vonDetlef Georgia Schulze 17.03.2025

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Wohl unstrittig fanden am Wochenende mindestens zwei Abschiebe-Flüge aus den USA nach El Salvador statt, und ebenfalls unstrittig erfolgte zumindest ein Teil der Abschiebungen unter Berufung auf den Alien Enemies Act von 1798. Das Gesetz sieht für den Fall

    • eines „declared war between the United States and any foreign nation or government“

und

  • „any invasion or predatory incursion is perpetrated, attempted, or threatened against the territory of the United States by any foreign nation or government“ [*]

die Abschiebung von „all natives, citizens, denizens, or subjects of the hostile nation or government“ ab 14 Jahren vor, wobei der/die US-PräsidentIn festlegen kann, „upon what security their residence“ dennnoch erlaubt werden soll (50 USC 21).

Bericht der Washington Post

Am späten Sonntagabend US-Zeit (16.03.2025 um 22:03 Uhr Ostküsten-Sommerzeit) berichtete die Washington Post nun über einen dritten Abschiebe-Flug:

„The first two flights took off from Texas at 5:26 p.m. and 5:45 p.m. Eastern time, according to data from Flightradar24, a flight-tracking site. Just before 7 p.m. Saturday, [Richter] Boasberg told the Trump administration that any deportation flights dispatched using the authority should return to the United States. About 30 minutes later, a written order to that effect was entered on the court docket. Ten minutes after that, a third flight took off from Texas.“
(https://www.washingtonpost.com/immigration/2025/03/16/alien-enemies-act-venezuela-el-salvador-prison/; die genannte flight-tracking site: flightradar24.com)

Falls auch in dieser dritten Maschine Personen waren, die unter Berufung auf den Alien Enemies Act abgeschoben wurden, so wäre dies eine klare Zuwiderhandlung gegen die genannte Gerichtsentscheidung. Denn Boasberg, der Vorsitzende des District Court für den District of Columbia (also für die US-Hauptstadt Washington) hatte angeordnet, daß alle Abschiebungen unter Berufung auf die „Presidential Proclamation entitled ‚Invocation of the Alien Enemies Act Regarding the Invasion of The United States by Tren De Aragua'“ von Freitag, den 15. März für zwei Wochen zu unterbleiben haben.

Tren De Aragua – eine Gruppierung, die von Außenminister Rubio im Februar zu einer ausländischen terroristischen Vereinigung erklärt wurde, in Wirklichkeit aber wohl bloß eine von vielen Drogenhandels-Strukturen ist – ist der einzige aktuelle Anwendungsfall des Alien Enemies Act.

Nun ist allerdings Tren De Aragua ganz eindeutig keine „nation or government“. Vermutlich deshalb heißt es in der Trump-Erklärung von Freitag, die aber erst am Samstag veröffentlicht wurde:

„I find and declare that TdA [Tren de Aragua] is perpetrating, attempting, and threatening an invasion or predatory incursion against the territory of the United States. TdA is undertaking hostile actions and conducting irregular warfare against the territory of the United States both directly and at the direction, clandestine or otherwise, of the Maduro regime in Venezuela.“
(https://www.whitehouse.gov/presidential-actions/2025/03/invocation-of-the-alien-enemies-act-regarding-the-invasion-of-the-united-states-by-tren-de-aragua/; Hv. hinzugefügt)

Für Abschiebungen wird in der Erklärung aber nicht auf alle venezolanischen StaatsbürgerInnen mit bestimmten Ausnahmen Bezug genommen, sondern ausschließlich auf solche, die Mitglieder von TdA sind:

„Based on these findings, and by the authority vested in me by the Constitution and the laws of the United States of America, including 50 U.S.C. 21, I proclaim that all Venezuelan citizens 14 years of age or older who are members of TdA, are within the United States, and are not actually naturalized or lawful permanent residents of the United States are liable to be apprehended, restrained, secured, and removed as Alien Enemies.“
(ebd.; Hv. hinzugefügt)

Zwar bedeutet es in der Sache keinen (großen) Unterschied,

    • ob angeordnet wird, daß alle venezolanischen StaatsbürgerInnen, die nicht TdA-Mitglieder sind, dürfen bleiben

oder

  • ob angeordnet wird, daß alle TdA-Mitglieder abgeschoben werden (Was ist aber mit etwaigen TdA-Mitgliedern, die keine venezolanischen StaatsbürgerInnen sind?).

Aber die Umkehrung des im Gesetz vorgesehenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses macht deutlich, daß in Trumps Berufung auf das Gesetz der Wurm drin ist. Dazu unten genauer.

Halten wir zunächst einmal im Zusammenhang mit der gerichtlichen Entscheidung von Samstag fest:

  • Präsident Trump hat ausschließlich in Bezug auf Tren De Aragua-Mitglieder Abschiebungen unter Berufung auf den Alien Enemies Act angeordnet.
  • Der District Court hat alle Abschiebungen unter Berufung auf die „Presidential Proclamation entitled ‚Invocation of the Alien Enemies Act Regarding the Invasion of The United States by Tren De Aragua'“ für 14 Tage untersagt.
  • Fanden trotzdem noch nach der Gerichtsentscheidung Abschiebungen unter Berufung den Alien Enemies Act statt, so wäre dies (sofern TdA-Mitglieder betroffen waren) also eine klare Zuwiderhandlung gegen die gerichtliche Anordnung (oder die Abschiebungen wären sogar ohne präsidiale Anordnung erfolgt, was wohl als unwahrscheinlich angesehen werden kann).

 

Schriftsätze der Verfahrens-Beteiligten

Aber nicht nur der dritte Flug ist unter dem Gesichtspunkt der Gerichtsentscheidung problematisch, sondern auch die ersten beiden Flüge um „5:26 p.m. and 5:45 p.m. Eastern time“. Die Regierung macht zwar geltend:

„Federal Defendants further report, based on information from the Department of Homeland Security, that some gang members subject to removal under the Proclamation had already been removed from United States territory under the Proclamation before the issuance of this Court’s second order.“
(https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.dcd.278436/gov.uscourts.dcd.278436.19.0.pdf, S. 1)

Dabei datiert sie die genannte „second order“ (eine erste Anordnung ausschließlich in Bezug auf fünf Personen, die nach Regierungsangaben tatsächlich nicht abgeschoben, war bereits früher erfolgt) auf „7:26 PM EDT“ (ebd.)

„7:26 PM EDT“ ist aber erst der Zeitpunkt, zu dem die gerichtliche Anordnung auf der Website für Public Access to Court Electronic Records (PACER; vgl. Wikipedia) schriftlich veröffentlicht wurde. Die mündliche Verkündung war aber bereits eine knappe 3/4 Stunden früher (Gosh Gerstein [Politico]) – gegen 18:45 Uhr Ostküsten-Sommerzeit [Schriftsatz der KlägerInnen/AntragstellerInnen-AnwältInnen in dem Gerichtsverfahren, S. 1]). (Allerdings war auch 18:45 Uhr nach dem Start der ersten beiden Maschinen – laut Washington Post um „5:26 p.m. and 5:45 p.m. Eastern time“.)

Anders als die Regierung meint, kommt es nach Ansicht der KlägerInnen/AntragstellerInnen-AnwältInnen aber ohnehin nicht auf den Zeitpunkt des Verlassens des US-Hoheitsgebiets, sondern auf den Zeitpunkt des Übergabe der Abgeschobenen an die el slavadorianischen Behörden an:

„Whether or not the planes had cleared U.S. territory, the U.S. retained custody at least until the planes landed and the individuals were turned over to foreign governments. And the Court could not have been clearer that it was concerned with losing jurisdiction and authority to order the individuals returned if they were handed over to foreign governments, not with whether the planes had cleared U.S. territory or had even landed in another country.“
(https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.dcd.278436/gov.uscourts.dcd.278436.21.0.pdf, S. 2)

Die Landung in El Salvador war aber laut Washington Post erst nach Mitternacht:

„The first two flights took off from Texas at 5:26 p.m. and 5:45 p.m. Eastern time, according to data from Flightradar24, a flight-tracking site. […]. All three made stopovers in Honduras. The first two flights arrived in El Salvador after midnight, at 12:10 a.m. and 12:18 a.m. The third landed at 1:08 a.m. Sunday. There was no information made public about which categories of detainees were on each flight.“
(https://www.washingtonpost.com/immigration/2025/03/16/alien-enemies-act-venezuela-el-salvador-prison/)

Fragen an die Trump-Regierung

Die AnwältInnen haben daher nunmehr beantragt, daß das Gericht die Regierung verpflichtet, folgende Fragen zu beantworten:

„1) whether any flight with individuals subject to the Proclamation took off after either the Court’s written or oral Orders were issued;
2) whether any flight with individuals subject to the Proclamation landed after either the Court’s written or oral Orders were issued;
3) whether any flight with individuals subject to the Proclamation was still in the air after either the Court’s written or oral Orders were issued; and
4) whether custody of any individuals subject to the Proclamation was transferred to a foreign country after either the Court’s written or oral Orders were issued.“
(https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.dcd.278436/gov.uscourts.dcd.278436.21.0.pdf, S. 6)

Gerade (Montag, kurz vor 16 Uhr MEZ) hat das Gericht angeordnet, „that the parties shall appear in person (or by Zoom if necessary) for a hearing at 4:00 p.m. today regarding the 19 Notice and 21 Response. The Government shall be prepared to provide answers to the questions raised by Plaintiffs on page 6 of their Response.“ Rund eine viertel Stunde später wurde der Termin auf 17:00 Uhr Ostenküsten-Zeit (= 22:00 Uhr MEZ) verschoben.

[Nachtrag:

Siehe zu der mündlichen Verhandlung meinen Folge-Arikel:

USA: Streit der Institutionen „escalates“ (so die Trump-Regierung).]

Der Wurm in Trumps Erklärung zum Alien Enemies Act und Tren de Aragua

Kommen wir nun zurück zu dem Satz: „die Umkehrung des im Gesetz vorgesehenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses macht deutlich, daß in Trumps Berufung auf das Gesetz der Wurm drin ist.“

  • Es gibt zur Zeit keinen „declared war between the United States and any foreign nation or government“; es gibt nicht einmal einen erklärten Krieg zwischen den USA und Tren de Aragua (für Kriegserklärungen seitens der USA ist der Kongreß [Artikel 1 Absatz 8 der US-Verfassung]; nicht der/die PräsidentIn zuständig).
  • Es gibt auch keine „invasion or predatory incursion“, die „is perpetrated, attempted, or threatened against the territory of the United States by any foreign nation or government“. Auch seitens Tren de Aragua gibt es keine „invasion or predatory incursion“ – selbst bewaffnete Auseinandersetzung zwischen ausländischen kriminellen Vereinigungen auf US-Boden oder gelegentliche Schießereien mit der Polizei wären keine „invasion or predatory incursion“ (außer vielleicht in der aller blumigsten Metaphern-Welt).
  • Die Erklärung von Trump nennt keine Beweise für Trumps Behauptung, daß Tren de Aragua von der venezolanischen Regierung gesteuert werde.
  • Die Kategorie „members of TdA“ ist inkongurent mit der Kategorie „all natives, citizens, denizens, or subjects of the hostile nation or government“.

Trumps Erklärung ist also objektiv rechtswidrig – weitaus weniger klar ist allerdings, ob sie der gerichtlichen Kontrolle unterliegt (siehe dazu meinen gestrigen taz-Blogs-Artikel). Zu letzterer Frage hat auch der District Court am Samstag noch keine Entscheidung getroffen, sondern sich Zeit beschafft bzw. zu verschaffen versucht, um sie mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern und dann selbst zu beantworten. (Unnötig zu betonen, daß, selbst wenn es fehlerhaft sein sollte, daß sich der District Court diese Zeit beschafft hat bzw. zu verschaffen versucht hat, es der rule of law – der Herrschaft der Gesetze [die nicht mit dem deutschen Rechtsstaat verwechselt werden sollte] – nicht entspricht, daß die Regierung einfach macht, was sie für richtig hält, sondern abwartet, wie die höheren Instanzen entscheiden.)

Ein Teil des Zeitplans für das weitere Verfahren lautet:

„The Government shall file any Motion to Vacate this TRO by March 17, 2025, with Plaintiffs‘ Opposition due by March 19, 2025; and […] The hearing set for March 17, 2025, is VACATED and RESET for March 21, 2025, at 2:30 p.m.“
(https://www.courtlistener.com/docket/69741724/jgg-v-trump/?filed_after=&filed_before=&entry_gte=&entry_lte=&order_by=desc#minute-entry-419399702)

Parallel dazu findet auch bereits ein Appeals Court-Verfahren statt, für das bisher folgender Zeitplan festgelegt wurde:

„appellees file a combined response to the emergency motions for stay pending appeal [2105940-2], [2105939-2], [2105928-2], not exceeding 7,800 words, by 5:00 p.m. on Tuesday, March 18, 2025. Appellants must file any combined reply, not exceeding 3,900 words, by 5:00 p.m. on Wednesday, March 19, 2025.“
(https://www.courtlistener.com/docket/69742417/jgg-v-donald-trump/?filed_after=&filed_before=&entry_gte=&entry_lte=&order_by=desc#entry-1208720439)

Siehe auch:

Josh Gerstein / Myah Ward, White House touts deportation of alleged gang members that court ordered returned to US. The Trump administration argued Sunday that the judge didn’t have the authority to halt the flights
https://www.politico.com/news/2025/03/16/deport-support-venezuela-el-salvador-00232379 (03/16/2025 01:28 PM EDT Updated: 03/16/2025 07:19 PM EDT)

Simon Schröder, Mit Gesetz aus 1798 abschieben: Richter kippt Donald Trumps Plan
https://www.merkur.de/politik/mit-gesetz-aus-1798-abschieben-richter-kippt-donald-trumps-plan-93629113.html (17.03.2025, 06:09 Uhr)

Aus dem heutigen Schriftsatz der KlägerInnen/AntragstellerInnen:

Seite 1 und 2:

Seite 3 unten / 4 oben:

https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.dcd.278436/gov.uscourts.dcd.278436.21.0.pdf


[*] Zusätzlich ist für den Eintritt der Rechtsfolge erforderlich, daß der/die PräsidentIn eine entsprechende Erklärung abgegeben hat.

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https://blogs.taz.de/theorie-praxis/startete-am-wochenende-ein-dritter-abschiebe-flug-aus-den-usa-nach-el-salvador-nachdem-eine-dies-untersagende-gerichtsentscheidung-bereits-schriftlich-veroeffentlicht-war/

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