklagten nicht festgestellt ist. So ist insbesondere nicht etwa festge­stellt – was die Annahme eines Landfriedensbruchs in der Form psychischer Beihilfe hätte nahelegen können – daß sich der Angeklagte innerhalb des großen Demons­trationszuges einer besonders aktiven Teilgruppe angeschlossen hätte, aus der her­aus Gewalttätigkeiten begangen wurden, und dort während schwerer gewaltsamer Auseinandersetzungen ohne äußeren Zwang verblieben wäre (vgl. das zu § 830 BGB ergangene Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. Januar 1984 – VI ZR 37/82 in NJW 1984, 1226, 1232) [BGH 24.01.1984 – VI ZR 37/82].“

„Die Strafkammer hat bei der Prüfung des Verhaltens des Angeklagten eine Ge­samtwertung der in Betracht zu ziehenden Umstände vorgenommen (UA S. 18 bis 20). Wenn sie bei der Wertung der Bekleidung des Angeklagten die Möglichkeit nicht ausschließen konnte, sie könne von ihm (allein) deshalb gewählt worden sein, um unerkannt zu bleiben (UA S. 20), so ist dagegen von Rechts wegen nichts zu er­innern.“
(BGH, Urteil vom 08.08.1984 zum Aktenzeichen 3 StR 320/84, Textziffer 2 und 3)

b) Daran hat auch das von Rote Hilfe zu Unrecht geschmähte4 Hooligan-Urteil des Bun­desgerichtshofs von 2014 nichts geändert. Denn auch in der 2017er-Entscheidung hält der BGH daran fest, daß „nicht [genügt], bloß ein Teil der ‚Menschenmenge‘ zu sein, aus der heraus Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder Bedrohungen von Menschen mit Gewalttätigkeiten begangen werden“ (BGH, Urteil vom 24. Mai 2017 zum Aktenzeichen 2 StR 414/16, Textziffer 12).

Das Ausschlaggebende im dortigen Fall war also nicht Anwesenheit, sondern vielmehr, daß aussagekräftige Chat-Nachrichten der Angeklagten als Beweismittel zur Verfügung standen:

„Wer die Chance wahrnehmen möchte sich den Weihnachtsspeck von der Hüfte zu rangeln sollte ab spätestens 12 uhr parat sein!“
„Alles stehen und liegen lassen für die Schlacht“
„Lasst ubs sie kappit schlagen die kanacken“ (Schreibfehler im Original)
„Hat einer noch ein paar sandhandschuhe das er mir leihen kann?“
„ne kleine Keilerei wäre schon nicht verkehrt“
(Landgericht Köln [als Vorinstanz des BGH in dem Hooligan-Fall], Urteil vom 23.05.2016 zum Aktenzeichen 120 KLs 7/16, Textziffer 14, 18, 20, 21 und 38).

Darauf bezog sich der BGH bei Textziffer 3 seiner Entscheidung (Urteil vom 24. Mai 2017 zum Aktenzeichen 2 StR 414/16):

„Über den Mobilfunk-Nachrichtenversand WhatsApp war zur Teilnahme an der ge­walttätigen Auseinandersetzung zwischen den Anhängern der genannten Fußball­clubs aufgerufen worden. Am Vormittag des Tattages trafen sich die Anhänger des 1. FC K. und von B. in einem Brauhaus in der K. Altstadt. Die Angeklagten kamen hinzu. Über WhatsApp wurde die gewalttätige Auseinandersetzung in der Innenstadt mit den Mitgliedern der gegnerischen Gruppe verabredet. Ein Beteiligter der K. -D. Gruppe gab nach zwei Stunden im Brauhaus das Kommando zum Aufbruch; die Gruppe bestand aus 60 bis 100 jungen Männern. Sie gingen geschlossen in Rich­tung H. und bestiegen dort die Straßenbahn, mit der sie bis zum Z. Platz fuhren. Von dort begaben sie sich zu Fuß in die R. straße und hielten über Mobiltelefon wei­ter Kontakt mit der noch außer Sichtweite befindlichen Gruppe der Anhänger von S.“

Und darauf (und nicht bspw. auf „ostentatives“ Fantum für den 1. FC Köln) bezog sich das Wort „ostentativ“ in den beiden Entscheidungen, an dem sich die Kampagne „Gemeinschaftlicher Widerstand“5 stört:

„Auch der Angeklagte V. hat sich an den Gewalttätigkeiten und Bedrohungen der Gruppe als Teilnehmer vorsätzlich beteiligt. Durch seine Eingliederung in die Gruppe in der LH.-straße und den gemeinsamen geordneten Abmarsch in der gebildeten Formation vermittelte er den weiteren Mitgliedern der Gruppe vorsätzlich ein Gefühl der Solidarität und Stärke für die unmittelbar bevorstehende, gewalttätige Auseinan­dersetzung mit den KU.er Anhängern. Hierdurch bestärkte auch er die Mitglieder der Gruppe in ihrem Vorhaben, an der bevorstehenden, gewalttätigen Drittortauseinan­dersetzung teilzunehmen. Hierin liegt ein ausreichender Tatbeitrag im Sinne einer psychischen Beihilfe nach § 125 Abs. 1 StGB. Dieser kann schon darin bestehen, dass der Gehilfe die Haupttäter – wie der Angeklagte V. – durch ein ostentatives An­schließen in ihrem Vorhaben bestärkt (vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Auflage, § 125, Rn. 14 m.w.N.; zum Begriff des ‚ostentativen Sichan­schließens‘ vgl. Werle, Lackner-Festschrift, S. 481, 497; LK-StGB/Krauß, 12. Aufl. § 125, Rn. 77; vgl. auch OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2012, 273). Dies kann geschehen, indem er die Haupttäter im Wissen um ihr Vorhaben zur Tatausführung begleitet oder indem er seine Anwesenheit in gleicher Weise einbringt, um die Haupttäter in ihrem Tatentschluss zu bestärken und ihnen das Gefühl erhöhter Sicherheit zu ge­ben (vgl. BGH, NStZ 1995, 490; OLG Naumburg, NJW 2001, 2034). Der Tatbeitrag des Angeklagten V. beschränkte sich dabei nicht auf die bloß passive Zugehörigkeit zu einer unfriedlichen Gruppe (zur Abgrenzung von strafbarer psychischer Bei­hilfe zu straflosem bloßen Dabeisein: vgl. BT-Drs. VI/502 S. 8 f.6; BGH, NStZ 2009, 28; BGH, NStZ 1984, 549; BGH, NJW 1984, 1226; BayObLG, NStZ-RR 1996, 101; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2012, 273; OLG Braunschweig, NStZ 1991, 492; OLG Naumburg, NJW 2001, 2034; LG Krefeld, StV 1984, 249; AG Freiburg, NStZ 1982, 247; VG N., Urteile vom 12.08.2010, 20 K 6004/09, 20 K 7418/08, Juris; VG N., Urteil vom 16.09.2010, 20 K 6219/09; Werle, Lackner-Festschrift, S. 481, 497; LK-StGB/Krauß, 12. Aufl., § 125, Rn. 74 ff.; MK-StGB/Schäfer, 2012, § 125, Rn. 31 ff.; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 125, Rn. 14; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 125, Rn. 13 ff.; NK-StGB/Ostendorf, 4. Aufl., § 125, Rn. 22; Kühl, StGB, 28. Aufl., § 125, Rn. 10; SK-StGB/Rudolphi/Stein, 8. Aufl., § 125, Rn. 13b f.). Vielmehr leistete er durch seine Eingliederung in die einheitliche und geschlossene Gruppenformation beim Aufbruch aus der LH.-straße einen aktiven Tatbeitrag.“
(Landgericht Köln, Urteil vom 23.05.2016 zum Aktenzeichen 120 KLs 7/16, Textziffer 82; Hv. hinzugefügt)

„Die Angeklagten haben sich an den Gewalttätigkeiten und Bedrohungen aktiv betei­ligt. ‚Ostentatives Mitmarschieren‘ auf dem Weg zum Ort der Begehung von Gewalt­tätigkeiten, wie es hier festgestellt ist, reicht aus (vgl. NK/Ostendorf, StGB, 4. Aufl., § 125 Rn. 22). Die Angeklagten haben durch Eingliederung in die Formation erkenn­bar ihre Solidarität mit den gewaltbereiten Gruppenmitgliedern zum Ausdruck ge­bracht. Alle Teilnehmer der Menschenmenge verfolgten einzig das Ziel, geschlossen Gewalttätigkeiten zu begehen.“
(BGH, Urteil vom 24. Mai 2017 zum Aktenzeichen 2 StR 414/16, Textziffer 13)

Auch nach der Hooligan-Entscheidung des BGH ist es also nicht so, daß

  • aus dem bloßen Mitlaufen bereits die Ostentation der Gewalttätigkeiten, damit die Beihilfe zu den Gewalttätigkeit und damit die MittäterInnenschaft am Landfriedensbruch folgt.

Vielmehr ist es umgekehrt:

  • Nur dann, wenn sich die Ostentation gerade auf die Gewalttätigkeiten (und nicht ostentative Anhänglichkeit an den 1. FCK oder den Antikapitalismus) be­zieht und sich z.B. anhand des Inhalts von Chat-Nachrichten oder einer vorheri­gen Kneipenbesprechung beweisen läßt, zeigt das Mitlaufen die „Solidarität mit den gewaltbereiten Gruppenmitgliedern“.7

c) Auf eine vorherige Kneipenbesprechung bezieht sich auch die vom BGH genannte Fundstelle „NK/Ostendorf, StGB, 4. Aufl., § 125 Rn. 22“. Ostendorf (früherer – ziemlich liberaler – Schleswig-Holsteiner Generalstaatsanwalt) schreibt dort:

„psychische Unterstützung durch bloße Anwesenheit reicht nicht aus,[64] wohl aber Anfeuerungsrufe, konkludentes Mitmachen durch Aufheben eines potenziellen Wurf­geschosses[65] wie auch ein ostentatives Mitmarschieren zu einer Gaststätte, um den dort Anwesenden eine ‚Abrechnung‘ zu erteilen.[66]“
(Ostendorf, in: Nomos-Kommentar zum StGB, 20134, § 125, Randnummer 22)

Bei FN 64 verweist Ostendorf auf die oben zitierte Krefeld-Entscheidung des BGH (BGH NStZ 1984, 549) und bei FN 66 auf: „OLG Naumburg NJW 2001, 2034.“ Das ist das in der Neuen Juristischen Wochenschrift 2001 auf Seite 2034 veröffentlichte Urteil vom 21. März 2000 zum Aktenzeichen 2 Ss 509/99.

Auch das Oberlandesgericht Naumburg hielt daran fest, daß „das einfache Mitmarschie­ren in einer Gruppe, aus der heraus Gewalttätigkeiten begangen werden, auch unter dem Gesichtspunkt der psychischen Beihilfe, allein keine Strafbarkeit nach § 125 StGB begründet“ (Hv. hinzugefügt). Für seine Bestätigung der amtsgerichtlichen Verurteilung des Angeklagten stellte das OLG auf folgendes ab:

„Der gesondert verfolgte M hatte die Gruppe im Verlauf des Abends ermuntert, den in der so genannten ‚Zeckenkneipe‘ vermuteten ‚Linken‘ eine gewaltsame ‚Abrech­nung‘ zu erteilen. Damit war dem Angekl. – wie allen anderen Beteiligten auch – beim Verlassen der Gaststätte K das Ziel und der Zweck ihres Aufbruchs zweifels­ohne bekannt.“

Das für den Rondenbarg-Komplex Ausschlaggebende ist also,

  • daß die Staatsanwaltschaft keine (belastenden) Chat-Nachrichten der Angeklag­ten hat;

  • daß es keine vorherige Kneipenverabredung zu den Gewalttätigkeiten gab;

  • daß es kein Abhörprotokoll und keinen Spitzel-Bericht eines etwaigen Vorberei­tungstreffens für die Rondenbarg-Demo in dem G20-Protest-Camp, von dem die Demo startete, gibt.

Bleibt also allein der „Dresscode“ – aber allein aus einer bestimmten Bekleidung/Aus­stattung (Krefeld-Fall: „bekleidet mit schwarzer Lederjacke, Arbeitshandschuhen, einem gelben Schutzhelm mit ‚Sturmmaske‘ sowie mit weichen Stiefeletten“) folgt noch kein „beachtliches, bestimmte Gewalttätigkeiten unterstützendes Verhalten“ (BGH, Urteil vom 08.08.1984 zum Aktenzeichen 3 StR 320/84, Textziffer 2)

d) Bleibt noch zu erwähnen, daß die im oben auf S. 8 bei FN 6 zitierten Urteil des Land­gerichts Köln genannte Fundstelle „BT-Drs. VI/502“ die Bundestags-Drucksache ist, mit der 1970 die Liberalisierung des Landfriedensbruchs-Paragraphen begründet wurde. Auch der Bundesgerichtshof bezog sich – 2008 – in einem Beschluß auf die Stelle und schrieb:

„Nach dem Willen des Gesetzgebers soll nicht derjenige, der sich nach ‚Gewalttä­tigkeiten nicht veranlasst sieht, sich zu entfernen‘, sondern nur derjenige, der sich ‚aktiv an Gewalttätigkeiten‘ beteiligt, nach dieser Vorschrift strafbar sein (BT­Drucks. VI/139 S. 4, VI/5028 S. 9; […]).
(BGH, Beschluß vom 09.09.2008 zum Aktenzeichen 4 StR 368/08, Textziffer 9)

‚Aktiv an Gewalttätigkeiten beteiligen‘ heißt im Sprachgebrauch des BRD-Strafgesetz­buches allerdings nicht notwendigerweise die Gewalttätigkeiten eigenhändigen bege­hen; Beihilfe dazu reicht; aber für Beihilfe reicht – auch nach der Hooligan-Entschei­dung von 2017 – bloße Anwesenheit nicht. Auch Anwesenheit „mit schwarzer Lederja­cke, Arbeitshandschuhen, einem gelben Schutzhelm mit ‚Sturmmaske‘ sowie mit wei­chen Stiefeletten“ (BGH-Krefeld-Entscheidung) reicht allein nicht. Anwesenheit mit Sturmhaube, Anglerhut, schwarzen Handschuhen und Schuhen mit weißer Sohle (das soll wohl der Dresscode im Rondenbarg-Fall sein9) macht den Beihilfe-Kohl nicht fett.

Hier noch ein etwas längeres, wörtliches Zitat aus der Bundestags-Drucksache von 1970:

„Unter dem Eindruck dieser zahlreichen Stellungnahmen konnte im Sonderaus­schuß ein Teileinverständnis darüber erzielt werden, daß einerseits die an Gewalttä­tigkeiten Beteiligten sowie die sogenannten Anheizer vom Tatbestand erfaßt, ande­rerseits Passanten und sogenannte Abwiegler, ferner diejenigen, die sich aus dienstlichen oder beruflichen Gründen in der Menge aufhalten, z. B. Ärzte, Rote-Kreuz-Helfer, Presse-, Film- oder Fernsehberichterstatter, aus diesem Tatbestand ausgeschlossen sein müßten. Streitig war und blieb bis zum Ende der Ausschußbe­ratung, wie die Gruppe der Neugierigen sowie derjenigen, die — ohne die Gewalt­handlungen fördern zu wollen — in der Menge bleiben, weil es ihnen um das mit der Demonstration verfolgte Anliegen geht, beurteilt werden sollen. Von einer Minder­heit wurde im Ausschuß die Ansicht vertreten, daß je nach der Fallgestaltung auch bei diesen beiden Gruppen kriminelles Unrecht gegeben sein könne, nämlich dann, wenn sie wenigstens mittelbar dazu beitragen würden, daß aus der Menge heraus weitere Gewalttätigkeiten begangen werden, so z. B. wenn sie sich nicht entfernen, obwohl sie erkennen, daß sie damit die Entdeckung und Verfolgung der die Gewalt­tätigkeiten Verübenden behindern oder diese sich durch ihre Anwesenheit gestärkt fühlen. Auf das Demonstrationsrecht könnten sie sich nicht berufen, da es sich hier nicht mehr um eine friedliche Demonstration handele. Demgegenüber war die Mehrheit des Ausschusses der Meinung, daß es angesichts der Bedeutung der Demonstrationsfreiheit nicht gerechtfertigt erscheine, denjenigen zu be­strafen, der sich durch die — wenn auch von mehreren Demonstranten verüb­ten, von ihm aber nicht gebilligten — Gewalttätigkeiten nicht veranlaßt sieht, sich zu entfernen, sondern sich weiter an der Demonstration als solcher betei­ligt. Noch weniger erscheine es billig, jemanden, der sich aus Neugierde in der Menge aufhält, deshalb zu bestrafen und ihn damit für viele Jahre mit dem Makel der Vorstrafe zu belasten. Ferner wurde von der Ausschußmehrheit geltend ge­macht, daß zudem die allgemeinen polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten im Hinblick auf diese beiden streitigen Gruppen völlig ausreichen und hier zudem als Ahndungs­mittel die Verhängung einer Geldbuße gemäß Artikel 2 AF10 zur Verfügung steht. Aufgrund dieser Erwägungen gelangte die Mehrheit zu dem Ergebnis, daß es durch­aus genüge, wenn zusätzlich zu den durch § 125 StBG i. d. F. des SPD/FDP-Ent­wurfs erfaßten Täter noch derjenige einbezogen wird, der ‚auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern‘. Unter ‚Einwirken‘ kann auch eine psychische Beeinflussung verstanden werden, die nicht verbal ge­schieht. Gegen jene Formulierung wurde von verschiedenen Mitgliedern vorge­bracht, daß der Tatbestand auch dann noch zu eng sei und daß der Nachweis einer solchen Absicht in der Praxis große Schwierigkeiten bereiten werde.“
(https://dserver.bundestag.de/btd/06/005/0600502.pdf, S. 9, linke Spalte; Hv. hinzu­gefügt)

Die Auffassung, daß es strafbar sein solle,

„wenn sie [VersammlungsteilnehmerInnen] sich nicht entfernen, obwohl sie erken­nen, daß sie damit die Entdeckung und Verfolgung der die Gewalttätigkeiten Ver­übenden behindern oder diese sich durch ihre Anwesenheit gestärkt fühlen“

blieb also die Minderheits-Auffassung – setzte sich also gerade nicht durch!

Eine etwaige Billigung von Gewalttätigkeiten, die das Dableiben strafbar machen würde, könnte z.B. durch Chat-Nachrichten, Abhörprotokolle und während der Demo gerufener Parolen (z.B.: „Alle wollen dasselbe: Schmeißt die Bullen in die Elbe.“) bewiesen wer­den. – Aber derartige Beweise gibt es in dem Rondenbarg-Fall anscheinend nicht. Es gibt bloß ein Flugi „Fight G20“, in dem es hieß:

„Dabei lassen wir uns weder von Strafgesetzen noch von irgendwelchen Sozialde­mokratInnen vorschreiben, wie und wann wir unseren Widerstand artikulieren dür­fen. Wir wählen unsere Aktionsformen selbst.“
(https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/)

Angesichts zum Beispiel

läßt sich aus dem Flugi-Satz keine Ankündigung oder Befürwortung von Gewalttätigkei­ten im Sinne des Landfriedensbruchs-Paragraphen herauslesen.

Im übrigen kommt auch in Betracht, daß die für bestimmte Situationen selbstgewählten Aktionsformen gesetzekonform sind.

8. Letzter Rettungsanker der Hamburger Staatsanwaltschaft ist die Behauptung, die ge­samte – von Artikel 8 Grundgesetz geschützte – zunächst friedliche Versammlung sei ir­gendwann zu einem – nicht von Artikel 8 Grundgesetz geschützten – unfriedlichen Et­was geworden. Auf wundersame Weise soll das allerdings ohne Auflösung der Ver­sammlung und sogar ohne polizeiliche Zerschlagung der Demo passiert sein… Viel­mehr soll die Wandlung des Charakters der Menschenmenge deren Zerschlagung ohne vorhergehende Auflösungsverfügung rechtfertigen – die Verwandlung soll also schon vor der Zerschlagung stattgefunden haben:

„Die Polizeieinheiten seien rechtmäßig im Einsatz gewesen. Da ein Anfangsver­dacht des Landfriedensbruchs vorgelegen habe, sei das Aufstoppen des Aufzuges und die Anwendung von unmittelbarem Zwang berechtigt gewesen. Dazu sei auch keine Durchsage zur Auflösung erforderlich gewesen, da es sich bereits nicht mehr um eine geschützte Versammlung gehandelt hätte. Die Blumberger Einheit sei nach Paragraf 163b Strafprozeßordnung (Maßnahmen zur Identitätsfeststellung) berech­tigt gewesen gegen die ganze Gruppe vorzugehen, da diese schwarz gekleidet war.“
(https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/)

Dies wäre allenfalls dann zutreffend, wenn allein schon das Tragen schwarzer Kleidung bei einer Demo, bei der ein paar Dinge geworfen werden und kaputt gehen, eine Straf­tat darstellen würde. § 163b Strafprozeßordnung lautet:

„Ist jemand einer Straftat verdächtig, so können die Staatsanwaltschaft und die Beamten des Polizeidienstes die zur Feststellung seiner Identität erforderlichen Maßnahmen treffen; § 163a Abs. 4 Satz 1 gilt entsprechend. Der Verdächtige darf festgehalten werden, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Unter den Voraussetzungen von Satz 2 sind auch die Durchsuchung der Person des Verdächtigen und der von ihm mitge­führten Sachen sowie die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zuläs­sig.
(2) Wenn und soweit dies zur Aufklärung einer Straftat geboten ist, kann auch die Identität einer Person festgestellt werden, die einer Straftat nicht verdächtig ist; § 69 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend. Maßnahmen der in Absatz 1 Satz 2 bezeichne­ten Art dürfen nicht getroffen werden, wenn sie zur Bedeutung der Sache außer Ver­hältnis stehen; Maßnahmen der in Absatz 1 Satz 3 bezeichneten Art dürfen nicht ge­gen den Willen der betroffenen Person getroffen werden.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__163b.html; Hv. hinzugefügt)

Zur Aufklärung von Straftaten mag es geboten sein, die Identität von nicht-verdächtigen neutralen ZeugInnen festzustellen; daß sich die Polizei von der Feststellung der Identi­tät von nicht-verdächtigen DemonstrantInnen die Aufklärung von Straftaten von Mit-De­monstrantInnen erhofft hat, ist dagegen ziemlich fernliegend.

Eine andere Frage ist die Frage, ob die Polizei die Versammlung hätte auflösen dürfen. § 15 Absatz 1 und 3 [Bundes-]Versammlungsgesetz, die in Hamburg – mangels Lan­desversammlungsgesetzes – weiterhin gelten, lauten:

„(1) Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.“
„(3) Sie kann eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht ange­meldet sind, wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach Ab­satz 1 oder 2 gegeben sind.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/versammlg/__15.html)

Es mag sein, daß die Polizei die Auflösung der Versammlung hätte verfügen dürfen (und die Leute sich dann hätten entfernen müssen, wenn sie nicht sanktioniert werden wollen). Vielleicht hätte auch genügt, einzelne Leute oder einen Block von Leuten gemäß § 18 Absatz 3 [Bundes-]Versammlungsgesetz11 aus der Demo auszuschließen. Aber weder das eine noch das andere hat die Polizei verfügt, sondern die Demo ohne Ankündigung zerschlagen. Zu beachten, daß dabei jedenfalls, daß die Auflösung einer Demo nicht deren faktische Zerschlagung durch die Polizei (kein Realakt der Polizei), sondern die Verfügung (ein Rechtsakt) ist, die (der) anordnet, daß sich VersammlungsteilnehmerIn­nen entfernen sollen und der (dem) dann die polizeiliche Zerschlagung der Versamm­lung folgt, falls der Verfügung nicht Folge geleistet wird:

„Auflösung und Auflagen ergehen als Allgemeinverfügungen in aller Regel mündlich vor Ort an alle, die es angeht, also die Gesamtheit oder einen abgrenzbaren Teil der Teilnehmer. Die Verfügungen werden mit der Bekanntgabe an die Betroffenen wirksam. Die Bekanntgabe erfolgt mit Ausnahme kleinerer Veranstaltungen in aller Regel durch Ansprache der Betroffenen über Megafon oder Mikrofon. […].
Auflösung und Auflagen ergehen meist in einer turbulenten Situation mit entsprechendem Schallpegel.[…]. Deshalb sind bei der Bekanntgabe an die inhaltliche Bestimmtheit, Eindeutigkeit und Verständlichkeit besondere Anforderungen zu stellen. Gegebenenfalls ist die Bekanntgabe mehrfach zu wiederholen, damit alle Betroffenen akustisch erreicht werden.“
(Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 201918, Randnummer 212 f.)

Zwar sind Situationen denkbar, in denen eine Menschenmenge von vornherein unfried­lich und daher von vornherein keine von Artikel 8 Absatz 1 Grundgesetz („Alle Deut­schen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“) geschützte Versammlung ist. Aber für die Status-Änderung von einer geschützten Versammlung zu etwas Nicht-Geschütztem ist die Auflösungsverfügung – laut Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts – kei­ne läßliche Lappalie, sondern entscheidend:

„§ 15 Abs. 3 BVersG stellt eine abschließende Befugnisnorm dar, die auch für un­friedliche Versammlungen gilt und zwar auch dann, wenn die Gesamtheit der Teil­nehmer sich nicht mehr im Schutzbereich befindet, weil sie gewalttätig geworden ist. […]. Eine Auflösung kann auch nicht konkludent erfolgen, etwa durch Einkesselung der Teilnehmer und erst recht nicht durch Anwendung unmittelbaren Zwangs. Den Betroffenen muss unmissverständlich klar gemacht werden, dass ihre Versammlung beendet ist.“
(Kniesel, in: Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 201918, Randnummer 210 und 215)

„Die Unterbindung einer Versammlung kann auch in den Fällen ausschließlich auf diese Vorschrift12 gestützt werden, in denen die Auflösung der Versammlung den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG“ – z.B., weil es sich um eine Versammlung von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit handelt oder weil es sich um eine un­friedliche gewordene Versammlung handelt – „nicht berührt und deshalb keine Be­schränkung der Versammlungsfreiheit im Sinne von Art. 8 Abs. 2 GG darstellt.“
(BVerwG, Beschluß vom 14.01.1987 zum Aktenzeichen 1 B 219.86, Textziffer 10)

Zu beachten ist in dem Zusammenhang, daß Artikel 8 Absatz 1 Grundgesetz folgenderma­ßen lautet:

„Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_8.html)

Dies bedeutet zwar, daß Versammlungen von Nicht-Deutschen sowie unfriedliche Ver­sammlungen nicht unter dem Schutz des Grundrechts stehen; aber es bedeutet nicht, daß Demonstrationen von Nicht-Deutschen und unfriedliche Demonstrationen von vorn­herein aus dem Begriff der Versammlung herausfallen würden. Vielmehr sind auch sol­che Demonstrationen Versammlungen – und folglich müssen sie gemäß § 15 Absatz 3 Versammlungsgesetz aufgelöst werden, bevor sie ggf. zerschlagen werden dürfen.

„Art. 8 GG gebietet, diese für den Schutz des Grundrechtsträgers wesentlichen Förmlichkeiten nicht geringer zu gewichten als die Förmlichkeiten, deren Verletzung eine Bestrafung nach § 113 StGB in anderen Fällen ausschließt. Denn es handelt sich um Anforderungen der Erkennbarkeit und damit der Rechtssicherheit, deren Beachtung für die Möglichkeit einer Nutzung des Grundrechts der Versammlungs­freiheit wesentlich ist. In Versammlungen entstehen häufig Situationen rechtlicher und tatsächlicher Unklarheit. Könnten Versammlungsteilnehmer nicht wissen, ab wann der Schutz der Versammlungsfreiheit endet und dürften [Konjunktiv!, dgs] sie gleichwohl wegen eines ihrer Ansicht nach von der Versammlungsfreiheit geschütz­ten Verhaltens negativ sanktioniert werden, könnte diese Unsicherheit sie ein­schüchtern und von der Ausübung des Grundrechts abhalten.“
(BVerfG, Beschluß vom 30. April 2007 zum Aktenzeichen 1 BvR 1090/06, Textziffer 41; Hv. hinzugefügt)

„Das Ziel einer – fraglos rechtswidrigen […] Gleisblockade könnte allenfalls dazu führen, dass der Charakter der Versammlung verbotener Natur war oder wurde. Dies macht eine Auflösung aber nicht entbehrlich (BVerwG, NVwZ 1988, 25013). Denn nach § 15 Abs. 3 VersG ist (auch) eine verbotene Versammlung aufzulösen. Der Umstand des Verbotenseins einer Versammlung führt weder von sich heraus zu deren Beendigung, noch lässt er das Erfordernis einer Auflösung entfallen; [… Auch] ein ‚allgemeines Tohuwabohu und Gerenne‘ […] macht eine Auflösung weder von vornherein unmöglich, noch insbesondere überflüssig.“
(OLG Celle, Beschluß vom 07.03.2005 zum Aktenzeichen, Textziffer 7 und 9)

9. Daraus ergibt sich im übrigen nicht nur ein Argument gegen die polizeiliche Zerschla­gung der Demo ohne vorherige Auflösungsverfügung, sondern auch ein weiteres Argu­ment dagegen, das bloß schwarz gekleidete Mitgehen bei einer Demo, aus der heraus oder an deren Rand es zu Gewalttätigkeiten kommt, als Beihilfe zu diesen Gewalttätig­keiten und damit MittäterInnenschaft am Landfriedensbruch zu bestrafen. Denn der Landfriedensbruch-Paragraph 125 Absatz 2 Strafgesetzbuch bestimmte von 1985 bis 1989:

„Wer in einer Menschenmenge, aus der Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen im Sinne des Absatzes 1 begangen werden,
1. Schutzwaffen oder Gegenstände, die als Schutzwaffen geeignet und dazu be­stimmt sind, Vollstreckungsmaßnahmen eines Trägers von Hoheitsbefugnissen ab­zuwehren, mit sich führt oder
2. sich in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung seiner Identität zu verhindern, aufhält,
obwohl ein Träger von Hoheitsbefugnissen auf Grund des Versammlungsgesetzes oder eines Polizeigesetzes dazu aufgefordert hat, diese Gegenstände oder Aufma­chungen abzulegen oder sich zu entfernen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
(https://web.archive.org/web/20231127145310/https://lexetius.de/StGB/125,3)

Dieser Absatz wurde aber 1989 – zugunsten der allgemeinen Vermummungs-Normen § 17a und § 27 Absatz 2 im Versammlungsgesetz – wieder aus dem Strafgesetzbuch rausgestrichen. Daraus kann zweierlei geschlußfolgert werden:

  • Das, was von 1985 bis 1989 als Landfriedensbruch light bestraft werden konnte, kann heute nur als Vermummung gemäß § 27 Absatz 2 Versammlungsgesetz bestraft werden.

  • Das, was von 1985 bis 1989 nicht einmal als Landfriedensbruch light bestraft werden konnte, konnte damals erst recht und kann auch heute erst nicht als ‚Standard-Landfriedensbruch‘ nach § 125 Absatz 1 Strafgesetzbuch bestraft wer­den.

Für den Landfriedensbruch light gemäß § 125 Absatz 2 StGB 1985 – 1989 war notwen­dige Voraussetzung, daß „ein Träger von Hoheitsbefugnissen auf Grund des Versamm­lungsgesetzes oder eines Polizeigesetzes dazu aufgefordert hat, diese Gegenstände oder Aufmachungen abzulegen oder sich zu entfernen“. Also: Wegen bloßer vermumm­ter Anwesenheit bei Gewalttätigkeiten, „die aus einer Menschenmenge in einer die öf­fentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden“, darf es keine Verurteilung nach § 125 Absatz 1 StGB wegen Landfriedensbruch geben.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg ist mit ihrer Anglerhut-Theorie auf dem Holzweg; es ist allerdings nicht auszuschließen, daß das Landgericht der Staatsanwaltschaft morgen auf diesem Holzweg folgen wird.

10. Ein Holzweg ist im übrigen auch der Vorwurf des Landfriedensbruchs durch Bedro­hungen (§ 125 Absatz 1 Nr. 2 StGB). Ich fragte die Hamburger Staatsanwaltschaft

„worin soll – nach aktueller Ansicht der StA – die Bedrohung bestanden haben?“

Antwort unter anderem auf diese Frage:

„Weitergehende Auskünfte/Erklärungen zur rechtlichen und tatsächlichen Einschät­zung können während des laufenden Verfahrens nicht erfolgen.“

Wenn wir uns statt dessen auf das Plädoyer-Protokoll der Webseite „Gemeinschaftli­cher Widerstand“ verlassen, so hat die Staatsanwaltschaft bloß einen ‚Bedrohungsein­druck‘, aber keine Bedrohung:

„Der Aufzug habe auf die Verkehrsteilnehmer und Büroangestellten einen bedrohli­chen Eindruck gemacht.“
„Der Schwarze Finger habe auf Außenstehende bedrohlich gewirkt.“
„Sie hätten Angst um ihr Auto gehabt, eine Zeugin habe die Türen des Bürogebäu­des verschlossen.“
(alle Hv. hinzugefügt)

Diese Formulierungen nehmen eine doppelte Verschiebung gegenüber dem gesetzli­chen Tatbestand vor:

  • Statt auf eine Handlung der Angeklagten (die Bedrohung sollen sie als MittäterIn­nen [und nicht nur GehilfInnen] begangen haben) wird auf eine Wahrnehmung von PassantInnen abgestellt.

  • Die Ersetzung der Formulierung „Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalt­tätigkeit“ durch das Adverb „bedrohlich“ verschiebt die Sache zusätzlich ins Vage.

Es ist nicht groß überraschend, daß ZeugInnen auf die Frage:

  • ‚Empfanden Sie die Demonstration als bedrohlich?‘

etwas anderes antworten als auf die Fragen:

  • ‚Haben Sie eine ‚Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit‘ wahrge­nommen? Wann fand sie statt und worin bestand sie?‘

Klar, mag eine vermummte Demo irgendwie „bedrohlich“ wirken; aber wenn allein schon Vermummung „Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit“ wäre, hätte das Vermummungverbot nie eingeführt werden müssen, sondern es könnte im Falle von Vermummung kurzer Hand wegen Landfriedensbruchs durch Bedrohung verknackt wer­den.

Auch mag das demonstrative Hochhalten eines Steines (genauso wie das an den Kopf halten einer Waffe) Bedrohung sein. Aber das bloße Aufnehmen oder aus dem Vorrats­beutel holen und zügige Werfen eines Steins ist eine Gewalttätigkeit (wenn der Stein in Richtung von Sachen und Personen geworfen wird), aber nicht zusätzlich eine Bedro­hung. – Auch die ‚Bedrohungs-Theorie‘ der Staatsanwaltschaft Hamburg ist ein Holz­weg. Auch diesbezüglich ist nicht auszuschließen, daß das Gericht der Staatsanwaltschaft auf dem Holzweg, mit dem auch der BGH schon flirtete14, folgt.

Der DFRSt – ein einziger Holzweg!


1 Können“ deshalb, weil wohl auch nach staatsanwaltschaftlicher Ansicht allein die Dresscode-Einhal­tung nicht genügt, sondern auch

  • das billigend in Kaufnehmen von Gewalttaten (auch bloß eine politische Haltung / Gesinnung!)
    und
  • das zur Verfügung stellen eines „Rückzugsort[es]“ in Form der Bildung einer Versammlung (Men­schenmenge) – dies ist nun zwar etwas physischer (materieller), aber Charakteristikum jeder De­monstration!

hinzukommen muß, damit aus der bloßen (dunkel bekleideten) Anwesenheit bei Gewalttätigkeiten von anderen die Beihilfe zu deren Gewaltättigkeiten (und damit unter bestimmten Voraussetzungen [siehe FN 3] auch MittäterInnenschaft an deren Landfriedensbruch) wird.

2 = Oberlandesgericht.

3 a) aus einer Menschenmenge
b) in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise
c) mit vereinten Kräften.

4 „In der Anklage stützt sich die Staatsanwaltschaft auf ein Konstrukt, das in der Rechtsprechung bislang nur für Fußball-Hooligans, nicht aber für politische Versammlungen genutzt wurde. Dabei müssen den einzelnen Personen keine eigenen strafbaren Handlungen nachgewiesen werden. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft genügt ihre bloße Anwesenheit, um ein gemeinsames Tathandeln zu unterstellen.“ (https://rote-hilfe.de/meldungen/versammlungsfreiheit-vor-gericht-dritte-auflage-des-rondenbarg-prozesses-im-januar-2024)
Der BGH sagt in der fraglichen Entscheidung vielmehr:

  • Für eine Verurteilung wegen Landfriedensbruch sei nicht erforderlich, den Angeklagten eine – ne­ben dem Landfriedensbruch – weitere eigenhändige Straftat nachzuweisen. Aber Beihilfe zu Kör­perverletzung und Landfriedensbruch ist eine Straftat. Wird Beihilfe zu einer Gewalttätigkeit geleistet, dann ist die gleichzeitige Verurteilung wegen Landfriedensbruch die Folge, sofern die drei in FN 3 genannten Voraussetzungen vorliegen. Damit hat der BGH juristisch Recht, denn es steht so im Gesetz und war so auch von sozialliberalen Reformmehrheit von 1970 gewollt. Li­beralere Positionen hatten sich auch damals nicht durchgesetzt.
  • Auch in der Hooligan-Entscheidung hält der BGH daran fest, daß bloße Anwesenheit der Gewalt­tätigkeiten nicht genügt (siehe dazu sogleich im Haupttext).

5 „2017 entschied der BGH, jedoch, dass das ‚ostentative‘ Mitmarschieren als Landfriedensbruch bestraft werden könne.“ (https://gemeinschaftlich.noblogs.org/hintergrund/)

6 Siehe dazu unten S. 9.

7 „Die Angeklagten haben durch Eingliederung in die Formation erkennbar ihre Solidarität mit den gewalt­bereiten Gruppenmitgliedern zum Ausdruck gebracht. Alle Teilnehmer der Menschenmenge verfolgten einzig das Ziel, geschlossen Gewalttätigkeiten zu begehen.“ (BGH, Urteil vom 24. Mai 2017 zum Aktenzeichen 2 StR 414/16, Textziffer 13)

8 https://dserver.bundestag.de/btd/06/005/0600502.pdf.

9 Staatsanwaltschaftliches Plädoyer laut https://gemeinschaftlich.noblogs.org/prozessberichte/prozessbericht-22-vom-26-08-2024/: „Es wurden Fi­scher- beziehungsweise Anglerhüte getragen und Turnschuhe mit weißen Sohlen. […]. Der eine Ange­klagte habe eine Kapuze aufgehabt, die andere Angeklagte habe eine Sturmhaube über den Mund gezo­gen und schwarze Handschuhe getragen.“

10 Ausschuß-Fassung (d.h.: Ausschuß-Entwurf).

11 „Die Polizei kann Teilnehmer, welche die Ordnung gröblich stören, von der Versammlung ausschlie­ßen.“

12 = damals § 15 Absatz 2; inzwischen § 15 Absatz 3 [Bundes-]Versammlungsgesetz-

13 Das ist der oben (S. 14) zitierte Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.01.1987 zum Aktenzeichen 1 B 219.86.

14 „Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit i.S.d. § 125 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfordern die ausdrücklich oder konkludent erklärte Ankündigung eines Übels, das der Drohende selbst oder kraft seines Einflusses durch einen anderen wirklich oder vorgeblich jemandem zufügen will und kann. Ein in diesem Sinne täterschaftliches Bedrohen kann bereits darin liegen, dass sich der Angeklagte bei einer Demonstration uniformiert und vermummt in den sog. ‚Schwarzen Block‘ eingliedert und dabei das Ziel verfolgt, gemeinsame Militanz zu demonstrieren.“ (BGH, Urteil vom 13.12.2021 zum Aktenzeichen 5 StR 115/21; Leitsätze des Bearbeiters [d.h.: nicht des Gerichts selbst]; Hv. hinzugefügt)

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https://blogs.taz.de/theorie-praxis/rondenbarg-prozess-endet-am-dienstag/

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