vonDetlef Georgia Schulze 30.01.2025

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Die wichtigsten Informationen

http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2025/01/Neuigkeiten_US-Staatsanghoerigkeit.pdf

a) Am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit erließ US-Präsident Trump eine Executive Order, die die Interpretation der Staatsangehörigkeits-Regelung in der US-Verfassung deutlich einengt.

b) Diese Verfassungsnorm lautet: „All persons born or naturalized in the United States, and subject to the jurisdiction thereof, are citizens of the United States and of the State wherein they reside.

c) Umstritten ist vor allem die Auslegung der Formulierung „subject to the jurisdiction thereof“.

d) Deshalb sind inzwischen vor mehreren Bundesgerichten Verfahren anhängig – zwei wurden von insgesamt 22 US-Bundesstaaten angestrengt; die anderen von Schwangeren ohne dauerhaftem Aufenthaltsstatus sowie BürgerInnenrechts-/MigrantInnen-Organisationen.

e) Die Trump-Regierung ist der Ansicht, die Formulierung „subject to the jurisdiction [of the United States]“ sei

  • gleichbedeutend mit der Formulierung „not subject to any foreign power

    und

  • diese Formulierung schließe wiederum jedenfalls Kinder ohne zumindest einem Elternteil mit amerikanischer Staatsangehörigkeit oder zumindest mit dauerhaftem Aufenthaltsstatus von der – in der Verfassung geregelten – Staatsangehörigkeit qua Geburt aus (darüber hinausgehende Einbürgerungen sind einfach-gesetzlich geregelt).

Die Gegenseite ist der Auffassung, die einzigen von der Verfassungsregelung ausgeschlossenen Personen seien „those who are not in fact subject to the jurisdiction of the United States at birth – the children of diplomats covered by diplomatic immunity and children born to foreign armies at war against the United States while on United States soil.

f) Bereits vergangene Woche hatte ein Bundesrichter die Trump-Verordnung zunächst bis zum Donnerstag der kommenden Woche auf Eis gelegt (temporary restraining order). An besagtem kommenden Donnerstag wird mündlich über eine nunmehr beantragte Preliminary Injunction verhandelt, die dann nicht befristet, aber auch nur vorläufig sein wird.

g) Bis zur Hauptsache-Entscheidung des Gerichts erster Instanz wird es noch lange dau­ern; diesbezüglich hat der Richter den Beteiligten erst einmal nur aufgegeben, sich bis zum 20.03.2025 auf einen „Joint Status Report“ zu verständigen.

h) Die Executive Order kommt nicht aus heiterem Himmel: Zwar ist die Auffassung, daß es für die Staatsangehörigkeit qua Geburt nicht auf den Aufenthaltsstatus (oder die Staatsangehörigkeit) der Eltern ankomme, seit langem herrschende juristische Meinung und Staatspraxis. Aber die herrschende Meinung ist nicht die allgemeine und der US-Supreme Court hatte im 19. Jahrhundert auch schon mal anders entschieden, als es später die herrschende Meinung wurde: „The phrase, ‚subject to its jurisdiction‘ was intended to exclude from its operation children of ministers, consuls, and citizens or subjects of foreign States born within the United States.“ (83 U.S. 36 [1873, S. 73 der gedruckten bzw. S. 38 der digitalen Seitenzählung; Hv. hinzugefügt)

i) 25 Jahre später hieß es dann in einer anderen Supreme Court-Entscheidung u.a.:

The real object of the Fourteenth Amendment of the Constitution, in qualifying the words, ‚All persons born in the United States,‘ by the addition, ‚and subject to the juris­diction thereof,‘ would appear to have been to exclude, by the fewest and fittest words, ([…]1) the two classes of cases – children born of alien enemies in hostile occupation, and children of diplomatic representatives of a foreign State – both of which, as has already been shown, by the law of England, and by our own law, from the time of the first settlement of the English colonies in America, had been recognized exceptions to the fundamental rule of citizenship by birth within the country.
(United States v. Wong Kim Ark, 169 U.S. 649 [1898], S. 682 der gedruckten bzw. 34 der digitalen Seitenzählung)

j) Auch diese Entscheidung betraf aber nicht den Fall eines Kindes von Eltern mit ungesichertem Aufenthaltsstatus, sondern mit gesichertem Status. Darauf beruft sich die Trump-Regierung jetzt: „Despite some broadly worded dicta2, the Court’s opinion thus leaves no serious doubt that its actual holding concerned only children of permanent residents. The EO is fully consistent with that holding. See, e.g., Citizenship EO § 2(c) (‚Nothing in this order shall be construed to affect the entitlement of other individuals, including children of lawful permanent residents, to obtain documentation of their United States citizenship.‘ (emphasis added)).“ (http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2025/01/gov.uscourts.wawd_.343943.36.0_1.pdf, S. 13 f.; Hyperlink hinzugefügt)

k) Vorlage für die Argumentation scheint ein Aufsatz des US-Juristen John C. Eastman, dessen „legal memos proved central to Donald Trump’s effort to illegally hold on to power following the 2020 election“ (Lawfare vom 04.04.2024), aus dem Jahre 2008 zu sein:

Born in the U.S.A.? Rethinking Birthright Citizenship in the Wake of 9/11,
in: 42 University of Richmond Law Review, 955 – 968.

Der Aufsatz endet mit der These,

that only a complete jurisdiction, of the kind that brings with it a total and exclusive al­legiance, is sufficient to qualify for the grant of citizenship to which the people of the United States actually consented“.

Das heißt: Trumps jetziger Vorstoß ist vielleicht nur ein Versuchsballon, dem – bei erfolgreichem Ballon-Flug – eventuell weitere Einschränkungen der US-Staatsangehörigkeit folgen sollen.

l) Für deutschen Anti-Amerikanismus besteht aber kein Anlaß. Denn Artikel 116 Absatz 1 Grundgesetz lautet immer noch: „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“
Auch einfach-gesetzlich setzt der Erhalt der BRD-Staatsangehörigkeit durch Geburt im Inland (die BRD-Staatsangehörigkeit eines Elternteils [dann genügt auch Geburt im Ausland] oder) einen rechtmäßigen Aufenthalt seit mindestens fünf Jahren voraus (§ 4 Absatz 3 Satz 1 Nr. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz).
Verglichen mit Artikel 116 Absatz 1 Grundgesetz ist also Trumps Interpretation der US-Verfassung geradezu inklusiv; und verglichen mit dem BRD-Staatsangehörigkeitsgesetz etwas inklusiver (Trump: rechtmäßiger – nicht nur besuchsweise – Aufenthalt beliebiger Dauer; BRD: mindestens fünf Jahre rechtmäßiger Aufenthalt).


1 Siehe dazu unten in und bei FN 20 der .pdf-Datei.

2 Lat. obiter dicta (Plural; obiter dictum [Singular]) = nebenbei Gesagtes; Äußerungen eines Gerichts in einer Entscheidung, die über die Beantwortung der Frage, die es zu entscheiden hat, hinausgeht. Vgl. https://www.law.cornell.edu/wex/obiter_dicta und https://jurawelt.com/rechtslexikon/o/obiter-dictum-vs-ratio-decidendi-bedeutung/..

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