vonErnst Volland 25.08.2006

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Die kleine Aufmerksamkeit

 

Der Fotograf ist einer der bedeutendsten russischen Fotografen,

einige seiner Bilder sind weltbekannt und in jedem Schulbuch

zu finden

Er sitzt in der Küche. Vor ihm steht ein Flasche Wodka,

daneben liegen ein Scheibe Brot und etwas Käse.

„Wann fahren wir nach Hamburg?“

Der Fotograf hat diese Frage schon mehrmals gestellt. Zwischen den Beinen

hält er einen Stock, den er zum Gehen braucht. Die obere Hälfte

seines Gesichts bedeckt eine große Brille mit dicken Gläsern,

ein Modell, das schon lange ausgelaufen ist und an

die ersten Jahre nach dem Krieg erinnert.

Vor drei Tagen landete der Fotograf aus Moskau auf dem Flughafen Tegel.

Er hält sich gern in Berlin auf. Die Einzimmerwohnung am Stadtrand

von Moskau im 6. Stock und seine körperliche Unbeweglichkeit

schränken seinen Radius ein.

Die Aufmerksamkeit, die sein Werk zum Ende des Lebens

im Westen bekommt und mit Ausstellungen in verschiedenen Städten und

Ländern verbunden ist, die er noch persönlich eröffnen kann,

machen ihn auf eine neue Weise wieder mobil.

Die erste Anlaufstation ist immer Berlin.

Der Verlag Gruner und Jahr hat mit dem Magazin „Stern“

eine Ausstellung des Fotografen in den hauseigenen Galerieräumen

in Hamburg eingerichtet. In zwei Stunden soll der

Zug nach Hamburg vom Bahnhof Zoo abfahren und am selben Abend die

Vernissage der Ausstellung stattfinden.

Der Fotograf ist etwas nervös. Er ist reisefertig, hat seine russische Mütze

schon auf dem Kopf, die Aktentasche mit den notwendigsten

Utensilien für eine Nacht neben sich.

„Jewgeni, der Stern war am Telefon, sie fragen mich, was du als Gastgeschenk

möchtest.“

„Sag ihnen eine Leica, eine M6, wenn möglich.“

Ich rufe den Stern an und erfahre, dass so ein teueres Geschenk

nicht erwartet wurde, aber man werde sich etwas einfallen lassen.

Der Zug kommt pünktlich in Hamburg an, wir steigen in ein Taxi.

Das neue Gebäude des Verlages liegt am Hafen und hat

die Form eines Schiffes. Eine freundliche Dame, die für die Galerie

zuständig ist, begrüßt uns  und zeigt die sehr gut

gehängte Präsentation der Fotos.

Der Fotograf kann nur sehr langsam gehen. In aller Ruhe wandert er

die Rahmen ab. Wegen seiner Kurzsichtigkeit bleibt er kurz

vor jedem Bild stehen und nähert sich dem Rahmen bis auf wenige

Zentimeter. Die kuriose Brille scheint nicht  für seine Augen

bestimmt zu sein.

„Sie möchten bitte zum 8. Stock in die Chefetage fahren,

dort erwartet Sie der Chefredakteur und der Verlagschef.“

Die freundliche Dame hebt bei diesen Worten ihren Arm und

zeigt in die Richtung in der sich der Fahrstuhl befinden könnte.

Sie nimmt mich etwas zur Seite und flüstert.

„Es tut mir leid mit der Leica, aber die war dem Verlag dann doch zu teuer.“

„Bitte sagen sie den  Herren, dass der Fotograf

schwer gehbehindert ist. Vielleicht könnten die Herren bitte

herunter kommen,“

 „Ich werde es versuchen.“

Nach zehn Minuten begrüßen drei in dunklen Anzügen gekleidete Herren

aus der Chefetage den Fotografen.

„Das sind ja tolle Bilder, wir wussten ja gar nicht, dass Sie der

Fotograf mit dem berühmten Reichtagsfoto sind.“

Zwei der Herren haken spontan den Fotografen links und

rechts am Arm unter und schieben ihn durch die Ausstellung.

„Sie haben ja auch in Potsdam fotografiert, hier Stalin mit Churchill, toll.

Und hier Göring in Nürnberg. Ein tolles Foto. Das sind ja einmalige

Dokumente, Jewgeni, das müssen wir doch auch veröffentlichen.“

Ich schalte mich in das Gespräch ein und sage ihnen, dass die

Geschichte des Fotografen in einer langen Strecke von

zehn Seiten im Stern in einigen Monaten geplant ist,

jedenfalls ist die Sache besprochen und in Vorbereitung.

Inzwischen hat sich der Festredner des Abends, ein führender

General der Bundeswehr, angeschlossen, der

sich besondere Verdienste bei der Abwicklung

der NVA, der nationalen Volksarmee der DDR, erworben hat.

Nach kurzem Vorstellen wandert die kleine Gruppe weiter

durch die Ausstellung.

„Das ist gut, gut dass wir die Fotos im Stern veröffentlichen.

Was können wir denn noch für Sie tun, Jewgeni, wir freuen uns,

Sie hier zu haben. Ist das denn mit dem Gastgeschenk

geklärt für Jewgeni?“

Der Fotograf hört das Wort Gastgeschenk, bleibt stehen und wartet.

Alle anderen bleiben auch stehen.

„Ja, ich haben gern Mercedes.“

Der Fotograf, der von der Körperstatur der Kleinste in der Gruppe ist,

hebt seinen Kopf und schaut mit seiner dicken Brille in die Runde.

„Deutsches Auto, Mercedes.“

Der Verlagschef  findet als erster seine Fassung wieder.

„Ja, aber, Jewgeni, sehen Sie mal, ich weiß nicht…..“

„Schon gut, schon gut,“ fällt der Fotograf dem Verlagschef ins Wort.

„Schon gut, ich nicht haben Garage in Moskau.

Ist schlecht auf Straße so ein gutes deutsches Mercedes.“

 

Als wir spät am Abend nach der Ausstellungseröffnung

ins Hotelzimmer kommen, stolpern wir

über eine kleine Holzkiste, die mitten im Flur steht.

Außen klebt ein roter Streifen mit dem Wort „Fragile“

Auf dem Kästchen liegt ein Brief, adressiert an den Fotografen.

Ich öffne auf Wunsch die Kiste. Der Inhalt sind 12 sehr gute

Flaschen Wein, rot und weiß.

Der Fotograf sitzt müde im Sessel und beobachtet das Auspacken der

Kiste.

„Ich bin Russe, was soll ich Wein, ich will Wodka.“

„Weißt du, wie alt Picasso geworden ist?“

„Sehr alt, aber ich nicht wissen wie alt.“

„91 Jahre, und weißt du, warum er so alt geworden ist?“

„No Sir.“

„Er hat immer zwei Dinge reichlich gehabt, Frauen und Rotwein.“

„Mach  bitte Flasche Rot auf.“

Es war an diesem Abend nicht die letzte.

 

 

 

 

 

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