Der Tagesspiegel bringt ausführlich eine AfP-Meldung zur gestrigen Entscheidung des District Court Maryland im Fall Abrego Garcia (siehe meinen ersten Artikel vom heutigen Tage), die auch andere Medien (tagesschau, Deutschlandfunk) kürzer veröffentlicht haben.
„US-Justiz verstärkt Druck auf Regierung“ – „Die Justiz“, ein Kollektivsubjekt das nicht existiert
In der Tagesspiegel-Variante lautet der erste Satz der Meldung: „Im Rechtsstreit um die Massenabschiebung von Migranten aus den USA hat die Justiz den Druck auf die Regierung von Präsident Donald Trump verstärkt“; entsprechend lauten die Überschriften bei der tagesschau (Abgeschobener Migrant: US-Justiz verstärkt Druck auf Regierung) und beim Deutschlandfunk (Justiz verstärkt Druck auf Trump-Regierung im Fall von abgeschobenem Migranten).
„Die Justiz“ trifft aber nicht in der Weise Entscheidungen, wie Parlamente und Regierungen Entscheidungen treffen; von „der Regierung“ und „dem Parlament“ kann in Bezug auf bestimmte Staaten anders (wenn auch im Falle von Bundesstaaten mit gewissen Komplikationen) gesprochen werden als von „der Justiz“ des jeweiligen Staates.
Es sind immer konkrete Gerichte, die bestimmte Fälle entscheiden; niemals entscheidet „die Justiz“ konkrete Fälle. Und die Gerichte bestehen aus RichterInnen mit diesen und jenen theoretisch-methodologischen Überzeugungen und politischen Meinungen, die ihrer jeweiligen Entscheidungen mehr oder minder beeinflußen.
Und oft sind es bestimmte Spruchkörper (Teile; in deutscher Terminologie: EinzelrichterInnen, Kammern, Senate, …) von Gerichten, die im Namen des ganzen Gerichts entscheiden.
Im Fall Albrego Garcia war es gestern eine Einzelrichterin am District Court Maryland, die entschieden hat. District Courts sind die unterste Instanz des dreistufigen Bundes-Gerichtssystems der USA. Und bei der Einzelrichterin handelt es sich um eine Richterin, die 2015 vom damaligen (demokratischen) Präsidenten Obama nominiert worden war und die gegen die Regierung des jetzigen Präsidenten Trump entschieden hat.
Es gibt es auch jede Menge von republikanischen Präsidenten (einschließlich Trump selbst) nominierte RichterInnen. Aber es entscheiden aktuell nicht alle von demokratischen Präsidenten nominierten RichterInnen immer gegen die Trump-Regierung, und auch die Trump-nominierten RichterInnen entscheiden nicht immer – wenn auch häufig – für die Trump-Regierung (vgl. meine Artikel vom 31.03.2025 und 09.04. [Abschnitt 3.]).
„Die Justiz“ ist also – zumal heute in den USA – ein Kollektivsubjekt, das nicht existiert; eine Entscheidung einer District Court-Einzelrichterin zu „die Justiz“ aufzublasen, erzeugt bestenfalls Illusionen über die Eindeutigkeit dessen, was in Wirklichkeit eine Gemengelage ist.
„wäre dies ein wichtiger Erfolg der Justiz gegenüber der Trump-Regierung“
Im nächsten Absatz des Tagesspiegel-Artikels erfahren wir dann auch aus der AfP-Meldung, daß eine Einzelrichterin entschieden hat – in Gänze lautet der Absatz:
„Eine Richterin im US-Bundesstaat Maryland ordnete am Dienstag mehrere Anhörungen im Fall eines irrtümlich nach El Salvador abgeschobenen und dort inhaftierten salvadorianischen Einwanderers an. Dabei solle geklärt werden, ob Regierungsvertreter gerichtlichen Anordnungen womöglich zuwider gehandelt haben. Sollte dies der Fall sein, wäre dies ein wichtiger Erfolg der Justiz gegenüber der Trump-Regierung.“
Die Satz 2 und 3 des gerade angeführten Zitates sind aber nicht nur juristisch, sondern auch sprachlich konfus:
Wieso wäre es bitte sehr „ein wichtiger Erfolg der Justiz gegenüber der Trump-Regierung“, wenn „die Justiz“ eine Einzelrichterin feststellt, daß die Regierung deren [der Justiz der Richterin] „Anordnungen […] zuwider gehandelt“ hat. Das wäre doch eher eine Niederlage oder ein Scheitern „der Justiz“.
Ein Schuh würde allenfalls daraus, wenn zusätzlich gesagt würde, daß die Feststellung, daß die Trump-Regierung bestimmten „gerichtlichen Anordnungen […] zuwider gehandelt“ hat, bestimmte Konsequenzen haben kann. Nur wird dies weder in der Tagesspiegel-, noch in der tagesschau– noch in Deutschlandfunk-Variante der AfP-Meldung gesagt. Und außerdem ist die Frage, ob sich die Trump-Regierung von diesen Konsequenzen dann beeindrucken läßt.
Gerade diejenigen, die den USA den Rechtsstaat die rule of law [**] aktuell in Gefahr sehen, und es (aber) gleichzeitig mit dem Juristischen nicht so genau nehmen, müßten sich doch zumindest mal mit der politikwissenschaftlichen – um nicht zu sagen: historisch-materialistischen – Frage nach dem Kräfteverhältnis zwischen Exekutive und Judiktative beschäftigen – also die Frage stellen, welche „Gewalt“ im „Ernstfall“ mehr Gewalt hat.
„Der Oberste Gerichtshof der USA wies die Regierung an, sich für seine Freilassung aus dem Gefängnis in El Salvador und für seine Rückkehr in die USA einzusetzen.“
Auch das in der Zwischenüberschrift Zitierte ist ungenau. Der US-Supreme Court hat vielmehr gesagt:
„The order [die order des District Court] properly requires the Government to ‚facilitate‘ Abrego Garcia’s release from custody in El Salvador and to ensure that his case is handled as it would have been had he not been improperly sent to El Salvador. The intended scope of the term ‚effectuate‘ in the District Court’s order is, however, unclear, and may exceed the District Court’s authority.“
(https://www.supremecourt.gov/opinions/24pdf/24a949_lkhn.pdf, S. 2)
Damit wissen wir jetzt auch (oder können es zumindest ahnen), worum sich Streit vor dem District Court Maryland aktuell dreht: Um den Unterschied zwischen der möglichen Maximalbedeutung des englischen Wortes „effectuate“ und der – nach Supreme Court-Ansicht – unproblematischen Bedeutung des englischen Wortes „facilitate“.
Die Trump-Regierung argumentiert nämlich, facilitate habe sie die Rückkehr von Albrego Gracias durchaus; nur effectuate habe sie sie nicht – und müsse sie sie nach der Supreme Court-Entscheidung auch nicht (siehe noch einmal meinen ersten Artikel vom heutigen Tage).
Damit unterschlägt die Trump-Regierung allerdings zweierlei:
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Erstens, daß der Supreme Court auch für proper (richtig) erklärt hat, daß der District Court die Trump-Regierung verpflichtet hat, „to ensure that his case is handled as it would have been had he not been improperly sent to El Salvador“.
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Und zweitens, daß es in der Supreme Court-Entscheidung außerdem heißt:
„The application is granted in part and denied in part, subject to the direction of this order. Due to the administrative stay issued by THE CHIEF JUSTICE, the deadline imposed by the District Court has now passed. To that extent, the Government’s emergency application is effectively granted in part and the deadline in the challenged order is no longer effective. The rest of the District Court’s order remains in effect but requires clarification on remand.“
(https://www.supremecourt.gov/opinions/24pdf/24a949_lkhn.pdf, S. 2; Hv. hinzugefügt)
Das heißt: Im Gegensatz zu dem, was die Trump-Regierung suggeriert, hat der Supreme Court die District Court-Entscheidung nicht insoweit aufgehoben, als es das vom Supreme Court als problematische angesehene Wort „effectuate“ betrifft. Vielmehr hat der Supreme Court dem District Court bloß aufgegeben die von ihm gemeinte Bedeutung des Wortes klarzustellen.
Der District Court hatte auch tatsächlich in der vergangenen Woche gleich nach der Supreme Court-Entscheidung klargestellt, was er meinte (und dabei seinerseits das umstrittene Wort fallenlassen):
„the Court hereby amends the Order to DIRECT that Defendants take all available steps to facilitate the return of Abrego Garcia to the United States as soon as possible.“
(https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.mdd.578815/gov.uscourts.mdd.578815.51.0.pdf, S. 1)
Wie bereits am Freitag der vergangenen Woche erläutert, wurde also – im Gegenzug zum Wegfall des Wortes „effectuate“ das Erleichtern schärfer gefaßt: „take all available steps to facilitate the return“ (Hv. hinzugefügt). (Daß der District Court von der US-Regierung nichts verlangen kann, was ihr nicht möglich ist, hatten auch die AnwältInnen des Betroffenen akzeptiert3, und argumentiert, sollte es Regierung nicht möglich sein, die Rückkehr des Betroffenen zu bewirken, dann solle sie gegenüber dem District Court die Gründe darlegen, warum ihr das angeblich nicht möglich ist4.) [Nachtrag von Mi., d. 16.04.25, 23:13 Uhr: Inzwischen hat die Regierung angekündigt, gegen die Entscheidung des District Court vom 10.04. – d.h.: kurz nach der Supreme Court-Entscheidung – Rechtsmittel einzulegen.]
„Bei der Anhörung am Dienstag sagte Richterin Paula Xinis, sie habe seitens der US-Regierung keine Beweise dafür festgestellt, dass der nach El Salvador abgeschobene Kilmar Ábrego García ein Bandenmitglied sei.“
Außerdem berichtet AfP – insoweit zutreffend -:
„Bei der Anhörung am Dienstag sagte Richterin Paula Xinis, sie habe seitens der US-Regierung keine Beweise dafür festgestellt, dass der nach El Salvador abgeschobene Kilmar Ábrego García ein Bandenmitglied sei. ‚Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem, was Sie sagen, und dem Stand der Dinge in diesem Fall‘, sagte Xinis an die US-Regierung gewandt.“
Aber warum ist das überhaupt wichtig? Der Vorwurf der Bandenmitgliedschaft ist ja nicht neu, sondern wurde schon 2019 erhoben (und von einer Immigration Judge durchaus als von Beweisen gestützt angesehen [***] [aber das paßt nicht zur homogenen Rede über „die Justiz“ und wird <deshlab?> in der AfP-Meldung nicht erwähnt]) – und der Abschiebeschutz (speziell in Bezug auf El Salvador als Zielland) wurde trotz des Vorwurfes gewährt.
Deshalb, weil die Trump-Regierung zwar (zunächst) zugegeben hatte, daß die Abschiebung Abrego Garcias nach El Salvador ein „administrative error“ war (Declaration of Robert L. Cerna, Acting Field Office Director Enforcement and Removal Operations at U.S. Immigration and Customs Enforcement, S. 3), aber inzwischen behauptet oder zumindest suggeriert, der Abschiebeschutz sei dadurch hinfällig geworden, daß Außenminister Rubio die fragliche gang (MS-13) im Februar – neben anderen Gruppierung – zu eine ausländischen terrortistischen Vereinigung erklärte (https://public-inspection.federalregister.gov/2025-02873.pdf, S. 1):
„I […] understand that Abrego Garcia is no longer eligible for withholding of removal because of his membership in MS-13 which is now a designated foreign terrorist organization“
(DECLARATION OF EVAN C. KATZ, Assistant Director for the Removal Division, within the Department of Homeland Security, U.S. Immigration and Customs Enforcement (ICE) Enforcement and Removal Operations (ERO); https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.mdd.578815/gov.uscourts.mdd.578815.64.0_1.pdf, S. 2 f.)
„höchst umstrittenen politischen Agenda“
Des weiteren heißt es in der Tagesspiegel-Variante der hier diskutierten AfP-Meldung:
„Der Fall [Abrego Garcia] hatte zuletzt zunehmend für Aufsehen gesorgt. Er warf zudem erneut die Frage auf, inwieweit die Trump-Regierung bereit ist, sich bei der Umsetzung ihrer Politik über richterliche Anordnungen hinwegzusetzen. Trump nimmt umfassende Machtbefugnisse für sich und seine Regierung in Anspruch und will nicht hinnehmen, dass Bundesrichter Teile seiner höchst umstrittenen politischen Agenda blockieren.“
Daran ist zumindest nichts unzutreffend; und ungenau ist es nur insofern, als die entscheidenden Fragen fehlen (geschweige denn, daß sie beantwortet würden): Wofür sind die Gerichte tatsächlich zuständig? Und wofür ist die Regierung tatsächlich zuständig?
Diese Fragen sind nämlich durch die Wörter „umfassend“ und „umstrittenen politischen Agenda“ noch nicht beantwortet. Klar sollte zumindest zweierlei sein:
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Die Regierungskompetenzen sind nach der US-Verfassung nicht allumfassend.
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Und die Gerichte sind nicht für politische Richtigkeits-Kontrolle, sondern für die Legalitätskontrolle zuständig.
Und noch ein drittes sollte klar sein:
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Der „Druck auf Trump-Regierung“ wäre stärker, würde er nicht vor allem vor und durch Gerichte ausgeübt, sondern mehr auf der Straße stattfinden.
Und warum schreibe ich trotzdem soviel und so detailliert über die juristischen Auseinandersetzungen in den USA?
Weil,
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zwar letztlich auf der Straße entschieden wird, ob die rule of law faktisch abgeschafft wird („die Justiz“ ist eine weitgehend unbewaffnete Prophetin),
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aber die analytische Frage, ob die rule of law abgeschafft wird (oder sich vielmehr alles in deren Rahmen abspielt) eine juristische Frage ist, die sich nicht beantwortet läßt, ohne zur Kenntnis zu nehmen und zu analysieren, welche Argumente beiden Seiten vorbringen.
[*] Siehe bereits:
Ungenauigkeiten und Nuancen der Berichterstattung zur Dellinger-Entscheidung des US-Supreme Court. Hat der Supreme Court Präsident Trump etwas untersagt, oder ist er einer Entscheidung über einen Antrag Trumps ausgewichen?
https://blogs.taz.de/theorie-praxis/ungenauigkeiten-und-nuancen-der-berichterstattung-zur-dellinger-entscheidung-des-us-supreme-court/ (vom 22.02.2025)
PS.: Richtigstellung zu Meldungen im Standard und im Tagesspiegel
in meinem Artikel
Die Statusbericht Nr. 2 und 3 schließen die Lücken des ersten NICHT: „no updates … beyond what was provided yesterday“.
https://blogs.taz.de/theorie-praxis/trump-regierung-legt-wenig-glaubwuerdigen-und-lueckenhaften-statusbericht-vor-albrego-garcia-sei-detained-pursuant-to-the-sovereign-domestic-authority-of-el-salvador/ (vom 13.04.2025)
[**] Zum Unterschied zwischen beiden siehe:
Die USA unter Trump und Musk (Teil 1). Genus proximum et differentia specifica – Faschismus, rule of law und Rechtsstaat
https://www.untergrund-blättle.ch/politik/theorie/genus-proximum-et-differentia-specifica-faschismus-rule-of-law-und-rechtsstaat-teil-i-008909.html (vom 13.02.2025).
[***] Die USA unter Trump und Musk (Teil 4). Rechtspopulismus in den USA und der BRD
https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/die-usa-unter-trump-und-musk-teil-4-rechtspopulismus-in-den-usa-und-der-brd-008929.html (siehe insb. den Schlußsatz vor den Hinweisen „Zum Weiterlesen“ und den ganzen letzten Abschnitt „Ist Trump ein Schmittianer?“).
[****] „The Court first reasoned that the Respondent failed to meet his burden of demonstrating that his release from custody would not pose a danger to others, as the evidence shows that he is a verified member of MS-13.“ (https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.mdd.578815/gov.uscourts.mdd.578815.11.1_2.pdf, S. 2)
Siehe zur Dürftigkeit dieser evidence:
Roger Parloff, Abrego Garcia and MS-13: What Do We Know?
https://www.lawfaremedia.org/article/abrego-garcia-and-ms-13–what-do-we-know