vonDetlef Georgia Schulze 27.07.2024

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Auf Anfrage haben die Verwaltungsgerichte Gießen und Frankfurt an der Oder jeweils ein anonymisiertes Digitalisat ihrer Durchsuchungsbeschlüsse, die im Zusammenhang mit dem Verbot der COMPACT-Magazin GmbH und der CONSPECT-Film GmbH ergingen, zur Verfügung gestellt.1 Über den Beschluß des Verwaltungsgerichts Gießen berichte ich in der Wochenend-Ausgabe der jungen Welt. Hier folgen Informationen zum Beschluß aus Frankfurter/Oder.

Als solches ist es nicht sonderlich überraschend, daß die Gerichte den Anfangsverdacht bejaht haben. Denn die Bejahung ist Voraussetzung des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses; und für jede Durchsuchung, die mit Durchsuchungsbeschluß stattfand, muß es also einen Durchsuchungsbeschluß geben, der den Anfangsverdacht bejaht. Theoretisch hätten die Verwaltungsgerichte den Anfangsverdacht auch verneinen können; aber wir wußten ja eh schon, daß Durchsuchungen stattfanden.

Außerdem sind vereinsrechtlich wie auch im Strafrecht, wo der Anfangsverdacht für die Einleitung von Ermittlungsverfahren und auch für Durchsuchungen bei Beschuldigten genügt, die Voraussetzungen für die Bejahung eines Anfangsverdachts eher gering. Im Konkreten hat keines von mir bisher angefragten Verwaltungsgerichte (bisher waren es sieben) mitgeteilt, daß es Anträge für Durchsuchungsbeschlüsse im vorliegenden Kontext abgelehnt habe.

Das Verwaltungsgericht Frankfurter/Oder beschreibt seinen Prüfungsmaßstab wie folgt: „Das zuständige Gericht ist […] mit Blick auf den damit verbundenen Grundrechtseingriff verpflichtet, die für die Verbots- und Beschlagnahmeverfügung angeführten Gründe in summarischer Form auf ihre Schlüssigkeit und Plausibilität hin zu überprüfen“. Diese „Schlüssigkeit und Plausibilität“ bejaht das Gericht in Bezug auf die beiden hier interessierenden GmbH-Verbotsverfügungen.

Die Prüfung von Anträgen auf Erlaß von Durchsuchungsbeschlüssen, nimmt also die Prüfung der Verbotsverfügung allenfalls summarisch vorweg.

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Dies u.a. deshalb, weil die Durchsuchungskompetenz auch schon vor Erlaß von Verboten besteht, um zu ermitteln, ob die Verbotsgründe gegeben sind oder nicht (§ 4 [Ermittlungen] Vereinsgesetz). Finden die Durchsuchungen zeitgleich mit der Bekanntmachung des Verbotes statt, so dienen sie u.a. dazu, zusätzliche Beweismittel zu finden.

Durch den Frankfurter (und den Gießener) Beschluß erfahren wir Amtliches über die Begründung des Bundesinnenministerium für die Verbote. Zwar haben verschiedene Medien bereits über die mutmaßlichen Verbotsgründe berichtet und an verschiedenen Stellen im Internet (unter anderem bei de.indymedia) gibt es Dateien der angeblichen Verbotsverfügung. In dem Artikel bei de.indymedia heißt es, die dortige Datei beruhe auf einer Veröffentlichung der AnwältInnen der Verbotsadressatinnen, wobei die AnwältInnen unterlassen hätten, die Namen und Adressen der rechten AkteurInnen zu schwärzen.

Das Bundesinnenministerium wollte sich auf Anfrage nicht zur Authentizität des Inhalts einer anderen (dort sind Adressen und der Name der unterzeichnenden Person geschwärzt) dieser verschiedenen Dateien äußern; auch folgende Frage blieb unbeantwortet: „Falls die Verbots-Betroffenen der Presse eine verfälschte Verbotsbegründung zur Verfügung stellen – würden Sie dann diese Verfälschungen richtigstellen? Oder wären Ihnen solche Verfälschungen egal?“

Was erfahren wir nun aus dem Frankfurter Durchsuchungsbeschluß? Der Antragsgegner des Frankfurter Beschlusses ist Elsässer höchstpersönlich, wie wir anhand seiner Beschreibung erraten können: „nach den Erkenntnissen der Verbotsbehörde Hauptgesellschafter, Geschäftsführer und Chefredakteur der erstgenannten und Gesellschafter der letztgenannten GmbH“. Örtlich ist von dem Beschluß nicht dessen Wohn- und Geschäftssitz in Falkensee (für diesen war das Verwaltungsgericht Potsdam zuständig), sondern sein Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Frankfurt/Oder betroffen.

Über die Verbotsverfügung heißt es in dem Frankfurter Beschluß in rechtlicher Hinsicht:

„Zunächst hat sich das BMI insoweit an einem zutreffenden Begriffsverständnis orientiert. Die verfassungsmäßige Ordnung umfasst weder jede einzelne Verfassungsvorschrift noch die Rechtsordnung insgesamt, sondern stimmt mit dem in Art. 18 S. 1, Art. 21 Abs. 2 GG verwendeten Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überein. Dazu gehören, wie die Verbotsbehörde mit Recht betont (Seite 11 der Verbotsverfügung), elementare Grundsätze der Verfassung, namentlich die Menschenwürde und die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, aber auch der Bestand des Staates, die Achtung der Gewaltenteilung, des Demokratieprinzips und des Gewaltmonopols des Staates.“

Sodann heißt es in tatsächlicher Hinsicht:

„Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das BMI überzeugend belegt. So hat es unter Anführung einer ganzen Anzahl von Beispielen herausgearbeitet, dass die verbotenen Organisationen die grundlegende Gleichheit von Menschen vor dem Gesetz gerade aus ethnischen Gründen nicht akzeptieren, sondern insoweit zwischen deutschen Staatsangehörigen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheiden und nur den Letzteren volle staatsbürgerliche Rechte zugestehen, die anderen Personen dagegen als Fremde stigmatisieren und ausgrenzen. Beispielhaft hat es dabei auf die Äußerung des Antragsgegners hingewiesen, der dem Bundestagsabgeordneten und Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen aufgrund ethnischer Merkmale unterstellt hat, dieser vertrete keine deutschen Interessen, sondern helfe seinen ‚Spießgesellen‘. Die Verbotsbehörde hat dabei mit Recht berücksichtigt, dass lediglich vereinzelte Entgleisungen oder ‚Ausrutscher‘ die Einordnung einer Vereinigung als gegen die Verfassung gerichtet nicht rechtfertigen können, sondern es dafür eines prägenden Charakters der entsprechenden Haltung bedarf.“

Die gerade angeführte Äußerung stehe „lediglich stellvertretend für eine Vielzahl weiterer im Verbotsbescheid ausgeführter, gleichartiger Positionen“.

Darüber hinaus wird „als subjektives Element der Handlungswille, die verfassungsmäßige Ordnung in aggressiv-kämpferischer Weise zu untergraben“ als Verbotsvoraussetzung angesehen. Dazu heißt es in dem Frankfurter Beschluß:

„Nach den Erkenntnissen der Verbotsbehörde äußerte er auf einer Spendengala der C_____ aus dem Sommer 2023: ‚Und auch noch ein wichtiger Unterschied zu den anderen Medien ist, also wir wollen einfach das Regime stürzen. Wir machen keine Zeitung, in dem wir uns hinter dem warmen Ofen oder hinter dem warmen Computer verziehen und irgendwelche Texte da wir eine Laubsägearbeit aufm Markt bringen, sondern dass Ziel ist der Sturz des Regimes. Und nur, wenn man das Ziel vor Augen hatte, kann man auch entsprechende Texte schreiben. […]‘ In einer Sendung von C_____ vom 20. Dezember 2023 erklärte er: ‚Man hat Grund, diesen Staat abzulehnen und vor diesem Staat Angst zu haben. […] Liebe Zuschauer, Sie müssen mit Ihrer oppositionellen Haltung ausgehen, an die Öffentlichkeit, so wie wir das machen, und dem Staat, seinen Schergen ins Gesicht schleudern: Wir lehnen Euch ab. Wir haben Euch nicht gewählt, und wir werden Euch jagen‘ (Wörtliche Zitate aus der Verbotsverfügung, Seite 71 bzw. 68).“

Das erste Zitat beginnt in der bei de.indymedia vorhanden Datei tatsächlich auf Seite 71 (unten), geht aber auf S. 72 oben weiter (vielleicht wurde in dem VG-Beschluß schlicht das „f.“ hinter „71“ vergessen). Das andere Zitat steht dort tatsächlich auf S. 68. Dasselbe gilt für die Datei bei anonymousnews.org (diese ist – anders als die verkleinerte indy-Datei – durchsuchbar).

Weitere amtliche Auskünfte – neben denen, die allerdings noch in dem Beschluß des Verwaltungsgerichts Gießen stehen (siehe dazu meinen junge Welt-Artikel) – über die Verbotsgründe waren auch dem Bundesinnenministerium nicht zu entlocken. Auch die folgenden Fragen, die ich nach grober Durchsicht einer der nicht-autorisierten Dateien formulierte, blieb mit pauschalem Verweis auf das noch laufende Verfahren unbeantwortet:

„1. Trifft es zu, daß Sie den beiden GmbH nicht vorwerfen, Art. 1 I GG [Menschenwürde-Garantie] in Gänze abschaffen, die Adressierung der Norm an den Staat abschaffen oder ansonsten ändern zu wollen? 2. a) Trifft es zu, daß sie den GmbH sehr wohl vorwerfen, dass in den von ihnen betriebenen Medien Äußerungen veröffentlicht wurden, die Sie als menschenwürde-verletztend ansehen? b) […]. 3. Trifft es darüber hinaus zu, dass Sie den beiden GmbH nicht vorwerfen, die Grundrechts-Artikel des Grundgesetzes, insbesondere die politischen Freiheits- und Gleichheitsrechte, und/oder die Artikel 20 [Demokratiegebot etc.], 28 [Mindestanforderungen an die Verfassung der Länder], 97 [Unabhängigkeit und Gesetzesunterworfenheit der Justiz], 101104 [Justizgrundrechte] GG abschaffen oder ändern zu wollen? 4. Trifft es zu, dass Sie den beiden GmbH nicht vorwerfen, das Grundgesetz überhaupt in Art. 79 [Verfassungsänderung] oder 146 [Verfassungsneugebung] GG verletzender Weise ändern (Art. 79 GG) oder ersetzen (Art. 146 GG) zu wollen? 5. Was werfen Sie den beiden GmbH vor – außer menschenwürde-verletzende Äußerungen in den von den beiden GmbH betriebenen Medien?“

Dank des Frankfurter Beschlusses wissen wir jetzt aber immerhin, daß sich das Innenministerium – außer auf Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz (Menschenwürde-Garantie) auch auf Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz (Gleichheit vor dem Gesetz) beruft.

Außerdem teilte das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder mit: „Gegen den Beschluss wurde bisher kein Rechtsmittel eingelegt.“

Dagegen wurde gegen den Durchsuchungsbeschluß des Verwaltungsgerichts Dresden Beschwerde eingelegt – allerdings „von Dritten, bisher am Verfahren nicht beteiligten Personen“. Meine Frage, „von Drittbetroffenen der Maßnahmen? Oder von Personen ohne Rechtsschutzinteresse?“, wurde wie folgt beantwortet: Dies sei eine Frage der rechtlichen Bewertung, mit der sich nun das für die Beschwerde zuständige sächsische Oberverwaltungsgericht beschäftigen müsse. Das Verwaltungsgericht hätte der Beschwerde selbst abhelfen dürfen, hat es aber (ohne Begründung) nicht getan, sondern die Beschwerde sogleich zum Oberverwaltungsgericht weitergereicht. Meine gestern (Freitagnachmittag) an letztgenanntes Gericht gerichtete Anfrage ist noch nicht beantwortet.

Von den Verwaltungsgerichten in Kassel, Halle und Magdeburg stehen inhaltliche Antworten noch aus; das Verwaltungsgericht Potsdam hat bereits zweimal (am Mittwoch und am Freitag noch mal) geantwortet, mochte seinen Beschluß aber verständlicherweise (noch) nicht herausgegeben, weil das Gericht immer noch nicht alle Zustellungsbelege zurückerhalten hat. Beschwerde gegen den Potsdamer Beschluß wurde weiterhin nicht eingelegt.


1 In Sachsen war das Verwaltungsgericht Dresden zuständig (inzwischen das ist sächsische Oberverwaltungsgericht mit einer Beschwerde dagegen befaßt; siehe am Ende) und in Sachsen-Anhalt waren die Verwaltungsgerichte Halle und Magdeburg sowie in Hessen – neben Gießen – das Verwaltungsgericht Kassel; in Brandenburg – neben Frankfurt an der Oder – das Verwaltungsgericht Potsdam zuständig.

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