vonutopiensucht 17.02.2021

Utopiensucht

Alltagsbanalität trifft auf sprachliche Vielfalt. Und wie Achtsamkeit der Gegenwart die Socken auszieht.

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Also, es ist irgendwie einsam geworden. Was können wir da noch machen?

Da gibt’s z.B. Hügel im Park zu Schneezeiten, wo mensch mit einfachsten Gerätschaften mal eben so runtersausen kann im alltäglichen Alltag. Und wenn du dich besonders lustig auf die Fresse legt, kriegst du vielleicht sogar noch von dem nett lachenden Menschen am Rand deine Rutschgerätschaft zurückgegeben und kannst lachend „Danke“ sagen, als wäre die ganze Welt gerade einfach nur lustig.

Jetzt mal abgesehen von Schneechaos auf den Autobahnen. Ist kacke, aber beweist ja vor allem: Es gibt zu viel Verkehr.

Und auch beim Winterspaß scheißt so mancher auf Abstand. Ich war mit Maske auf der Piste. Die war auch krass feucht gehechelt nach einer Stunde, aber es machte so krass Spaß – komm, noch eine Runde mit dem Brett die Piste runter!

Und so paar Macker meiner Generation so: Nehmen sich erstmal eine Absperr-Wand und fegen damit kreischend die Piste runter – rückwärts so auf einander liegend. LOL.

Ich persönlich hab irgendwie nur mit Kindern geredet, die sich für mein Skateboard ohne Achsen als Schlittenersatz interessiert haben. Und so ein Junge wollte das dann selber probieren – stehend. Ich hab ihm davon abgeraten und er war voll beleidigt und hat nix mehr gesagt.

Ist ihm sein dicker Schlitten nicht genug? War ich ein Spielverderber? Naja, wir hätten ja schon von mir aus tauschen können. Ich hätte ganz wie früher mit Anlauf mich bauchlinks auf den Schlitten die Piste runtergeschmissen! Wuhuu, für Sparta!

Aber ich wollte ihm Versagen und Enttäuschung ersparen, und hab ihn halt gewarnt, wie schwierig das sei. Er hätte sich eh hingelegt. Ich skate seit über 13 Jahren und fand das selber echt grenzwertig. Aber echt geil, weil es ja doch geklappt hat. Die anderen Kids – und Muttis – haben echt nett gelächelt und gestaunt.

Allein-Action im Winterwunderland. Die Piste ist schon ziemlich matschig. Es wird wieder wärmer. Und um mich etwas weniger allein zu fühlen, hab ich dabei den lustigsten Podcast ever gehört: „Da muss man dabei gewesen sein“ vom BLOND-Kollektiv.

Und da sag nochmal der nächstbeste Macho von nebenan, dass Frauen nicht lustig wären.

Vor allem die Stimme der einen der beiden hat mir metaphorisch den Frontallappen abgeleckt – oder vielleicht sogar wortwörtlich. Eigentlich hören sich die beiden Schwestern fast gleich an. Fast. Aber die eine hat mich doch so krass an eine Bekannte erinnert. Und hat bekloppte, wunderschön nachvollziehbare Geschichten erzählt – und dabei Wörter ins Mikro gehaucht, die ich so gern auch real ins Ohr geflüstert bekommen hätte… Gänsehaut wie’n Schwan.

Jetzt will ich auch einen Podcast machen.

Von welchem halbwegs hellen „Ich-bin-doch-kein-Hipster“-Hipster aus meiner Generation hab ich das bitte noch nicht gehört? Jeder will einen Podcast machen, aber wer soll eigentlich das ganze Geschwätz sich anhören, das im Netz sich schier exponentiell ausbreitet wie ein… Wer jetzt an Viren denkt, liest diesen Text in Zeiten einer Pandemie.

Wie auch immer. Punkt ist: Schöne Stimmen sind meine neueste Entdeckung für persönliche Selbstheilung. Erzählungen brauchen auch gute Erzählende.

Bilder sind halt irgendwann ausgelutscht. Die ganze Welt so visuell, jeder Abend vorm Bildschirm. In die Augen kann dir keiner flüstern, erst recht nicht, wenn Nähe gerad verpönt ist. Was ich als nicht-gewählter und nicht-repräsentativer Vertreter der zusammenhangslosen Generation Millennials dazu mal sagen muss: Kontakt-Restriktionen sind echt scheiße.

Nicht, dass jeder junge Mensch ständig von Haut und ins Ohr flüstern umringt war, aber halt manchmal, und manchmal fast. Und das fast war sogar fast das Beste – die große Idee der Möglichkeit. Und jetzt fehlt einfach die Perspektive. Jetzt guckst du vielversprechend in die Ferne.

Ich will hier nicht gegen konkrete Maßnahmen wettern. Ich will mich nur mal kurz auskotzen. Die gute Miene und das Durchhaltevermögen, dass wir jungen Menschen, denen eine immer besser werdende Zukunft in Sicherheit und Wohlstand von der veralteten Neoliberalität von klein auf versprochen wurde, war höchstens mal fast echt und ist jetzt aber sowas von weg.

Jetzt ist Zukunft eben doppelt so unsicher und gefährdet, wie sie es nur mit Klimakrise eh schon wäre. Aber gegen die Verantwortlichen der Klimakrise durften wir ja wenigstens noch demonstrieren. Wie mir das fehlt!

Und deswegen fühlt sich heute schon nach wundervoller Gemeinschaft an. Alleine neben wildfremden Idioten (wie mir) Pisten runter zu rasen. Erwartungen werden drastisch heruntergeschraubt oder besser gesagt: den Zeiten angepasst.

Ich lese gerad ja „Der Baader-Meinhof-Komplex“ von Stefan Aust (Goldmann Verlag, 2008) und bin gerad beim Prozess, wo sich regelmäßig, und teilweise durchaus angebracht, über den patriarchalen, faschistisch agierenden Papa Staat aufgeregt wird. Ich persönlich finde ja, dass Meinhof, Baader und Ensslin ein bisschen übertrieben haben. Ein bisschen halt. Die dortigen wie auch heutigen Vergleiche zum Nazi-Staat waren und sind atheistische Blasphemie.

Trotzdem darf auch die heutige, hoffentlich reflektiert agierende, gesellschaftliche Linke, sowie der restliche politische Matschhaufen inkl. Regierung, nicht vergessen, dass nicht jedes Mittel den Zweck rechtfertigt. Und das gerade auch im Hinblick auf lange Sicht da in den Hinter- sowie Vorderköpfen der Menschen sich zwangsläufig immer mehr aufstaut.

Bei manchen ist das Schlagwort Sehnsucht – bei manchen ist es Freiheit, Stress, bei manchen ist es Zukunftsangst.

Stichwort Perspektive:

Ich hoffe, die jungen Leute mit Hirn verspüren aber die Sehnsucht nach guter, alter „Normalität“ nicht zu dolle. Ein gefühlter Teil davon, Sehnsucht nach Leuten, ist meiner Meinung nach aber durchaus legitim/natürlich. Der Raubbau an der Natur und der allgemein akzeptierte Egozentrismus können ja weg. Aber ich will mich nicht auf Dauer daran gewöhnen, niemanden mehr sehen zu dürfen. Und hören zu dürfen, von ganz nah dran.

Flüstere mir sanft ins Ohr, Podcast-Stimme. Und bring mich mal wieder auf andere Gedanken.

Der Frühling ist nicht mehr weit…

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