vondie verantwortlichen 28.02.2021

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

Mehr über diesen Blog

Es ist schon fast 20 Jahre her, da hat mich eine freundliche Fahrradfahrerin beim Verbieten erwischt. Ich war mit meiner Tochter unterwegs zum Kinderladen, sie war damals vier, und hatte einen Schritt auf die befahrene Straße gemacht. Ich war ein paar Meter entfernt, deshalb habe ich angefangen zu schreien, dass sie stehenbleiben muss.

„Wer schreit, hat Unrecht“, bemerkte die Dame im Vorüberfahren, und das habe ich mir gemerkt. Weil es meistens stimmt. Man hört in der Öffentlichkeit auch kaum noch Menschen, die ihre Kinder anschreien, die meisten befinden sich in einem dauernden Verständigungsprozess mit ihnen, der ohne laute Worte auskommt – ein wirklicher Fortschritt.

Die Verbote sind deshalb nicht weniger glashart, eher im Gegenteil. Kinder kennen sie nur früher und haben sie besser internalisiert. Die Straße – absolutes Tabu. Die Straße gehört den Autos. Bei rot über die Fußgängerampel – ausgeschlossen. Kinder im Straßenverkehr, das ist kein Spaß, da geht es auch nicht um Training, das ist harte Dressur.

Freiheit für AutofahrerInnen ist deshalb ein anderes Wort für Verbote, die FußgängerInnen und RadfahrerInnen treffen. Und umgekehrt: Verbote für AutofahrerInnen verschaffen FußgängerInnen und RadfahrerInnen Freiheit. Es geht also nicht um „Verbotspolitik“, es geht um Interessen. Oder anders gesagt: Wer „Verbotspolitik“ schreit, möchte vermeiden, dass über bestimmte Interessen gesprochen wird.

Ein Drittel der deutschen Bevölkerung leidet unter Lärm, die meisten unter Straßenlärm. Ihnen fehlt es an der Freiheit, die eigenen Fenster zu öffnen. Weil andere die Freiheit haben, mit ihren Autos vorbei zu brausen, möglichst schnell natürlich. Und dabei die Luft mit Feinstaub und CO2 voll zu blasen, davon war noch nicht die Rede, obwohl das nicht nur die Lebenserwartung der Betroffenen, sondern auch die Freiheit der Menschen dieser Welt einschränkt, den Planeten in Zukunft zu bewohnen. Verbote würden jene treffen, die mit ihrem Auto und dem dafür notwendigen Treibstoff das Recht gekauft haben, nicht nur die eigene, sondern auch die Umwelt aller anderen zu belasten. Es gibt viele Gründe, über Interessen nicht zu reden.

Oder sprechen wir übers Bauen. Da ist ohnehin fast alles verboten, und wer einmal eine historische Stadt wie Dubrovnik oder Florenz besucht (und bewundert) hat, hätte sich davon mit eigenen Augen überzeugen können, dass hier keiner gebaut hat, wie er will. Um nicht von, sagen wir,  Oberammergau zu reden. Dort in den bayerischen Dörfern müssen alle Häuser schräge Dächer haben und möglichst auch noch holzgeschnitzte Balkone. Alles andere ist verboten, seit vielen Jahrzehnten, lange bevor an die Grünen auch nur zu denken war. Es ist deshalb sehr viel wahrscheinlicher, dass ein Einfamilienhaus in Hamburg Nord genehmigt wird als ein fünfgeschossiges Wohnhaus mit Flachdach in Oberammergau. Oder sonstwo in Oberbayern. Man kann darüber streiten, ob das schön ist, aber so ist es nun mal, wenn die Leute am Verbieten sind.

„Verbotspolitik“ ist eine sinnlose Wortkombination, ein weißer Schimmel. Schließlich ist Politik mit Gesetzen und sonstigen Regulierungen befasst, dafür ist sie da, d. h. ihre Welt besteht zum großen Teil aus Verboten und Geboten. Das heißt natürlich nicht, dass solche sinnfreien Formulierungen nicht politisch wirksam sind. Schließlich lebt Politik davon, dass manche Interessen angedeutet und andere verborgen werden. Politische Sprache strebt in aller Regel auch nicht nach Wahrheit oder Sinnhaftigkeit, ihr Ziel ist die Mobilisierung der eigenen Klientel. Aktuell nutzt sie dafür sogar Verbote, die niemand gefordert hat. Aber es könnte sie ja jemand fordern, zuzutrauen wär´s ihnen, den Grünen.

Aus ökologischer Sicht könnte es trotzdem sinnvoll sein, öfter das Verbieten zu verbieten. Anfangen könnte man beim Straßenverkehr. Der wird heutzutage mit einem krassen Verbotssystem mühsam am Laufen gehalten. Stattdessen also, in Zukunft: Der Staat hält sich raus. Freiheit für freie Bürger*innen. Es gäbe dann keine roten Ampeln und Verkehrsschilder mehr. Der Autoverkehr würde in den Großstädten morgens und abends zum Erliegen kommen. Es würde still auf den Ausfallstraßen. Und zu den anderen Tageszeiten ginge es sehr viel langsamer voran. Achtsamkeit wäre das Gebot der Stunde, vorsichtiges Hineintasten in den Kreuzungsbereich, damit man irgendwann auf die andere Seite gelangt. Klar, gelegentlich ließe ein Wichtigtuer, dem Beulen am Blech egal sind, seinen Motor aufheulen. Aber weit käme er damit nicht. Andere ließen die Karre gleich stehen. Zwar hätten es auch die Busse schwer. Aber dennoch, was für ein Gewinn für FußgängerInnen und FahrradfahrerInnen!

Freie Fahrt für freie Bürger*innen. Eigentlich ein grüner Wahlslogan. Vermutlich trauen sie sich wieder nicht.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/verantwortliche/was-man-noch-alles-verbieten-sollte/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert